Ich starrte auf den dichten Wald unter uns und wusste, dass ich Recht hatte. Ich würde nicht mal die Große Mutter selbst erkennen, wenn sie dort unten wäre.
Noch bevor wir aufgebrochen sind, um die Patrouille an der Grenze des Niemandslandes zu übernehmen, haben wir uns darüber gestritten, ob wir fliegen oder laufen. Zwar war ich auch nicht davon begeistert, das ganze Gebiet zu Fuß zu durchstreifen – auch wenn es meine Idee war – aber so hätten wir wenigstens etwas Verdächtiges entdecken können.
Aber nun starrte ich seit zwanzig Minuten auf die gleichen Baumwipfel und schmollte vor mich hin.
Cassian flog konzentriert und attraktiv wie immer neben mir und versuchte meine bösen Blicke zu meiden, die ich ihm immer wieder zuwarf.
„Deine Missgunst wird dir auch nicht dabei helfen, durch das Dickicht zu gucken", sagte Cassian schließlich, ohne den Blick vom Wald abzuwenden.
„Dann gibst du also zu, dass wir so nicht weiterkommen, weil wir nicht mal einen Bären von hier oben erkennen könnten?"
„Also meine Augen haben kein Problem damit. Als Illyrianer habe ich schließlich mehr Erfahrung in der Luft als du."
"Schön. Dann will ich deine Augen nicht weiter stören und suche am Boden weiter", rief ich und ging in den Tiefflug. Cassian war so plötzlich neben mir, dass ich zusammenzuckte. Manchmal vergaß ich, wie schnell er in der Luft war.
„Das haben wir doch schon geklärt." Das wäre zu gefährlich. Wenn hier wirklich hypernische Soldaten herumstreifen, sollten wir zusammen bleiben."
„Dass ich mit einem ganzen Batallion zu recht gekommen bin, zählt wohl nicht mehr", entgegnete ich schnippisch.
»Keine Alleingänge!«, betonte er.
Ich wusste nicht, ob sein Befehl seiner Autorität als General oder seiner Sorge um mich entsprach. Was eigentlich egal war, denn mich würde beides nerven.
Ich hob die Augenbraue, schluckte jedoch den streitlustigen Kommentar, der mir auf der Zunge lag, hinunter und widmete mich stattdessen meinen Gedanken.
Trotz meines Erfolges mit Tarquin war der Friedensvertrag nur dann wirklich etwas wert, wenn alle sieben High Lords unterschrieben. Helion, Thesan und vor allem Kallias blieben zwar immer noch sturer, was aber auch damit zusammenhing, dass sie die Folgen des Krieges immer noch ausgleichen müssen. Das eigentliche Problem, das den Friedensvertrag gefährden könnte, war Beron. Ich konnte nicht einfach an seinem Hof auftauchen, wenn er mich nicht darum gebeten hat. Vor allem weil er schon immer etwas gegen mich hatte. Und selbst wenn ich es täte, hätte er wohl kaum ein offenes Ohr für mich übrig.
In dieser Sache mussten wir wohl oder übel auf Eris vertrauen.
Dann blieb nur noch Tamlin. Rhysand hatte mir zwar versichert, dass er sich um ihn kümmern würde, aber wirklich überzeugt war ich nicht.
Feyre hatte mir erzählt, wie sie an Tamlin und Ianthe Rache genommen hatte.
Ich konnte mir noch keinen eigenen Überblick über die Zustände am Frühlingshof machen, aber es stand ganz oben auf meiner Liste. Vor allem, da ich den Frühlingshof seit Jahrhunderten nicht mehr besucht habe und ihn nur unter Führung des früheren High Lords kannte. Der wiederum meine Mutter und die Mutter von Rhys auf dem Gewissen hatte. Der Konflikt zwischen unseren Höfen war demnach immer noch schwierig. Zudem hieß es, dass Tamlin nur noch in seiner Biest Gestalt gesehen wird und er durch seine Wälder streift, wie die über die wir gerade hinwegflogen.
Hinzu kamen noch die Reiche auf dem Kontinent, die sich Mor als Herausforderung genommen hatte. Sie war dafür viel besser geeignet als ich. Ich kannte die High Lords von früher und sie kannten mich. Es würde ewig dauern, mich Vallahan, Rask und Montesere vorzustellen, da sie mich nur im Krieg gesehen hatten. Wenn überhaupt.
Mor ist in dieser Hinsicht die bessere Diplomatin. Nicht nur, dass ihre Magie vertrauenserweckend ist: ihre Schönheit könnte auch den einen oder anderen König oder die eine oder andere Königin um den Finger wickeln. Und sie ist wohl auch viel geduldiger, als ich es wäre. Die High Lords kosteten mir jetzt schon den letzten Nerv. Nicht auszudenken, wenn ich mich um überhebliche Könige kümmern müsste. Die lieber ihr Herrschaftsgebiet erweitern wollten, anstatt den benötigten Frieden zu schließen.
Was mich zu der Frage lenkte...
„Glaubst du, dass sich die alten Soldaten von Hypern überhaupt so nah an die Stadt heranwagen würden? Ohne ihren König und den Kessel konnten sie keine Schutzzauber mehr verwenden und wären jedem Späher ausgeliefert, der ihren Weg kreuzt", rief ich Cassian zu, da der Wind wieder stärker geworden war. Er segelte näher an mich heran.
„Wir haben Grund zur Annahme, dass sie von jemandem unterstützt werden. Ob es einer der Herrscher vom Kontinent ist oder vielleicht sogar einer der High Lords, wissen wir noch nicht. Wir sollten ihren Rachedurst nicht unterschätzen. Sie haben Jahrhunderte lang an der Seite des Königs gekämpft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie in dieser Zeit ebenfalls einige Sachen aufgeschnappt haben", antwortete Cassian.
Das stimmte. Bereits im Krieg gab es kleinere Truppen, die unabhängig vom Kessel oder dem König, Zauber verwendet haben, wie wir jedoch erst danach erfuhren.
„Falls sie Zauber verwenden sollten, werden sie nicht so stark sein, wie als sie noch vom Kessel unterstützt wurden", sagte ich und warf ihm einen Seitenblick zu. „Natürlich könnte ich sie spüren, wenn ich in der Nähe bin, aber dazu müssten wir das Gebiet zu Fuß ablaufen oder dichter über den Bäumen fliegen."
„Wir werden nicht Landen, und wenn wir in der Nähe der Baumkronen fliegen, sind wir in der Reichweite ihrer Pfeile. Falls sie es tatsächlich gewagt haben sollen, sich so weit zu nähern."
„Dann lande ich eben allein. Ich komme am Boden sowieso besser zurecht als in der Luft. Du kannst ja weiter fliegen."
„Wir werden uns nicht trennen, das wäre zu gefährlich, falls wirklich etwas passieren sollte."
„Ich komme auch allein gut klar."
„Das ist kein Grund, jedesmal den Gehorsam zu verweigern, wenn es nicht so läuft, wie du es willst", entgegnete er wütend.
Ohne dass ich es darauf abgesehen hatte, sind wir den Baumkronen deutlich näher gekommen.
»Gehorsam?«, fragte ich fassungslos. „Wer bin ich, deine verdammte Seelengefährtin oder einer deiner speichelleckenden Soldaten?"
„Du willst jedesmal deinen eigenen Kopf durchsetzen, anstatt dich auf jemand anderen zu verlassen, daher bist du sicher nicht einer meiner speichelleckenden Soldaten", erwiderte er gereizt.
„Du hast doch darauf bestanden, mitzukommen", erinnerte er mich.
„Ja, weil wir uns sonst kaum zu Gesicht bekommen. Dabei hatte ich nicht gedacht, dass es so langweilig und du so verdammt stur sein wirst!"
„Wie sagte Amren einst so schön? Du kommst noch früh genug unter die Erde. Also warum die Eile? "
"Ich versuche nur-...."
Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Körper und meine Magie verblasste. Ich hörte Cassian aufschreien, doch eher vor Überraschung als vor Schmerz.
Und ich fiel.
Der Wind peitschte mir heftig ins Gesicht und ich sah Cassians Körper, der ebenfalls hinabstürzte, und den Pfeil, der aus seiner Schulter ragte. Noch weit bevor wir das Blätterdach durchbrachen, griff er in der Luft nach mir und zog mich eng an seine Brust.
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Das Reich der Sieben Höfe - Licht Und Krone
FanfictionDies ist der zweite Teil von meiner anderen Fanfiction Das Reich der Sieben Höfe - Licht und Dunkelheit. Und bezieht sich auf das Buch Das Reich der Sieben Höfe - Silberne Flammen von Sarah J. Maas - also der 5. Band der Reihe. Auch wenn der Krieg...