Ich wusste sofort, wo ich war, während sich meine Sinne langsam erholten. Ich hörte die Stimmen meiner Entführer, ihre gedämpften Schritte und das Zwitschern der Vögel. Wir befanden uns also immer noch im Wald. Ich wagte nicht, die Augen zu öffen, ich hätte eh nichts ausrichten können, und ich wollte sie nicht wissen lassen, dass ich mich von dem Gift schneller erholt habe, als sie vermutlich erwartet haben.
Das stetige Auf- und Ab und die unbequeme Position bedeuteten wohl, dass mich einer der Männer über die Schulter geworfen hatte. Es war leicht, ihn zu überwältigen, aber dann blieben immer noch die anderen und ich wusste nicht, wie viele sie genau waren. Dazu kam das Problem der Fesseln aus Blutschatten, die immer noch an meinen Handgelenken scheuerten.
Wo brachten sie mich hin? Was hatten sie mit Cassian vor? Würden sie ihn töten oder zu einem anderen Ort bringen?
Es wirkte, als würden die ehemaligen Soldaten Hyperns nicht allein agieren. Irgendjemand musste sie im Hintergrund unterstützen. Wenn ich lange genug die Bewusstlose spielte, würde ihnen vielleicht ein Name herausrutschen.
Die Minuten verstrichen und mein Körper erholte sich. Es sah so aus, als würde das Gift bei Samatarian nicht den gewünschten Effekt auslösen.
Woraus es bestand, blieb ein Rätsel, und so schwach war es nun auch wieder nicht. Denn es hinderte meine Wunden daran, zu heilen.
Ich wusste nicht, wie lange wir uns durch den Wald bewegten, aber ich nutze die Zeit, um mir einen Plan zu überlegen. Zwar sah dieser nicht gerade vielversprechend für mich aus, aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich musste wissen, wie es um Cassian stand. Ich musste herausfinden, was sie ihm angetan haben. Und das alles so schnell wie möglich. Da blieb mir kaum Zeit, den richtigen Moment abzuwarten, denn mit jeder verstrichenen Minute entfernte ich mich mehr von ihm.
Unsere Seelenverbindung lag im Nebel. Dass sie noch da war, beruhigte mich ein wenig. Ich hätte gespürt, wenn er gestorben wäre - das hatte ich schon einmal.
Egal wie mein Fluchtversuch aussehen wird: Ich brauchte eine Waffe. Ich fühlte mich zwar gut genug, um auch mit bloßen Händen zu kämpfen, aber eine Waffe würde die Sache beschleunigen.
Ich hatte gelernt, meinen Herzschlag ruhig zu halten, auch wenn meine Gedanken es nicht waren. So sah der Soldat, der mich trug, es nicht kommen, als ich mich ruckartig aus seinen Griff löste.
Es blieb keine Zeit, den Sturz abzufangen, und ich landete hart auf meiner verletzten Schulter. Aber mir blieb auch keine Zeit für den Schmerz, der daraufhin durch meinen Körper zuckte, und ich sprang sofort auf.
Der Blutverlust machte sofort auf sich aufmerksam. Für einen kurzen Moment verschwamm alles vor meinen Augen. Meine Muskelerinnerung rettete mich vor der Faust, die mich sonst an der Schläfe getroffen hätte, und mein Blick klärte sich wieder.
Sie waren zu Fünft. Zwei Frauen, drei Männer.
Ich rammte meinen Ellenbogen in den Bauch des Soldaten, welcher mich getragen hatte. Während er sich krümmte, schnappte ich mir das Schwert, das an seiner Hüfte hing, und stand prompt den anderen Vier gegenüber.
Keuchend hielt ich mir die Seite, an der mich vorhin die Glefe getroffen hatte. Die ruckartigen Bewegungen haben die Wunde wieder aufgerissen und jetzt pochte sie wieder schmerzhaft.
Das raue Geräusch von Metall auf Metall hallte durch den Wald, als sie ihre Waffen zogen..
.
.Ich rannte. Der weiche Waldboden schonte meinen strapazierten Körper, während ich über Äste und umgefallene Bäume sprang, um so schnell wie möglich einen großen Abstand zwischen mich und meine Verfolger zu bringen.
Ich hatte nur drei der Soldaten töten können, die anderen beiden hatten die Verfolgung aufgenommen.
Und ob der eine Soldat wirklich tot war, war zu bezweifeln, denn er hatte sich bewegt, als ich die Flucht ergriffen hatte. Jedenfalls hatte es aus dem Augenwinkel so ausgesehen.
Erst als ich meine Verfolger seit vielen Minuten nicht mehr gehört hatte und überzeugt war, dass ich sie abgeschüttelt hatte, drosselte ich mein Tempo, um wieder zu Atem zu kommen.
Ich hielt nicht an und verarztete meine Wunden beim Gehen. Ich zog das Stück Stoff um meinen Oberarm mit dem Mund fester und musste mich mit der Erkenntnis abgeben, dass sich nicht viel mehr tun konnte. Keine Kräuter, keine Magie.
Das würde ein langer Weg nach Hause werden. Nur dass meine Sorge vor allem Cassian galt, da ich ihn auch nur bedingt versorgen konnte.
Die ersten toten Soldaten sah ich, als sich die Sonne bereits dem Horizont näherte. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis sie versank, aber ich wusste, wie schnell diese Stunden vorbei sein konnten. Wenn ich bis dahin Cassian nicht gefunden hatte, würden wir wahrscheinlich beide sterben.
Dass die Leichen so weit von dem eigentlichen Schlachtfeld entfernt lagen, konnte man sich nur so erklären, dass sie im Kampf verletzt wurden, geflohen sind, aber auf dem Weg an ihren Wunden verendet sind.
Wahrscheinlich hatten auch einige ganz überlebt. Ich musste daher aufmerksam bleiben.
Dennoch war Cassian der einzige Gedanke, zu dem ich fähig war. Ich wiederholte seinen Namen immer wieder, als würde ich ihn dadurch schneller erreichen.
Ab da an brauchte ich bloß, dem metallischen Geruch von Blut zu folgen, der immer noch in der Luft lag.
Einige Minuten später fand ich eine vertraute Klinge auf dem Boden.
Eines von Cassians Zwillingsschwertern.
Ich rannte darauf zu und sah mich suchend um, als ich es in den Händen hielt.
Wenn sein Schwert hier war, konnte er nicht mehr weit sein. Obwohl es mir nur noch mehr Sorgen bereitete, da er wohl in einem schlimmen Zustand sein musste, wenn er sein Schwert nicht bei sich hatte.
Mit schnellen Schritten kam ich dem Schlachtfeld immer näher. Ich hütete mich davor, seinen Namen zu rufen, falls noch Soldaten in der Nähe waren, die auf mich aufmerksam werden konnten.
Lange suchen musste ich nicht.
Ich sah die beflügelte Person, die auf dem Boden lag, schon vom Weiten.
Erst als ich ihn fast erreicht hatte, erinnerte mich mein Verstand daran, vorsichtig zu sein. Mein Griff um Cassians Schwert verstärkte sich und ich lauschte auf jedes Geräusch.
„Cassian", rief ich besorgt und ließ mich vor ihm auf die Knie fallen und schnappte nach Luft. Er lebte aber...
Unzählige Schnittwunden zogen sich über seinen ganzen Körper. Eine schlimme Fleischwunde an seinen Schultern schien sich schon zu entzünden und sein Gesicht war durch das viele Blut kaum zu erkennen. Wie er um seine Flügel stand, konnte ich nicht genau sagen, da einer unter seinem Körper eingeklemmt war und der andere sah regelrecht zerlöchert aus.
Sie hatten es wohl darauf angelegt, ihn durch den Blutverlust zu schwächen. Er musste gekämpft haben, nachdem ich entführt wurde, denn abgesehen von seinem einsamen Zwillingschwert war das andere nirgends zu sehen, und neue Leichen lagen um ihn herum und zwischen den Bäumen zerstreut.
„Cassian, kannst du aufstehen?", versuchte ich es erneut. Ein dumpfes Husten war die einzige Antwort, die ich bekam. Das war wohl ein Nein.
Ich schätze gerade ab, ob ich ihn allein tragen konnte, als die Vögel plötzlich verstummten. Alamiert richtete ich mich auf, eine Hand auf dem Griff von Cassians Schwert, da sich mir in der Zwischenzeit auf den Rücken gebunden hatte.
Ich blieb in der Hocke und horchte in die Schatten des Waldes hinein, bis ich Schritte hörte, die zu mehr als einer Person gehörten.
„Aviana", keuchte Cassian. Mein Kopf fuhr zu ihm herum, aber die Erleichterung schwand schnell, als seine Augen direkt in meine sahen und er hauchte: „Flieh."
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Das Reich der Sieben Höfe - Licht Und Krone
FanfictionDies ist der zweite Teil von meiner anderen Fanfiction Das Reich der Sieben Höfe - Licht und Dunkelheit. Und bezieht sich auf das Buch Das Reich der Sieben Höfe - Silberne Flammen von Sarah J. Maas - also der 5. Band der Reihe. Auch wenn der Krieg...