Das Böse sitzt tief

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Das Blut der Soldaten des Herbsthofs, das in kleinen Rinsalen über den dunklen Boden lief, war bereits getrocknet.
Azriel lehnte an der einzigen Tür in der dunklen Zelle, die jetzt mit Faelichtern erhellt wurde. Sein Wahr-Sager lag locker in seiner Hand, falls sie irgendwas versuchen sollten, als Amren, Cassian und ich eintraten
Die Soldaten sahen alles andere als gesprächig aus, was wohl daran lag, dass beide mit leerem Blick vor sich hin starrten. Keinerlei Lebenszeichen waren in ihren Augen zu erkennen, und doch saßen sie hier und haben vor Kurzem noch Mitglieder vom Nachthof angegriffen.
„Wir vermuten, dass sie mit irgendeinem Zauber belegt sein müssen", meinte Amren, als sie die beiden umkreiste. „Sie scheinen nur einen einzigen Antrieb zu haben: Anderen ohne jeden Grund Leid zuzufügen."
„Die Folter haben sie so gut wie gleichgültig weggesteckt - in einer anderen Zelle sind drei weitere, die uns ebenfalls keine Antworten liefern", sagte Azriel.
„Wir haben die beiden ausgewählt, weil sie die Einzigen waren, die überhaupt ein Wort gesprochen haben."
Rhys teilte Cassians Meinung, dass es sich hierbei um die verschollenen Soldaten vom Herbsthof handelte. Aber wie sie im Oorid Moor gelandet waren... Genau das wollte auch Rhysand herausfinden, aber als er versucht hatte, in ihre Köpfe einzudringen, hatte er dort nichts außer Dunst und Nebel vorgefunden.
Da wohlmöglich ein Zauber in Spiel sein konnte, wurde ich zur Rate gezogen. Wobei Cassian zwei Tage gewartet hatte, bis ich ein wenig ausruhen konnte, bevor sie mich zum nächsten Problem schleiften.
Die Soldaten starrten Cassian und mich an, mit einem unverhohlen bösartigen Blick in den Augen.
„Sie sind wie tollwütige Hunde... nicht mehr bei Verstand", bemerkte ich schon nach wenigen Sekunden, in denen ich sie zu Gesicht bekommen hatte.
„So haben sie auch gekämpft", berichtete Cassian. „Ohne jede Intelligenz, falls sie sie überhaupt besaßen, nur beseelt vom Verlangen zu töten."
Ich trat näher an sie heran.
„Wir hoffen natürlich darauf, dass du den Bann brechen kannst, damit wir endlich aufhören können, wie blinde Hühner nach Antworten zu suchen", sagte Amren und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich stützte mich auf den Knien ab und beugte mich zu ihnen runter.
Die Spuren von Azriels Folter trugen sie immer noch im Gesicht, obwohl es nach Cassians Bericht bereits einige Wochen her ist, als sie sie gefunden hatten.
Ihre Augen waren näher betrachtet nicht ganz so trüb wie auf dem ersten Blick. Hinter dieser nebligen Wand schlummerte immer noch ihr wahres Ich. Jedoch gefangen in ihren eigenen Gedanken.
„Sie sind immer noch da drin", sagte ich.
„Wie kannst du dir da so sicher sein?", wollte Amren wissen.
"Ich kann es sehen und...spüren. Aber ich muss einen Zauber sprechen, um mehr herauszufinden."
„Du bist erst zwei Tage hier...", bemerkte Cassian und wollte darauf hinweisen, dass ich wenig Zeit hatte, mich wieder an meine Magie zu gewöhnen.
„Ich werde das schon hinbekommen", erwiderte ich. Er nickte.
Ich bat ihn und Azriel, den Soldaten mit den rotbraunen Locken festzuhalten.
Während sie ihn fixierten, beugte ich mich wieder zu ihm hinunter.
„Wenn du mich beißt, beiß ich zurück", warnte ich und legte jeweils zwei Finger an seine Schläfen.
Der Zauber kam mir flüssig über die Lippen.
Wie befürchtet, konnte auch ich nichts in ihren Gedanken erkennen.
Aber das schloss auf eine andere Erkenntnis, die sich mir jetzt bestätigte.
Ich trat zurück und meine drei Freunde sahen mich erwartungsvoll an.
„Was oder wer auch immer sie so zugerichtet hat, hat keinen Zauber dafür verwendet", sagte ich. Cassians Augenbrauen schossen in die Höhe.
„Wie meinst du das? Was soll es denn sonst sein?", fragte er.
„Es ist zu stark, so unfassbar Stark, und zu langlebig für einen Zauber, wie wir sie kennen." Es muss etwas viel Mächtigeres sein. Es macht sie zu Marionetten, denen man jetzt jedoch die Fäden durchgeschnitten hat", sagte ich und mein Körper erschauderte.
„Durch deine Spionage am sterblichen Hof der Königinnen konnten wir erfahren, dass Briallyn jetzt mit Koschei zusammenarbeitet. Könnte er so einen Zauber gesprochen haben?", fragte Amren.
Nach Monaten langer Arbeit habe ich beschlossen, mich am Hof der sterblichen Königinnen erst einmal umzuhören und zu spionieren, bevor ich sie töte. Ich hatte mir bereits gedacht, dass sie mehr wussten als wir, und ich hatte recht behalten. So erfuhren wir, dass Briallyn sich jetzt mit Koschei verbündet hat.
Dass sie offenbar etwas in der Hand hatte, dass sogar einer der Alten Götter auf ihre Seite übergelaufen ist, besorgte uns alle schon seit Wochen. Aber von der Waffe, die wir in ihrem Besitz vermuteten, hatte ich nichts Weiteres gehört.
„Es ist kein Zauber in dem Sinne, dass Wörter gesprochen wurden. Es ist pure Macht, die ich so noch nie erlebt habe", sagte ich. Amren sog scharf die Luft ein.
„Das klingt gar nicht gut", sagte Cassian und sah genauso beunruhigt aus, wie ich mich fühlte.
„Habt ihr Eris schon mitgeteilt, dass ihr seine verlorenen Soldaten gefunden habt? Oder eher, die, die übrig geblieben sind?", fragte ich vor allem an Cassian gewandt, da er mit ihm zusammen den Herbsthof überwachte.
„Wir werden es ihm mitteilen, wenn wir ausgeschlossen haben, dass er nicht dahinter steckt", antwortete Amren für ihn. Ich nickte zustimmend. Das war durchaus möglich. Vielleicht wurde Eris ungeduldig, da er endlich den Thron seines Vaters haben wollte. Es würde dennoch die beunruhigende Frage aufwerfen, wo er - oder vielleicht doch Koschei - solche Macht aufgetrieben haben.
„Briallyn will den Kessel wiederfinden, um ihre Jugend zurückzubekommen", sagte Azriel. Seine Schatten legten sich um seine Flügel, schlangen sich um seinen Hals, als würden sie ihm ständig etwas ins Ohr flüstern.
Nach Berons direkter Frage nach dem Kessel war das die schnellste Erkenntnis, die wir erlangen konnten. Doch Azriel schien das noch mal überprüft zu haben und war sich jetzt ganz sicher. Inwieweit uns das weiterhelfen wird, werden wir hoffentlich bald herausfinden.
„Koschei ist immer noch an seinem See gefangen, richtig?", wollte ich wissen, da mir ein weiterer beunruhigender Gedanke kam.
Azriel nickte.
„Was ist, wenn der Todesgott Briallyn etwas ins Ohr geflüstert hat. Was ist, wenn er sie auf die Schreckenstruhe aufmerksam gemacht hat?
Cassian versteifte sich und Amrens Augen formten sich zu schmalen Schlitzen.
„Dann aber nicht um ihretwillen, sondern für seine eigenen Zwecke." Wenn er die Truhe hat, kann er sich von seinem See befreien", warf Amren ein und fixierte die Soldaten mit einem scharfen Blick.
„Wäre sie denn überhaupt in der Lage, die Objekte aufzuspüren?", fragte Cassian und bedeutete uns gleichzeitig, dieses Gespräch woanders fortzuführen und am besten mit Rhysand und Feyre mit dabei.
Erst als wir alle zusammen im Rhysands Arbeitszimmer versammelt waren, antwortete Amren auf Cassians vorherige Frage, nachdem wir den beiden unsere Vermutungen mitgeteilt hatten.
„Sie wurde vom Kessel erschaffen, daher kann das gut sein."
„Und was hat das mit dem Kessel zu tun?", fragte Nesta, die zu meiner Überraschung ebenfalls dazu geholt wurde.
Doch es war Feyre, die meine Aufmerksamkeit erregte. In den letzten Monaten meiner Abwesenheit war viel geschehen, doch etwas an ihr war verändert, das ich nicht genau definieren konnte. Und die Blicke, die Rhys ihr ständig zuwarf, bestätigten mir, dass etwas in der Luft lag.
„Was zusammen gehört, findet zusammen", murmelte Feyre. „Die Truhe wurde vom Kessel erschaffen, daher könnte sie ihren Schöpfer finden." Amren nickte zustimmend.
„Briallyn wurde ebenfalls erschaffen. Kann sie den Kessel nicht selbst aufspüren? Warum braucht sie die Objekte?", wollte Nesta wissen.
Amren trommelte mit den Fingern auf der Armlehne ihres Sessels.
„Wir wissen, dass du dem Kessel etwas genommen hast, weswegen er Briallyn dafür bestraft hat."
„Also ist es durchaus möglich, dass der Kessel Briallyn gar nicht die Fähigkeit verleihen konnte, ihn aufzuspüren. Er konnte sie lediglich in die Lage versetzten, alle Objekte zu verfolgen, die er erschaffen hatte, und die dann zu ihm führen werden", fügte ich die Puzzelteile zusammen.
„Wenn man alle drei Objekte zusammenbringt, könnte man mit ihrer kombinierten, erschaffenen Macht den Kessel überall aufspüren", verbesserte Amren.
„Ganz zu schweigen, dass man dann mit den drei Artefakten eine fürchterliche Macht besäße", ergänzte Rhysand Finster. „Damit allein könnte sie jeder Fae Armee das Wasser reichen und einen immensen Vorteil für ihre eigene verschaffen."
„Würde man die Toten mit der Maske auferwecken, hätte man eine unaufhaltsame Armee, die ohne Rast und Nahrung maschieren könnte", überlegte Cassian laut. Mir wurde schlecht und auch über meine Freunde legte sich eine bedrückende Stille.
„Noch wissen wir nicht, wie weit sie mit der Suche gekommen ist", versuchte Feyre die Stimmung zu heben. »Noch können wir sie aufhalten.«
Feyres Blick richtete sich auf Rhysand, der sie trotz der ernsten Diskussion liebevoll ansah.
Meine Aufmerksamheit huschte zu Nesta, denn langsam dämmerte mir, warum sie ebenfalls an dem Gespräch teilnahm. Amren schien den gleichen Gedanken zu haben, denn sie sagte: „Wenn wir die Truhe vor Briallyn finden, können wir sie an sicheren Orten unter Verschluss halten. Jedoch wollen erschaffene Objekte meist nicht von jedem X-Beliebigen gefunden werden. Aber du", ihre grauen Augen huschten zu Nesta, „wurdest erschaffen, das gleiche gilt für Elain. Die Truhe könnte in dir eine verwandte Seele erkennen und dich zu ihr locken, wenn sie spürt, da wir nach ihr suchen."
„Das klingt, als hätten die Objekte ein Empfindungsvermögen", meinte Cassian.
„Das haben sie auch", bestätigte Amren, ohne den Blick von Nesta zu nehmen. „Weil du vom Kessel erschaffen wurdest, bist du zudem immun gegen den Einfluss und die Macht der Truhe." Du magst in der Lage sein, die Objekte zu nutzen, aber sie können nicht gegen sich eingesetzt werden. Und bei Elain genauso wenig."
„Ich kann das nicht", sagte Nesta und schluckte.
„Du hast den Kessel gefunden...", gab Amren zu bedenken.
Er hat mich fast umgebracht!
„Dann wird Elain...", wollte Feyre vorschlagen.
„Auf keinen Fall", zischte Nesta sofort.
„Elain ist damit einverstanden, auch wenn es mir nicht leichtgefallen ist, sie zu bitten, sich selbst derart in Gefahr zu bringen", teilte Feyre Nesta mit. Nestas Kopf fuhr zu ihr herum.
„Warum kannst du nicht nach der Truhe suchen?" Du besitzt all diese Magie und wurdest selbst erschaffen - zwar nicht von dem Kessel, aber du hast trainiert... Du bist eine Kriegerin. Kannst du die Truhe nicht aufspüren?"
Erneut breitete sich Stille aus.
„Nein", antwortete Feyre ruhig. »Das kann ich nicht.« Sie sah zu Rhys, der mit leuchtenden Augen nickte.
„Ich kann es nicht riskieren."
„Warum nicht?", fragte Nesta scharf.
Jetzt schauten alle Feyre an und meine Augen wurden groß, noch bevor sie es aussprach.
„Weil ich schwanger bin."

Das Reich der Sieben Höfe - Licht Und KroneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt