Ich versuchte wirklich das zu sehen, was Cassian in den Illyrianern sah, während ich durch die Straßen von Windhaven schlenderte.
Nach den Strapazen der letzten Wochen sollten wir es eigentlich ruhig angehen lassen, aber sobald Cassian wieder einsatzbereit war, wollte er wieder aufbrechen. Da ihn selbst Madja nicht umstimmen konnte, ist er schließlich zu dem illyrianischen Lager aufgebrochen, durch das ich gerade lief.
Er hatte Windhaven als eines der fortschrittlicheren Dörfer beschrieben, doch ich sah keinen einzigen Mann, der seiner Frau bei den Hausarbeiten half, oder eine Frau, die in illyrianischen Leder herumlief.
Aber vielleicht betrachtete ich die Dinge zu oberflächlich. Cassian war diese Angelegenheit sehr wichtig. Daher wollte ich sehen, was ihn so beschäftigte. Und ich wollte ihn ein wenig nerven.
Ich atmete die klare, kalte Luft der Berge ein und musste gestehen, dass es eine willkommende Abwechslung zu den warmen Höfen war. Ich wollte gerade jemanden fragen, wo ich Cassian und die Rekruten finden konnte, die er trainierte, als ich schon das Geräusch von Metall auf Metall wahrnahm und ihm folgte.
Die Sonne bahnte sich einen Weg durch die Wolke und brachte die dünne Schneeschicht zum Glitzern. Genau so wie den Schweiß der Cassians breite Brust bedeckte, während er einen kraftvollen Schlag nach den anderen vollzog, sehr zu der Mitleidenschaft der Holzpuppe, auf die er einschlug. Ich blieb stehen, um ihn nicht zu stören. Okay, das war gelogen. Ich blieb stehen, um ihn schamlos anzustarren. Und wer konnte es mir verübeln?
Die Art, wie sich seine Bauchmuskeln im Einklang mit seinen Bewegungen wöblten, seine Rückenmuskeln, die durch die Sonne nur noch mehr betont wurden. Mein Blick wanderte weiter nach unten, zu den V-förmigen Sehnen, die sich in seiner Hose verloren, zu seinen straffen Hintern. Ich musste mich an mich halten, um nicht in Tagträume zu versinken, die sich vor allem zwischen meine Beine verirrt hätten.
Die Rekruten, die in Zweierreihen hinter ihm standen, beobachteten ihn ebenfalls, zwar nicht auf die skandalöse Art, wie ich es tat, aber es zeichnete sich Bewunderung in ihren Gesichtern ab, die sich nicht leugnen ließ. Ihre Augen verfolgten jeden Schwung seines Schwertes, prägten sich jede Verlagerung seines Gewichts ein. Wenn er zum tödlichen Schlag ansetzte, notierten sich die Ausweichmöglichkeiten, die er ebenfalls miteinbezog, während er gegen seinen unsichtbaren Gegener kämpfte und die Puppe nur für tödliche Treffer benutzte. Und schon wieder verlor ich mich in seinem Anblick, was ich jedoch erst bemerkte, als er das Wort an die Rekruten richtete. Es waren auch einige Frauen unter ihnen.
»Die meisten von euch werden wohl das Schwert als Waffe wählen.« Aber den Umgang mit kleineren Waffen wie Dolchen oder Messern müsst Ihr ebenfalls beherrschen. „Wenn ihr entwaffnet werdet, müsst ihr eine Alternative haben, oder es wird euch das Leben kosten", sagte er laut, damit ihn alle gut verstehen konnten.
Ich blickte mich um. Der illyrinische Bogen, der an einem der Waffenwagen lehnte, regte eine Idee in mir. Mit so Einem hatte ich bereits im Krieg gekämpft. Der Bogen war fast so groß wie ich und die Bogensehne war selbst für die meisten Illyrianer kaum zu spannen. Ich hatte gelernt, damit zu gehen, um Rhysands Vater etwas zu beweisen. Jetzt war es nur eine nette und für einige eine beeindruckende Fähigkeit, mit der ich glänzen konnte.
Ich schnappte mir Bogen und Pfeil, der fast so lang war wie mein Arm, und genoss den verdatterten Blick des Illyrianers, der dabei stand und wohl ebenfalls Cassians Darbietung verfolgt hatte.
Ich legte den Bogen ein, spannte die Sehne und zielte ein wenig neben Cassian.
Er drehte sich in dem Moment zu mir um, als ich die Sehne losließ, und der Pfeil zischte nur Zentimeter an seiner Wange vorbei.
„Oder man wählt den Bogen und schaltet seine Gegner wie die Fliegen aus, aber aus einer sicheren Entfernung", sagte ich und kam mit dem Bogen in der Hand auf die kleine Gruppe zu. Die Augen der Frauen und Männer waren erstaunt geweitet.
»Man sollte sich dann nur nicht erwischen lassen«, fügte ich hinzu.
Mit einem Grinsen reichte ich Cassian den Bogen, der ihn mit einem Funkeln in den Augen entgegennahm.
„Willst du etwa meine Rekruten verschrecken?", fragte er belustigt.
„Nein, ich wollte ihnen nur einen kleinen Vorgeschmack darauf geben, was alles so möglich ist."
„Du wolltest bloß angeben, gib es zu."
„Dafür hätte ich eine Glefe geworfen", erwiderte ich.
„Willst du mich mit deinem Besuch nur vor meinen Rekruten blamieren, oder hattest du andere Absichten?"
Mein Blick fiel wieder auf seine nackte Brust.
„Ich wollte die Bergluft genießen", sagte ich, weniger überzeugend.
Cassians Blick wurde raubtierhaft.
„Dafür könntest du auch über die Berge fliegen", meinte er.
„Hier habe ich die bessere Aussicht", erwiderte ich und ließ meinen Blick langsam an ihm herunter gleiten.
"Dann pass auf, das du nicht anfängst zu sabern", neckte er mich, der meinen anzüglichen Blick durchaus bemerkt hatte.
Cassian erwiderte mein Grinsen, bis ihm wieder einfiel, dass wir nicht allein waren.
Er räusperte sich und löste seinen Blick so schwerfällig von mir, dass mein Blut in Wallung geriet.
„Der Illyrianische Bogen ist ebenfalls eine Waffe, die ihr lernen könnt zu beherrschen." „Die Ausbildung wird Jahre dauern, doch wie ihr sehen konntet, kann sich das Ergebnis sehen lassen", richtete er sich wieder an die Rekruten.
„Der Kampf aus einer sicheren Entfernung kann eurem Kameraden auf dem Schlachtfeld eine große Hilfe sein." Ihr solltet euch früh dafür entscheiden, die Kunst des Bogens erlernen zu wollen. „Selbstverständlich gilt dieses Angebot auch für die Frauen", fuhr er fort und ging dabei auf und ab, aber nicht ohne, dass sich sein Blick immer wieder zu mir verirrte.
Ich beschloss, ihn ein wenig weiter schwitzen zu lassen.
Cassian setzte sein Training mit den Rekruten fort und ich versprach ihm, in der Nähe zu bleiben, bis er fertig ist.
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Das Reich der Sieben Höfe - Licht Und Krone
FanfictionDies ist der zweite Teil von meiner anderen Fanfiction Das Reich der Sieben Höfe - Licht und Dunkelheit. Und bezieht sich auf das Buch Das Reich der Sieben Höfe - Silberne Flammen von Sarah J. Maas - also der 5. Band der Reihe. Auch wenn der Krieg...