Kapitel 19

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„Beeil dich. Mutter bringt uns um, wenn wir nicht rechtzeitig beim Frühstück erscheinen." So schnell ich kann renne ich durch die Gänge des Schlosses. „Wenigstens sterben wir dann mit dem Wissen Mutter verärgert zu haben", antworte ich. „Der Punkt geht an dich, Schwester." Als ich zu Jonas gucke, sehe ich wie sein Lächeln breiter wird. „Weißt du was?" Fragend schaue ich ihn an. Mit einem Lächeln im Gesicht sagt er:„Ich wusste schon immer, dass du nach Freiheit strebst, aber dass du mich zurücklassen würdest, hätte ich nie gedacht." Mittlerweile bin ich stehen geblieben und blicke Jonas verwirrt entgegen. „Es ist deine Schuld, Quinn. Wegen dir bin ich gestorben." Geschockt stehe ich einfach nur da. „Jonas, ich... das wollte ich doch nicht." Einen Moment später zieht er sein Schwert und ziehlt mit der Spitze genau auf mein Herz. Pure Angst macht sich in mir breit und droht die Kontrolle zu übernehmen. Meine Instinkte sagen mir, ich soll so schnell ich kann rennen, doch das kann ich nicht. Bevor ich mich versehe schnellt das Schwert auf meine linke Brust zu. „Rache ist süß, Schwester."

Ein Ruck fährt durch meinen Körper und ohne es zu merken sitze ich kerzengerade in meinem Bett. Ich war noch nie Jemand, der oft Alpträume hat oder allgemein schlecht schläft, deshalb überrascht es mich, mich so aufgewühlt nach einem Traum zu sehen.

Dieser Traum war anders als jeder andere. Alles hat sich so real angefühlt. Die Umgebung fühlte sich real an. Die gesamte Situation fühlte sich real an. Jonas fühlte sich real an...
Mit meinen Fingern fahre ich mir durch meine Haare. Vom Schweiß sind sie, genauso wie mein Nachthemd, völlig nass. Auf der anderen Seite des Fensters ist es noch stockdunkel und ich entscheide, dass es das Beste ist, wenn ich mich einfach wieder ins Bett lege. Die Erinnerungen an Jonas verdrängend, versuche ich einzuschlafen, doch mit jeder Minute die vergeht, steigert sich meine Trauer und ohne es zu merken, laufen mir mehr und mehr Tränen die Wangen hinunter. Stunde um Stunde, bis die Sonne aufgeht fließen meine heißen Tränen mir lautlos übers Gesicht.

Als die Sonne schon fast an ihrem höchsten Punkt steht, beschließe ich ein Bad zu nehmen und mich langsam auf den Weg zu unserem Treffen zu machen. Das kalte Bad lässt mich wieder zurück in die Realität finden. Ich habe diese Nacht getrauert. Jetzt sollte ich mich auf das Wichtige konzentrieren: den Untergang meiner Mutter.

Mit frisierten Haaren und einem geliehenen grünen Kleid aus Samt mit einem dezenten schwarzen Korsett komme ich im kleinen Salon an. Amara, Ronan, Mal und Cayden haben es sich schon in den Sesseln gemütlich gemacht und scheinen nur auf mich gewartet zu haben. Ich nicke ihnen zu und setze mich stumm in den einzigen freien Sessel Cayden gegenüber. „Mögen die Sterne deinen Bruder beschützen." Amara umschließt ihre Kette. Das typische Symbol eines wachsamen Auges ist auf ihrem Anhänger abgebildet. Ich kenne nicht viel über die vorherrschende Religion in Keldor, aber trotzdem weiß ich ihre Worte zu schätzen. „Möge der Name Jonas in Ehren gehalten werden", bekundigt Ronan. „Möge sein Name etwas Großes symbolisieren", fügt Mal hinzu. Und möge er mir verzeihen, schießt es mir durch den Kopf. Eine warme Hand streichelt mein Knie. Cayden hat sich zu mir rüber gebeugt und versucht mir ein wenig Trost zu spenden. „Du trägst keine Schuld, Liebes", flüstert er mir zu. Seine dunklen Augen fixieren meine und für einen kurzen Augenblick bleibt alles stehen. Auf eine seltsame Weise nimmt er mir einen Teil meines Schmerzes ohne zu fragen. „Es ist in Ordnung zu trauern." Caydens Worte erreichen meinen tiefsten Nerv und ehe ich es verhindern kann, läuft eine Träne meine Wange hinunter. Ich springe vom Sessel auf und wische mir diese schnell weg. „Seid ihr bereit meine Mutter zu erledigen?", frage ich die Anwesenden. Soweit ich sehe, nicken alle vier. „Cayden hat erzählt, dass du sehr gut darin bist, strategisch zu denken." Mein Blick wandert zu Amara. Ein Lächeln bildet sich auf ihrem Gesicht. „Sehr gut darin? Ich bin fabelhaft. Sei doch nicht immer so bescheiden, Cayden." Das Sonnenlicht streift Cayden's linke Gesichtshälfte als ich zu ihm schaue. Er hat genau wie dieser Palast etwas gottähnliches an sich und wenn ich könnte würde ich genau dieses Bild auf Leinwand bringen. „Quinn, wenn du damit fertig bist Cayden anzustarren, würde ich gerne anfangen." Als ich in Amara's Richtung gucke, merke ich wie mir die Hitze in die Wangen schießt. Mein Blick huscht kurz zu Cayden. Amüsiert grinst er mir entgegen und obwohl diese ganze Situation total unangenehm für mich ist, würde ich es nochmal tun, nur um Cayden's Lächeln zu sehen.

„Hab ich das richtig verstanden, am Ende des Plans soll Königin Claude Michelle van Calidoss ausgeschaltet worden sein?", fragt Ronan in die Runde. Alle vier schauen mich erwartungsvoll an. „Diese Frau ist nicht mehr meine Mutter. Sie ist die Mörderin meines Bruders und als solche soll sie ihre gerechte Strafe erhalten." Ronan nickt und scheint einverstanden zu sein. Auch Amara und Mal wirken als hätten sie nichts einzuwenden. „Es tut mir leid, meine Position auszunutzen, aber ihr kennt ja das Prozedere", beginnt Cayden. „Euren Treueschwur bitte." Alle drei erheben sich mit Hand auf der Brust und sagen nacheinander die Worte: „Mit Leib und Seele schwöre ich Euch, König Cayden, meine Treue. Keine vertraulichen Worte werden ohne Euer Wissen meinen Mund verlassen." Als die Drei sich setzen fängt Amara an zu erzählen: „Der erste Schritt wird sein ein Schiff nach Meldris zu nehmen. In Meldris angekommen, sollten wir uns erstmal eine Unterkunft suchen."
„Wir werden keine Unterkunft brauchen. Sobald wir ankommen, möchte ich sofort ins Schloss gelangen. Wenn es sein muss, spaziere ich durch das Fronttor", werfe ich ein. „Wir können doch nicht das Fronttor benutzen. Der Dienstboteneingang ist unsere beste Chance", wendet Ronan ein. „Da stimme ich Ronan zu. Wenn wir das Fronttor benutzen, ziehen wir die gesamte Aufmerksamkeit auf uns", beteiligt sich Mal. „Also wir kommen in Meldris an, schleichen uns durch den Dienstboteneingang und sind somit im Schloss. Aber woher sollen wir wissen wo sich die Königin aufhält und wie können wir verhindern, dass die Wachen uns unseren Weg versperren?" Amaras Frage löst eine kurzzeitige Stille aus. Nach einer Weile meldet sich Cayden zu Wort: „Lasst das meine Sorge sein." Er schaut jedem Einzelnen von uns in die Augen, dann fügt er hinzu: „Amara und Mal ihr bleibt hier. Ich und Ronan reisen mit Quinn."
„Wieso dürfen wir nicht mit?", fragt Mal empört. „Amara ist meine Stellvertreterin. Während ich in Calidoss war, hat sie meine Stellung gut gehalten. Und du? Du musst unsere Armee aufrüsten. Hitschu wird immer stärker. Es könnte gefährlich für uns werden", erklärt Cayden sachlich. Verständnis flackert in Mal's Augen auf. „Wäre es nicht besser, wenn ich hier bleibe? In den Bergen Avendis herrscht zurzeit sehr viel Unruhe", wendet Ronan ein. „Ich war selber vor einpaar Tagen oben. Die Avendaner sind wütend. Ziemlich wütend. Wenn wir Pech haben, zetteln sie einen Bürgerkrieg an", fügt Amara hinzu. „Ihr habt Recht. Es ist besser wenn Ronan hierbleibt", entscheidet Cayden. „Quinn, kann ich dich auf dein Zimmer begleiten?", fragt Ronan mich. „Selbstverständlich", sage ich etwas misstrauisch. Ich habe noch nicht viel mit ihm geredet und wenn, dann waren immer die anderen drei anwesend. „Um Punkt Mitternacht stehe ich vor deinem Gemach. Wenn wir nachts unsere Reise beginnen, können uns nicht viele über den Weg laufen", informiert mich Cayden. Ich nicke und erhebe mich dann.

Schweigend laufe ich neben Ronan durch die Gänge. Bis wir fast an meinem Gemach angekommen sind, sagt keiner von uns auch nur ein Wort. Als ich dann vor meiner Tür stehe, halte ich es nicht mehr aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach nur mich auf mein Zimmer begleiten wollte. „Was möchtest du mit mir bereden?", platzt es aus mir heraus. „Neugierig?" Ein Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht. „Ich wollte nur testen wie lange du die Stille aushältst."
„Lange genug, würde ich sagen. Also, was ist der Anlass?", frage ich erneut. „Ich möchte dich darum bitten noch einmal darüber nachzudenken", antwortet Ronan. „Über was nachdenken?" Verwirrt mustere ich ihn. Von seinem Lächeln ist nichts mehr übrig und seine olivgrünen Augen wirken todernst. „Möchtest du deine Mutter wirklich umbringen? Du könntest es bereuen." Wie schon gesagt ist sie für mich nicht mehr meine Mutter und das Privileg zu leben hat sie meiner Meinung nach auch nicht verdient. „Ja, das ist genau das was ich möchte", sage ich trocken. „Manchmal ist es besser seine Feinde in dieser Welt verrotten zu lassen anstatt ihnen Erlösung zu gewähren. Denk drüber nach."

Den ganzen Tag musste ich an Ronan's Worte denken. Doch als ich um Punkt Mitternacht Cayden vor meiner Tür entdecke, sind meine Zweifel wie weggeblasen. Meine Entscheidung ist gefällt: Die Frau, die einst meine Mutter war, muss aufgehalten werden.

Kampf um CalidossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt