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Lille

"Ich will aber dahin!"
"Lille, nein! Zum letzten Mal!", schrie Mama mich an.
"Warum?! Ich will zu ihm!"
"Du hörst jetzt sofort auf mich anzuschreien. Ich hab es dir schon mal erklärt, dass du da nicht hingehst. Ardy ist krank und braucht Ruhe."
"Und warum darf ich ihn nicht anrufen?"
"Weil er krank ist. Und jetzt Schluss damit."
"Aber-"
"Lille, willst du noch zu deiner Freundin? Dann ist das Thema jetzt vorbei."
Ich seufzte und nickte.
"Gut, soll ich dich hinbringen?", fragte Mama mich.
"Nein, ich laufe dahin. Soll ich wiederkommen, wenn es dunkel ist?"
"Sobald es bei ihnen Abend essen gibt, kommst du bitte wieder, okay?"
"Okay, Mama."
Ich lief schnell nach oben, nahm mir meinen Rucksack und packte meinen Lieblingsteddy ein mit dem ich immer einschlief. Und ich packte auch noch ein paar andere Sachen ein.
"Tschüss Mama! Hab dich lieb!"
"Ich dich auch. Sei vorsichtig."
Dann lief ich los zur nächsten Bushaltestelle und nahm den Bus. Mama darf nichts davon wissen, sonst kriege ich ganz doll Ärger. Aber ich wollte zu Ardy. Ich will sehen wie es ihm geht.
Ich hab dem Gespräch von Mama und Erik gelauscht, als Erik Mama erzählt hat, dass Ardy auf der Intensivstation liegt und in welchem Krankenhaus er ist. Ich konnte schon ein bisschen lesen, also konnte ich den Schildern im Krankenhaus folgen um zur Intensivstation zu kommen. Aber das war echt schwer und es dauerte lange bis ich ankam. Aber die Tür war zu. Doch da war eine Klingel, die ich drückte.
Eine Frau kam heraus und schaute mich fragend an.
"Ich möchte zu Ardy.", sagte ich ihr.
Sie lächelte und beugte sich zu mir runter. "Wer bist du denn?"
"Lille. Ich bin Ardys Schwester."
"Und wie alt bist du?"
"Sechs."
"Wo sind denn deine Eltern?"
"Sie sind zuhause. Ich bin alleine hier."
"Alleine? Du darfst eigentlich noch gar nicht hierhin kommen."
Traurig schaute ich auf den Boden.
"Bitte, nur fünf Minuten..."
"Süße, das geht wirklich nicht. Ich rufe deine Eltern an, ja?"
"Nein! Sie wollen nicht, dass ich hierherkomme."
"Du bist also alleine hier?"
Ich nickte und schaute wieder zu ihr hoch. Dann seufzte sie.
"Weißt du, dass dein Bruder krank ist?"
"Ja, er ist ein Koma. Was ist das?"
Die Frau lachte. "Er liegt im Koma. Das heißt, dass er schläft und ganz viele Kabel an ihm angeschlossen sind. Und ein Schlauch geht durch seinen Mund, damit er vernünftig atmen kann. Das sieht nicht toll aus."
"Das macht nichts. Ich kann das sehen. Ich will nur einmal Hallo sagen."
"Aber wirklich nur fünf Minuten, ja? Ich bleibe bei dir. Und wenn irgendwas ist, dann sagst du mir Bescheid, okay?"
"Okay!"
Ich folgte der Frau und schaute durch die Türen durch.
"Liegen die alle im Koma?"
"Nicht alle. Nur ein paar."
"Werden die alle wieder gesund?"
"Wir geben unser bestes, dass alle wieder gesund werden."
"Und wird Ardy wieder gesund?"
"Das hoffen wir."
Die Frau öffnete eine Tür und zeigte auf das hintere Bett.
"Willst du vorgehen?", fragte sie mich und ich nickte.
Ich lief zu seinem Kopf und schaute ihn genau an. Er hatte ganz viele Kabel und Schläuche an seinem Körper.
"Was ist das an seinem Oberkörper?", fragte ich die Frau.
"Das überwacht seinen Herzschlag. Und der wird dann auf dem Monitor angezeigt."
"Ist der Herzschlag gut?"
"Ja, er ist in Ordnung."
"Hört er mich, wenn ich mit ihm rede?"
"Bestimmt. Aber er kann dir nicht antworten."
Ich nahm Ardys Hand und stellte mich auf die Zehenspitzen um ihn noch besser zu sehen.
"Ardy.", sagte ich leise. "Ich hab dich vermisst. Mama wollte nicht, dass ich zu dir komme. Aber ich musste dich unbedingt sehen. Als ich einmal krank war bist du ja auch zu mir gekommen also ist es nur gerecht, wenn ich jetzt auch zu dir komme. Ich wünschte du wärst zu meiner Einschulung gekommen, aber ich weiß ja, dass du krank bist und das deswegen nicht geht. Das ist in Ordnung."
Ich öffnete meinen Rucksack und holte den Teddy raus.
"Darf ich ihm den geben?", fragte ich die Frau.
"Ja, natürlich."
Ich legte den Teddy direkt neben Ardy.
"Ich brauche den eigentlich immer zum Einschlafen, weil er mich vor bösen Träumen beschützt. Aber du brauchst ihn dringender als ich. Ich hab dich lieb."
Ich holte noch einen Fotorahmen raus wo ich drauf bin, auf meiner Einschulung.
"Kann das Foto hier auch stehen bleiben?"
"Klar, du kannst es auf den Nachttisch stellen, wenn du willst."
"Du schaffst das Ardy. Du bist stark. Und wenn du wieder wach bist, musst du mich anrufen, okay?"
"Lille? Du musst jetzt leider wieder los."
"Ist okay. Aber danke, dass ich ihn sehen durfte."
"Kein Problem. Und dein Geheimnis ist bei mir sicher.", sagte sie lächelnd, weswegen auch ich lächeln musste.

Taddl

Es vergingen, Stunden, Tage und Wochen in denen sich der Zustand von Ardy nicht besserte. Eher im Gegenteil. Er verschlimmerte sich. Immer wieder kommt es bei ihm zu einem Blutdruckabfall und einer erneuten Blutung im Gehirn. Anscheinend war die Blutung irgendwo noch nicht gestoppt worden, doch sein Zustand ist zu kritisch um ihn zu operieren. Es war ein Teufelskreislauf.
Nun saß ich wieder hier an seinem Bett und nahm seine Hand in meine.
"Hey, bitte komm zurück, ja? Ich brauche dich. Verlass mich nicht..."
Fuck, ich würde alles dafür geben nochmal mit ihm zu reden. Ihn in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass ich ihn liebe. Es fühlte sich so an als wäre er weit entfernt. In einer ganz anderen Welt und ich kann ihn nicht erreichen.
Wir sind im Streit auseinander gegangen und mich plagen verdammte Schuldgefühle. Ich hätte ihm die Chance geben sollen sich zu erklären. Wir hätten nicht im Streit auseinandergehen müssen. Und jetzt kann es vielleicht sein, dass wir nie wieder miteinander reden. 
Er wird nie erfahren, dass ich ihn immer noch liebe. Ich weiß nur, dass er mich hasst. Für immer. 
Hätte ich gewusst, dass sowas passiert, hätte ich alles dafür getan, dass wir nicht im Streit auseinander gegangen wären.

(...)

Ich konnte seit Wochen nicht wirklich schlafen und dachte nur noch an Ardy. Selbst in meinen Träumen.
Alle aus seinem Freundeskreis wussten über seinen Zustand Bescheid.
Erik hatte neben Luna und mir auch noch Killian und Ilja als Besuchspersonen eingetragen.
Da wir aber nicht alle auf einmal zu ihm kommen durften, hatten wir eine Gruppe erstellt in der wir uns auch immer wieder auf dem Laufenden hielten.
Und gerade als ich an die Gruppe dachte, schrieb Ilja etwas in die Gruppe.

Ilja
Das Krankenhaus hat grad bei Erik angerufen...

Zitternd nahm ich mein Handy in die Hand und öffnete den Chat um die Nachricht weiterlesen zu können. 
Warum sollte das Krankenhaus bei Erik anrufen? Das taten sie doch nur, wenn etwas Schlimmes passiert ist oder?
Bitte nicht....
Lass ihn den Kampf nicht verloren haben...
Doch als ich Iljas Nachricht weiterlas, kamen mir sofort die Tränen.

Ilja
Er hatte heute Nacht einen Herzstillstand.
Sie haben ihn nach 15 Minuten zurückbekommen. Aber sein Zustand ist nun noch kritischer und der Arzt schätzt seine Überlebenschancen sehr schlecht ein.

Remember us || Fortsetzung von Different WorldsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt