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Es dauerte ungefähr drei Tage, bis der gesamte Ligusterweg wusste, dass jetzt ein Teenager in der Nummer 32 wohnte. Die Meinungen darüber gingen weit auseinander. Einige waren erfreut über den Neuzugang, andere furchtbar skeptisch, dass selbiger Neuzugang ausgerechnet dreizehn war, das, wie es unter Vorstadtehepaaren hieß, unangenehmste Alter fremder (und im Grunde auch eigener) Kinder. Vor allem aber herrschte großflächige Verwirrung, wie Remus Lupin und Mary Macdonald, selbst erst 23, dazu kamen, einen Teenager bei sich aufzunehmen. Für ein Kind zu sorgen, das traute man ihnen zu - einen potenziell vandalierenden, rauchenden, laut Musik hörenden und, ganz wichtig, nicht im Bus für ältere Leute aufstehenden, Jugendlichen im Griff zu haben allerdings eher weniger. 

"Woher kommt er?", wollte Edyta am selben Abend wissen, als sie Remus allein abpasste, während er den Laden sauber machte. "Was ist mit seinen Eltern? Und vor allem: wird es jetzt eine Mai-Tradition von dir, mich mit einem neuen Kind zu überraschen?" 

Remus versicherte ihr, dass er nicht vorhatte, ab jetzt jedes Jahr seine Familie zu vergrößern (mit dem Hintergedanken an Sirius und...hmmm...vielleicht sogar irgendwann Harry), machte er aber keine Versprechungen. Beim Rest hielt er sich an die Neffen-Geschichte, die Frage nach Jerrys Eltern jedoch ließ ihn stutzen. 

Er wusste, Jerry war im Alter von sechs Jahren verwandelt worden. Es war ein Unfall gewesen, Kera war außer Kontrolle geraten und Jerry spielte am Waldrand. Das war Remus immer etwas fischig vorgekommen, dass eine so langjährige Wölfin einfach so die Kontrolle verlor und sich vom Rudel trennte, aber gut, Unfälle passierten und anscheinend hatte Jerry wirklich Pech gehabt.

Remus hatte keine Ahnung, ob er Geschwister hatte, aber seine Eltern waren Muggel gewesen. Da die Existenz von Werwölfen unter das Geheimhaltungsabkommen fiel, war es den Werwölfen eigentlich streng verboten, sich am Vollmond in der Nähe von Muggeln aufzuhalten. Passierten dennoch Unfälle wie der von Jerry, sorgte das Ministerium dafür, dass die entsprechenden Muggel, so sie die erste Verwandlung überlebten, aus dem Verkehr gezogen wurden. Da das Ministerium aber gleichzeitig keine besondere Priorität für das Wohlergehen von Werwölfen hatte, war ihm alles was dann folgte relativ gleich, solange niemand, der es nicht sollte, von der Existenz magischer Wesen erfuhr. Ein verwandeltes Kind wurde bis zum nächsten Vollmond "sicher verwahrt" und dann sich selbst überlassen. Jerry hatte insofern Glück im Unglück gehabt, als dass Kera sich seiner angenommen hatte. Remus hatte die Frau nicht besonders gut gekannt, aber Gerüchten im Rudel zufolge war es wohl ihre Vorstellung von Buße gewesen. Sie hatte Jerry im Rudel großgezogen. 

Zum ersten Mal fragte sich Remus, ob Jerry wohl immer noch als vermisst galt. Ob irgendwo Eltern immer noch die leise Hoffnung hatten, dass sie eines Tages erfahren würden, was aus dem Kind geworden war, das sieben Jahre zuvor in der Abenddämmerung am Waldrand spielen gegangen und nie zurückgekommen war. Er machte sich einen weiteren Punkt auf die gedankliche Jerry-Liste, die im Laufe des Tages immer länger geworden war, in der Hinsicht einmal nachzuforschen. 

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Jerry brauchte Klamotten. Mary beschloss, sich dieses Problems anzunehmen und schlug einen Shoppingtrip vor. Eine kleine Diskussion über das Nichtvorhandensein nötiger finanzieller Mittel und ob man sich einfach so von den Leuten, die einen zwei Tage zuvor aufgenommen hatten, auch noch neue Kleidung spendieren lassen konnte später (bei der sich Mary selbstverständlich gegenüber ihrem neuen Sohn durchgesetzt hatte), sah Remus den beiden von der Ladentür aus hinterher. 

Jerry wirkte in Marys Nähe noch etwas vorsichtig, aber Remus vermutete, dass sich das legen würde, wenn die beiden etwas Zeit miteinander verbringen würden. Also blieben Julie und er im Laden zurück. Bis auf zwei Kunden, die aktuell jedoch keinen Beratungsbedarf zu haben schienen, war es ruhig und Remus nutzte die Chance, einige Kisten heraus zu kramen, die er ganz oben auf die Regale gestellt hatte. Er hatte beim Bücherkaufen für den Laden größere Mengen aus anderen Läden in Südengland günstig erstanden, die schlossen und ihr Inventar vollständig loswerden wollten. Dazu gehörte, dass er mit den Büchern, die er wollte, meist auch noch Kartons voller Kram bekam, den eigentlich niemand brauchte. Dabei waren auch, wie er sich erinnerte, mindestens drei mit alten Zeitungen. 

Der Buchladen im LigusterwegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt