4 - Ein Zettel im Schuhkarton

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Luke wusste selbst nicht so genau, warum er ausgerechnet diesen Sommer beschlossen hatte, danach zu suchen. Vielleicht war es Rachels Kommentar gewesen, als sie an Ostern seine Eltern kennen gelernt hatte.

"Ich finde es lustig, dass du nur einem deiner Elternteile ein bisschen ähnlich siehst", hatte sie gesagt, "und das ist ausgerechnet genau das, mit dem du nicht biologisch verwandt bist."

Luke hatte grinsen müssen, weil es so typisch Rachel war, dass ihr so etwas auffiel. Ihre Liebe zu Mustern und Details war eines der ersten Dinge gewesen, die ihm an ihr gefallen hatten. Sie war in Ravenclaw und ein Jahr älter als er und es war purer Zufall gewesen, dass Harry sie einander vorgestellt hatte. Sie war Kapitänin des Quidditchteams und da hatte er sie auch zuerst bemerkt. Ihre dicken, schwarzen Locken, die schmale, drahtige Statur, die dunkle Haut, noch viel dunkler als Marys oder Jerrys. Und ihre großen Augen, hinter einer dicken Brille, die immer fest auf die anderen Spieler und den Quaffel gerichtet waren, alles registrierten, alles in Sekundenschnelle kombinierten, bevor sie blitzschnell reagierte.

Er wusste bis heute nicht, ob Harry gemerkt hatte, dass er sie aus der Ferne beobachtete oder ob Ginny oder Hermine ihm einen Tipp gegeben hatten oder ob es vielleicht tatsächlich Zufall war. Auf jeden Fall waren er und Harry irgendwann zum Mittagessen verabredet gewesen. Es war nicht ungewöhnlich, seit einer Weile aßen sie häufiger zusammen. Luke hatte den Verdacht, dass seinem Bruder aufgefallen war, wie viel weniger sie sich sehen würden, wenn er im Sommer mit der Schule fertig war und beschlossen hatte, die Zeit bis dahin noch zu nutzen.

An diesem Tag jedoch war Luke ein wenig überrascht stehengeblieben, als er gesehen hatte, dass er nicht allein dort gesessen hatte.

"Rachel, mein kleiner Bruder, Luke", hatte Harry ihn vorgestellt. "Luke, ich bin sicher, du kennst Rachel Greene, Kapitänin der Ravenclaws."

Luke hatte genickt und sich schnell neben ihn gesetzt.

Es war ihm immer noch nicht ganz klar, wie es dazu gekommen war, dass sie sich danach noch einmal zu zweit zum Essen verabredet hatten. Und dann noch einmal. Und noch einmal. Und vor allem nicht, wieso Rachel, die in seinen Augen vermutlich jeden Jungen und jedes Mädchen und alle irgendwo dazwischen hätte haben können, sich tatsächlich entschieden hatte, ihn nach Hogsmeade zu fragen.

Er würde natürlich den Teufel tun, das zu hinterfragen. Nein, für den Moment reichte es einfach aus, dass Rachel ihn anscheinend mochte und Merlin wusste, er mochte sie. Sie hatten einen ähnlichen Humor, waren beide gerne unter Menschen und hatten beide eine geheime Freude daran, nachts im Schloss herumzuschleichen und neue Ecken zu suchen, in denen man sich verstecken konnte.

Luke hatte nicht gewusst, welches Gespräch er mehr gefürchtet hatte - das, in dem er ihr sagte, dass er zwar aussah, wie ein Junge, aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt, oder das, in dem er versuchte, ihr seine absolut wilde Familiendynamik zu erklären. Seinen Vater kannte sie ja noch - wie alle Schüler in seinem Jahrgang und drüber, auch wenn er jetzt, mit sechzehn, nicht mehr so recht wusste, wie gut er das fand.

Zum Glück waren beide Gespräche ziemlich entspannt verlaufen und Rachel hatte seine Familie überraschenderweise tatsächlich kennen lernen wollen, nach "Ich hab eine Mum und einen Dad und dann noch einen Dad, und meine beiden Dads sind verheiratet, aber mein biologischer Dad ist nicht der, den du kennst und dann hab ich noch einen Onkel, der recht viel bei uns rumhängt und irgendwie ist Professor McGonagall sowas wie meine Großmutter, auch wenn keins meiner Elternteile mit ihr verwandt ist und ich hab noch ein zwölf Jahre älteres Geschwisterkind, was mein einer Dad und meine Mum adoptiert haben." Was vermutlich schon sehr für sie sprach, auch wenn sie wirklich nicht noch mehr Punkte brauchte, um die beste Person zu sein, die er je kennen gelernt hatte. Also hatte er sie eingeladen, Ostern mit ihm in Little Whinging zu verbringen und seine gesammelten Elternteile sowie Regulus beschworen, ihn nicht lächerlich zu machen.

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