48. Kapitel - Nur ein Kuss?

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Ich blieb einen Moment lang ganz still stehen und lauschte. Noch ein Schluchzen.

„Alles... okay?", fragte ich zögernd. Ich hatte keine Ahnung, wer sich da in die Mädchentoilette eingeschlossen hatte und offensichtlich weinte, und ich wusste auch nicht, ob ich die Person war, die sie danach fragen sollte, aber... ich konnte es auch nicht einfach ignorieren, oder?

Das Schluchzen verstummte, einen Augenblick später wurde die einzige verschlossene Toilettentür geöffnet und ein schwarzhaariges Mädchen trat heraus.

„Ja, hab' mich nur verschluckt", sagte sie, den Blick zu Boden gerichtet, während sie in meine Richtung gelaufen kam. Riley? Mit ihr hatte ich wahrscheinlich als allerletztes gerechnet. Sie wirkte immer so tough und... ach eigentlich war das schwachsinnig, warum sollte es ihr nicht auch mal schlecht gehen können?

Ich zuckte leicht zusammen, als ich bemerkte, wie sie mich ansah. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich selbst verweinte Augen hatte. Schnell wischte ich die Tränen weg und warf dann einen Blick in den Spiegel. Man sah ich beschissen aus.

„Ist bei dir... alles okay?", fragte Riley und trat neben mich, um sich die Hände zu waschen und sich dann ihre verschmierte Mascara wegzuwischen. Durch den Spiegel hinweg sah ich sie an.

„Jap, auch... verschluckt." Sie lachte und seufzte dann schwer.

„Ich habe so gar keinen Bock auf den scheiß Matheunterricht." Ich nickte.

„Ich auch nicht."

„Wollen wir schwänzen?", fragte sie und sah mich einen Moment hoffnungsvoll an. Ich zögerte. Mathe oder sich mit Riley übers Leben beschweren?

„Definitiv", entgegnete ich und folgte ihr wenig später raus aus den Toilettenräumen. Gemeinsam liefen wir ganz nach oben. Über der zweiten Etage lag ein schmaler Gemeinschaftsraum, den ich bis zu diesem Tage noch kein einziges Mal betreten hatte. Wir hatten Glück, wir waren allein.

Riley und ich ließen uns schwer seufzend auf eines der Sofas fallen und starrten dann nachdenklich an die Decke.

„Mr. Smith wird uns hassen", sagte ich nach einer Weile des Schweigens. Eigentlich interessierte es mich nicht, was Mr. Smith dachte. Er und Mathe waren mir vollkommen egal. Aber ich hatte ein bisschen die Sorge, dass die Schule eine Meldung an meinen Großvater machen könnte und was in diesem Falle passieren würde, wollte ich lieber nicht wissen.

„Ach, wir denken uns ne Ausrede aus und heulen bisschen vor ihm, dann ist der eh überfordert und lässt uns in Ruhe", sagte sie gleichgültig. Hm, wäre schön, wenn das funktionieren würde.

„Woran... hast du dich... eigentlich verschluckt?", fragte ich zögernd. Ich war schon neugierig und vielleicht würde mich das Drama, durch das Riley zu gehen schien, von meinem eigenen ablenken. Verwirrt sah sie mich einen Moment an, ehe sie die Metapher verstand.

„Ach... Liebeskram", brummte sie.

„Ach so, verstehe... bei mir auch." Riley überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. Sie zog ein Bein zu sich rann und begann plötzlich zu erzählen:

„Da ist dieses Mädchen und sie ist so..." Sie seufzte.

„Heiß und geheimnisvoll und wow. Ich glaube, ich war noch nie so verschossen, wie in sie."

„Hm... und wo liegt das Problem?" Riley richtete sich etwas auf, um mich ansehen zu können.

„Sie steht nicht zu mir. Wenn wir allein sind, dann ist es aufregend und schön, aber sobald irgendjemand dazukommt, tut sie so, als wären wir nur Freundinnen." Hm... das erinnerte mich an jemanden.

Zufall oder Magie? (1. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt