Ich war erstaunlicherweise ziemlich gut drauf, wenn ich daran denke wie scheiße es mir gestern noch ging.
Ich hatte mich so für mein Verhalten meinen Brüdern gegenüber geschämt, dass ich mich einfach entschuldigen musste und die beiden waren auch noch so nett mich einzuladen mit ihren Freunden einen Film zu sehen. Um was es dabei ging weiß ich schon gar nicht mehr, so müde war ich. Egal wie sehr mich Sebastian auch mit Politik und Etikette quälten oder wie frustriert ich war, weil ich mich vor dem Training gedrückt hatte, ich hätte nicht so mit ihnen reden dürfen. Sie konnten ja nichts für meine Gefühlslage.
Vielleicht war es auch dieses Gefühl, dass ich auf mich wütend war, dass ich so aus meiner Haut gefahren bin wie ich es noch nie zuvor war. Könnte ich es ändern, würde ich einige Worte zurücknehmen, aber so ging das eben nicht.
Heut morgen blieb ich allein in meinen Zimmer bis Anna kam und mich herrichtete. Sie zog mir ein schlichtes rosé farbenes langes Kleid an und nach einer kurzen Frühstückspause empfing mich Sebastian in alter Frische und triezte mich aufs Neue.
„Also, wiederholen wir das Gelernte von gestern." Das war mein Startsignal und ich versuchte alles über die vier Königreiche zu erzählen. Die anderen drei Königreiche waren ähnlich von der Struktur wie Artemia. Alle Stufe 5 Bändiger waren Adelig oder aber Gesegnete. Die Landschaften waren jedoch komplett anders. Während Artemia sowohl über eine gemäßigte Klimazone bis hin zu subtropischen Landschaften besitzt und sogar eine hügelige Berglandschaft hat, ist das Klima in Winanda brennend heiß. Man konnte es wohl mit orientalisch beschreiben mit einem tropischen Anteil an Regenwald. Sie sollen laut den alten Schriften besonders von den Göttern Ares und Asklepios gesegnet sein, sie seien wohl ein recht kämpferisches Volk. Zelor hingegen ist eine einzige hügelige Landschaft mit satten grünen Wiesen, umringt von Meer und Gletschern und Klippen, die in den Tod führen. Die Hauptstadt Thorley liegt sogar auf einer Klippen Insel, die man nur über die besonderen Luftbändiger Gondeln erreichen kann. Demeter soll ihre schützende Hand über das Land halten und so zu einer besonders fruchtbaren Landschaft verhelfen, weshalb ziemlich viele Güter von dort importiert werden. Heliopos, Dads Geburtsland, ist eine Inselkette wobei eine sogar einen Vulkan hat! Aber von den Bildern die ich gesehen hatte, war es wunderschön mit seinen Sandstränden, den Palmen und vor allem den Festen. Davon hatte ich viel gehört. Kaum ein Volk soll so feiern können wie die, weshalb es nicht verwunderlich ist das gerade Dionysos und Apollo dort verehrt werden. Ich wusste außerdem, dass Dads Bruder dort der König ist und zwei Kinder hat. Caroline und Kasim.
„Gar nicht schlecht, dann gehen wir jetzt wieder über zur Etikette."
Am späten Nachmittag wurde ich endlich der Folter entlassen und meine Füße führten mich wieder wie selbstverständlich runter in die Hallen. Ich konnte es einfach nicht lassen. Ich musste mich einfach selbst herausfordern.
Ich hatte schiss. Gestern war ich so angespannt und von meiner Angst im griff, das nichts funktioniert hat. Allein der Gedanke daran, wie es das letzte mal endete als ich meine Kräfte einsetzte... Ich habe Angst. Aber irgendwann musste man doch zurück in den Sattel, oder? Und wenn es nur wäre meine Neugier zu stillen. Ich musste einfach dieses Kribbeln wieder in mir spüren, vielleicht sogar die Freude.
Ich ging in die Hallen der königlichen Familie und bat meine Aufseher vor der Tür zu bleiben. Falls das in einer Katastrophe endet, brauchte ich dafür keine Zuschauer. Also setzte ich mich in die Mitte des Raumes wie beim ersten Mal als ich mit diesem ganzen verqueren Zeugs anfing und atmete tief durch, um nach dem Feuer in mir zu suchen. Ich fühlte mich sogar ein wenig so wie damals in meiner ersten Stunde: nervös, etwas aufgeregt und doch eigentlich positiv gestimmt.
Ich musste nicht mal lange mein Feuer in mir suchen, aber... etwas stimmte nicht. Wie gewöhnlich rief ich eine kleine Flamme in meiner Hand hervor, aber anstatt sie kontrollieren zu können, schoss mir das Feuer um die Ohren. Ich schrie nur panisch auf und wich der blauen Flamme aus, die sich langsam in eine orangene wandelte. Und als wäre das noch nicht schlimm genug bildeten sich um meine Hände Eiskristalle während meine Aufseher geschockt in den Raum rannten. Ich schien von innen zu verbrennen, wenn nicht sah ich sogar schon Brandbläschen auf meiner Haut! „Holen sie die Königin. Sofort!" Kreischte ich und wollte mich nicht mal zu ihnen umdrehen. Man musste das Feuer durch die Glaswände gesehen haben und ich hoffte, Mom würde schnell kommen. Sie könnte das alles in Ordnung bringen. Sie könnte mich in Ordnung bekommen. Vielleicht ist in mir einfach nur eine Schraube locker. Aber Mom kann das richten. Das weiß ich.
Jetzt in diesem Moment war die Furcht vor mir selbst größer als alles andere. Vielleicht sogar schlimmer als die Angst vor Edwards Schlägertrupp. Es war ein schreckliches Gefühl. Was sollte das alles nur? Waren das noch Auswirkungen von diesem seltsamen Serum was mir Excidium gespritzt hatte oder waren das die Konsequenzen von denen Ramsley immer gesprochen hatte? Das ich mich mehr selbst verletzen sollte, würde ich die Dinge nicht so annehmen wie sie waren? Woher kam überhaupt das Wasser an meinen Händen? Ich weiß es nicht. Ich legte mich einfach auf den Boden, rollte mich zu einem Ball zusammen und weinte still. Ich hörte schon von weitem ihre wallenden Kleider und ihre Stöckelschuhe auf dem Boden, als Mom irgendwas zu den Leuten hinter ihr sagte und sie dann zu mir in den Raum stürzte. Ich rührte mich nicht. „Pippa, Schatz. Was ist los? Hast du dich verletzt?" Sie fiel neben mir auf die Knie, tastete mich besorgt ab und beugte sich über mich. Ich hörte ihre Sorge und irgendwie rüttelte das etwas in mir wach. „Mir geht es gut. Zumindest den Umständen entsprechend. Aber ich bin ein Wrack!" Das erleichterte Ausatmen konnte man nicht überhören. „Du bist kein Wrack. Geb dir einfach Zeit und die Dinge finden sich von selbst." Sehr optimistisch... und das brachte mich auf die Palme. Ich stand abrupt auf, mit Tränen in den Augen und tigerte umher. „Nein, ich bin kaputt. Selbst meine Fähigkeiten sind kaputt. Man hat mich zerstört oder wie würdest du es nennen, wenn man nicht mal sich selbst unter Kontrolle hat?" Ich sah das Fragezeichen in ihrem Gesicht und befreite mich aus ihrer halben Umarmung um es ihr zu demonstrieren. Sonst würde sie mir wohl nie glauben. Ich fiel stöhnend auf den Boden und Mom kam sofort zu mir rüber. Sie legte vorsichtig meinen Kopf in ihren Schoß und streichelte über meine Haare, während ich weinte.
„Ich bin ein Freak." „Nein, mein Schatz. Du bist genau so richtig." „Ach ja, ist es richtig sich selbst beinahe zu grillen? Sich nicht unter Kontrolle zu haben? Ist das richtig?" Sie blieb still und ich wusste, dass sie dazu nichts sagen konnte, als sie aber dann wirklich flüsternd gestand, dass sie nicht weiß was mit mir passiert oder wieso das so war, konnte ich die Tränen auch in ihrer Stimme hören. „Hast du keine Angst vor mir?" „Was? Niemals! Niemals könnte mich etwas davon abhalten dir zur Seite zu stehen. Wir werden das schaffen. Versprochen." „Ich bin alles andere als normal. Ich bin ein Freak, vor dem jeder Angst haben sollte. Ich habe ja sogar vor mir selber Angst..." „Das vergeht sicherlich-" versuchte sie noch zaghaft, aber ich schüttelte nur vehement den Kopf. Ich hatte einen Entschluss gefasst. „Ich kann und will nicht mehr bändigen. Das macht alles nur noch schlimmer. Ihr hattet recht. Ich sollte nicht mehr bändigen." Ich heulte einfach wieder los und Mom nahm mich einfach still in den Arm und wiegte mich vorsichtig hin und her, als hätte sie Angst ich würde jeden Moment zerbrechen. „Du bist etwas besonderes. Aber kein Freak. Denk nicht so über dich. Egal was gerade passiert, wir kriegen das hin!" Das freudlose Lachen kam einfach so aus mir heraus, ohne das ich es aufhalten konnte. „Ich verstehe dich, aber Aufgeben ist keine Alternative. Ich weiß wie viel Druck auf einen lastet mit diesen Fähigkeiten, doch es ist ein Geschenk der Götter, das nur dir gegeben wurde. Aber auch wenn du diese Tatsache nicht magst, du kannst nicht einfach aufhören. Das löst die Probleme auch nicht, im Gegenteil! Du hast solch herausragende Fähigkeiten und du würdest dir mehr schaden, wenn du nicht mehr bändigst als das du dir helfen würdest. Tu dir das nicht an!" Flehte Mom mich an, doch ich hörte nicht auf sie. „Ich kann das nicht, Mom. So stark bin ich nicht." Ich machte mich einfach los und stiefelte von Dannen.
Ich hielt mich an mein eigens aufgelegtes Verbot und langsam konnte sich mein Körper wieder von der Eiseskälte lösen. Zugegeben aber erst 4 Tage später und die Spuren der Verbrennung konnten auch nur durch einen Heiler vernichten. Ich ging auf Abstand zu den Menschen die mich lieben, die ich liebe und zu allen was mich an das Training erinnerte. Ich blieb die meiste Zeit in der Bibliothek, verdoppelte meine Stunden mit Sebastian und in der wenigen freien Zeit beschäftigte ich mich exzessiv mit den Plänen der Tunnel, die ich gefunden hatte. Aber jeden vermeintlichen Geheimgang den ich entlang ging, entpuppte sich als Sackgasse, deshalb war ich um so gespannter was heute bei meiner Erkundungstour durch den Tunnel von der Bibliothek aus raus kommen würde.
Ansonsten war meine einzige Abwechslung Sebastian. Heute wollte er meine Gesellschaftsfähigkeiten testen und ehrlich gesagt war er ziemlich erstaunt, als ich mit meinen musikalischen Fähigkeiten prahlte. Anscheinend hatte ich zuvor ein ziemlich schlechtes Bild von mir aufgebaut wenn er sich so darüber freute, dass ich schon etwas konnte. Nach so langer Zeit war ich zwar etwas eingerostet, doch einmal gelernt war es schwer zu vergessen - besonders wenn man es so sehr liebt wie ich. Aber in den letzten Monaten war einfach nie auch nur ein wenig Zeit geblieben um zu spielen, geschweige denn das ich auf Elima ein Klavier gesehen hätte.
Sebastián war sogar so begeistert von mir, das er mich früher als sonst entließ. Das erste Mal seit Tagen konnte ich dann mit einen Lächeln unseren Unterrichtsraum verlassen und steuerte direkt die Bibliothek an.
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Die Chroniken der Arcani - Das Überleben
FantasyGerade hat sich Philippa an ihr neues Leben gewöhnt und Anschluss in der neuen Welt gefunden, da erschüttert sie ein gelüftetes Geheimnis nach dem anderen und wieder dreht sich Pippas Welt um 180°. Nur dieses Mal war es anders. Sie bezweifelte alle...