Kapitel 42

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Das Geheimnis war raus. Nachdem Robyn das so leichtsinnig rausposaunt hatte, war es vorbei mit meiner Anonymität. Keine zwei Stunden später kursierte ein Video von meinen Kampf mit Avania auf sämtlichen Sendern in Dauerschleife. Vor den Toren des Palastes tümmelten sich Nachrichtenreporter und ich war nicht nur ein Meme, sondern der trendende Hashtag. Dad war furios und tobte seitdem wir zurück in der Suite meiner Eltern waren nur herum. Und auch Moms Bruder Benjamin diskutierte mit mehr Bediensteten und Mitgliedern des Hofstaates als ich sie je in Artemia gesehen habe. Durchgehend rannten Menschen wild umher, Türen gingen auf und schlossen sich auch wieder geräuschvoll. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und saß nur auf der Fensterbank und starrte in den Mond hinauf, wie in der Hoffnung dort Antworten zu finden. „Was machen wir jetzt?" Fragte Dad und fuhr sich mit den Händen durch die verwüsteten Haare. Er schaute alle Anwesenden musternd, fast schon fordernd an, bis sein Blick bei mir hängen blieb und ich meinte eine Sanftheit in ihnen zu sehen. „Die Medien sind gierig. Wir sollten ihnen was geben, bevor sie falsche Behauptungen bringen oder gar tiefer graben. Es gibt Anfragen für Treffen, Interviews und Foto-Termine. Wir könnten sie da rein bringen-" „Nein." Unterbrach Mom, die seltsam still neben mir saß, eine Hand beruhigend auf meiner Schulter liegend und mir etwas Mut schenkte. „Keine Interviews. Nicht jetzt." „Annabelle. Ich bitte dich. Das Ganze hat jetzt schon katastrophale Ausmaße angenommen, die wir kaum kontrollieren können! Es ist nicht nur bekannt geworden, dass eine verloren geglaubte Prinzessin plötzlich wieder aufgetaucht ist, sie jetzt auch noch im Finale gegen ein anderes Königreich antritt um uns zu repräsentieren und zu allem Übel hat sie auch noch blaue Flammen. Wie soll man das erklären, wenn mehrere dutzend Leute das auf Video festgehalten haben? Wie soll man es erklären, dass wir sie versteckt gehalten haben?" Ich ließ betrübt den Kopf sinken. So wie Benjamin abfällig über mich redet, als wäre ich nicht mal im Raum, ließ mich noch mehr verzweifeln. War es dumm und leichtsinnig gegen Avania zu kämpfen? Nein. Ich hatte es unter Kontrolle und ich hatte gewonnen. Robyn ist der Part den niemand beachtet hatte. Ich meine, warum posaunt er mein Geheimnis aus? Welches Recht hatte er dazu? Seinetwegen wird mein Leben sich jetzt grundlegend verändern. Vielleicht hatte ich begonnen mich, meine Fähigkeiten, meinen Titel und alles was sonst noch mit dieser Familie einherging, zu akzeptiert, aber der Rest der Welt? Für den stellte ich mehr als alles andere eine Abnormalität dar. Ich musste es mir nicht mal ausmalen, wie alle anderen darauf reagieren würden, ich wusste es. Genauso wie ich auch. Verängstigt. Machtgierig. Neugierig. Mit nichts davon wollte oder konnte ich umgehen. Keinen Bock das ich das nächste Laborhäschen werde. Ich weiß warum Ramsley seine Forschung geheim gehalten hat. Ich weiß es. Ich will das alles nicht. Könnte ich die Zeit zurück drehen, würde ich es tun. Niemals hätte ich irgendwas davon zugelassen. Niemals. Wahrscheinlich wäre ich soweit zurück gegangen, dass Avania nie irgendwas gegen mich haben konnte, Robyn niemals mehr als ein hilfreicher Bekannter geworden wäre und ich auch niemals Bekanntschaft mit Excidium gemacht hätte. Es wäre alles soviel leichter gewesen. Hätte hätte Fahrradkette. Es war zu spät. Jeder wusste es. Keine Geheimnisse mehr. Nichts was mehr mir gehörte. Ab jetzt würde nichts mehr für mich bleiben. „Es ist aber nicht mehr ihr Leben! Ihr Leben dreht sich ab jetzt um die Krone." Erinnerte Benjamin und ich zog scharf die Luft ein. Ich hatte keine Erfahrung mit diesen Sachen, ich hatte mich ja gerade so damit angefreundet eine Prinzessin zu sein, aber es in der Öffentlichkeit zu sein? Da gehen tausend verschiedene Verpflichtungen mit einher, Dinge die ich nicht mal wusste und erst recht nicht mehr in der Hand hatte. Ein ganzes Team versammelte sich um Benjamin und er stellte sie nur kurz als eine Art PR-Team vor, die uns instruierten wie wir ab jetzt für die nächste Zukunft uns in der Öffentlichkeit zu verhalten haben. Nur noch nötige Interviews, keine ohne weitere Einladung und sämtliche Themen die mich betrafen sollten außen vor gelassen werden. Ich fühlte mich so überfordert und schlagartig war jede Energie aus meinen Körper verschwunden. Die Überzeugung, die ich noch im Kampf mit Avania spürte, hat sich in Luft aufgelöst und langsam bezweifelte ich, dass es das Richtige war. Ich hätte sie reden lassen sollen. Mich nicht provozieren lassen sollen und... keine Ahnung. Ich wusste gerade gar nichts mehr. Ich war müde und je länger ich hier tatenlos rum saß und nur den Mond anstarrte, desto schläfriger wurde ich noch. Nicht mal das Geschrei im Hintergrund konnte mich noch groß erreichen, so vertieft war ich in meine Gedanken und irgendwann bekam ich es auch gar nicht mehr mit und döste vor mich hin.

Dunkle Schlieren durchzogen meinen Verstand und ich versuchte durch den tiefen Sumpf an Gedanken zu waten. Wie zähflüssiger Honig erlebte ich den Kampf mit Avania immer wieder erneut, aber irgendwas störte mich daran gewaltig. Nur konnte ich es nicht benennen. Was war es? „Du Schlampe..."

Ihr Groll gegen mich war nichts Neues, aber all dieses Drama darum, so inszeniert, war nicht mal ihr Stil. Schließlich hat ihr Ruf am meisten darunter gelitten und das war ihr immer zuwider. Es musste mehr dahinter stecken als nur ihr Hass gegen mich, dass ich mit Robyn befreundet bin oder was auch immer. Dabei habe ich es wiederholt ihr und ihm gesagt: da läuft nichts. Alex musste etwas wissen, aber seitdem er mit Robyn wieder auf die Terrasse kam, hatte ich nicht mit ihm geredet und weder er noch Philipp schienen gerade gut auf ihren Freund zu sprechen sein. Egal was da vorgefallen war.

Die Schlieren verdichteten sich, zeigten mir aber die verwirrendsten Bilder. Ich sah Leiter von Excidium, den Stummen, das Mädchen und hörte wieder diese seltsame Stimme aus dem Flur vor meiner Gefängniszelle. Was sollte das alles? Was hat das zu bedeuten?

„Es ist Zeit." Eine sanfte Stimme hüllte mich ein, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, bis sich eine sanfte Hand auf meine Wange legte und mich zwang sie anzuschauen. „Artemis..." murrte ich und sah verschwommen die hellen, blonden Haare der Göttin. „Bleib mutig und stark!" Sprach die Göttin weiter, aber ich schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Ich will nicht. Such dir jemand anderes. Ich bin die Falsche für welche Pläne du auch immer verfolgst!" Och bekam keine Antwort, nur ihre Hand die sich kräftig um meine Schulter schloss, als würde sie mir Mut spenden wollen, selbst jetzt wo ich mich kraftloser fühlte als seit langem. „Wappne dich. Harte Zeiten werden auf dich zu kommen. Ich glaube an dich, mein Kind." Ich schüttelte den Kopf, wollte ihre Stimme vertreiben, aber ich wurde weiter festgehalten. Ich wollte nichts mit all dem zutun haben. Ich habe nie darum gebeten. Ich will nicht mehr... „Nein, nein, nein. Ich will nicht. Hör auf!" Die Stimme redete weiter auf mich ein, aber ich wollte nicht zuhören, als es aber nicht aufhören wollte, schrie ich einmal auf und danach wurde es ganz still. Meine Sicht klärte sich und ich sah Mom vor mir, sowie meine Brüder, Dad und Benjamin. Letzterer schaute mich mürrisch an und das nächste was ich hörte war sein Fluchen. „Nicht nur unnatürlich sondern jetzt auch noch verrückt. Na ganz toll, aber auch." „Halt die Klappe, Ben!" Fauchte Mom und dann sackte ich zusammen und war weg.

Die Chroniken der Arcani - Das ÜberlebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt