Wie alles endete

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Die Sonne stand hoch über den Himmel, als Davut in die Einfahrt vom Haus von Asya's Eltern einbog. Kies spritze von allen Seiten auf, als er an einem Platz parkte, der vor ungewollten Blicken schützen sollte. Er schaltete den Motor aus und stierte schweigend nach vorne. Niemand rührte sich, niemand stieg aus, niemand machte sich überhaupt die Mühe etwas zu sagen. Einen Moment lang schwelgten beide in einer süßlichen Stille und genossen noch die Zeit, die ihnen verblieb, bis Asya wieder ins Haus zurückkehren musste.

"Wie lange noch?", fragte Davut plötzlich und brach somit die friedliche Stille. Asya blickte aus dem beschlagenen Fenster nach draußen auf dem Vorhof, wo sich die Katze aus der Nachbarschaft in ihr Garten stahl. Sie schwieg eine Weile, bis sie ihren Blick vom Fenster riss und Davut ansah. "Wie lange noch muss ich auf dich warten, Asya?"

Diese Worte trafen sie mit voller Wucht; sie hätte nie gedacht, dass ein Satz solch eine Auswirkung auf eine Person haben könnte.

"Davut", begann sie behutsam. Sie wollte ihre Worte mit Bedacht wählen, und in diesem Moment hasste sie sich selbst. Sie hasste es, dass sie so selbstsüchtig, sensibel und leicht zu überzeugen war. Sie hasste die ignorante Seite an ihr, die Davut ohne zu zögern verräterisch den Rücken zugekehrt hatte, sobald sie ihre Eltern wiedergefunden hatte. Je mehr sie darüber nachdachte, desto schwerer fiel es ihr zu antworten.

"Heute Abend", sagte er und drehte seinen Körper in ihre Richtung. "Lass mich dich heute Abend noch einmal sehen." Asya nickte und lächelte, Vorfreude staute sich in ihrem Bauch auf und ihre Wangen glühten. Er schenkte ihr ein warmherziges Lächeln, dass sie mit vollem Herzen erwiderte. Und von diesem Moment an begannen sie sich heimlich bei Dämmerung zu treffen. Sie suchten Schutz im Schatten der Bäume, in den Verstecken zwischen den Büschen, die um diese Jahreszeit einen betörenden Duft verströmten. Und jedes weitere Mal, wenn er lächelte, verliebte sie sich aufs Neue in ihn. Die Zeit verging und die kahlen Äste der Bäume erblühten, die Rosenbüsche im Garten wucherten über den Zaun und die Luft wurde wärmer und milder.

„Ich wünschte, ich könnte jeden Tag so verbringen", seufzte Asya eines Tages unter dem von Sternen bespicktem Himmel. Sie hatte sich an die Brust von Davut angelehnt und beobachtete den dunklen Himmel, lauschte dem Zirpen der Heuschrecken aus der Ferne." Das könntest du wirklich machen", säuselte Davut ihr sanft ins Ohr und presste sie näher an sich heran. Ihr Herz drohte vor Aufregung zu zerpringen, ihr Gehirn verweigerte jegliches logisches Denken. „Asya", flüsterte er sanft gegen ihren Nacken. Er richtete sich auf und sah ihr in die Augen. „Wie lange willst du mich noch warten lassen?", raunte er. Egal, wie düster seine groben Gesichtszüge in der Dunkelheit aussahen, der sanfte Blick in seinen Augen ließ alles Raue in ihn verblassen und stellte alle seine negativen Seiten restlos in den Schatten. „Ich liebe dich", stieß sie hervor und eine schwere Last fiel von ihr herab. Davut sagte nichts. Denn in diesem Moment waren Worte überflüssig; was zählte war das, was sie zur dieser Zeit verspürten. Und er hielt sie fest, als wäre sie ein zartes Blatt, das vom sanften Wind weggetragen werden könnte.
Als Asya's Mutter davon erfuhr tränten ihre Augen vor Erleichterung; sie wusste, dass die Liebe junger Leute wie eine Rose im Sommer war, die sich langsam entfaltet und in ihren schönsten Farben blüht. So lieblich, sanft und süßlich zur selben Zeit.
Und Asya schenkte Davut die Liebe, die sein Vater ihn seine Kindheit lang vorenthielt und er ihr die Zuneiung, die die Demütigung in ihren jungen Jahren ausgleichen sollte. Und sie liebten sich, wie sich ein Ehepaar lieben sollte; im Wandel der Zeit wuchsen ihre zwei kleinen Kinder zu wunderschönen Töchtern heran, die mit ihrer Schönheit und sanftem Gemüt sämtliche Leute um sie herum verblassen ließen. Asya gebar vier gesunde Kinder, die sie innig liebten, und selbst nach Jahren war ihr Glück erhalten geblieben.

Als Asya eines Tages ins Dorf zurückkehrte, um den Grab von Hakan zu besuchen, stattete sie ihrem alten Zuhause einen letzten Besuch ab. Doch die Hütte in der sie einst gelebt hatte war heruntergekommen, menschenleer und die Fenster schmutzverkrustet. Als sie nach Hamida fragte, erzählte man ihr, dass sie gestorben sei und ihr einen Brief hinterlassen hatte, falls sie jemals zurückkehren solle. Und Asya las ihn und der große Groll, den sie gegen ihr hegte flaumte ab, als sie ihren letzten Worten lauschte, die sie zu sagen hatte. Und als sie weinte, hielt Davut sie fest in den Armen und gab ihr den Halt und die Kraft, die sie in diesem Moment brauchte; er flüsterte ihr beruhigende Worte zu und kümmerte sich um sie, bis es ihr besser ging. Und nicht ein einziges Mal haben sie aufgehört sich zu lieben; zwar würden einige Narben ihrer Vergangenheit verbleiben, aber die können sie sich gegenseitig heilen.

Ende

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Ich hoffe euch hat das Ende gefallen, auch wenn es ziemlich kurz ist. :)

AsyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt