Reue

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Kapitel 7/ Reue
Die Tage zogen sich in Länge und Asya hatte seit dem Vorfall vom letzten Mal, kein einziges Wort mit Davut getauscht. Beide gingen sich aus dem Weg um unnötige Diskussionen zu vermeiden, denn beide wussten nicht was sie von sich gegenseitig halten sollten. So kam es vor, dass sie während des Essens, wo alle sich am Tisch niedergelassen haben und genüsslich ihr Essen verspeisten, sich gegenseitig verstohlene Blicke zuwarfen. Man könnte sagen, dass sich beide absichtlich ignorierten um die Gelegenheit zu verringern sich einen weiteren Streit auszufechten.

Der Montag war eingebrochen und Asya musste staunen, dass in nur einer Woche ihr dieser Ort ans Herz gewachsen war. Manchmal sehnte sie sich an ihr altes Zuhause, aber dann kamen ihr all die schlimmen Geschehnisse wieder in den Sinn, der sich all die Jahre zwischen ihr und ihrer Großmutter ausgetragen hatte und sie besann sich wieder. Hier war ihr neues Zuhause. Auch wenn sie sich es nicht gerne eingestand, ihr Dorf lag zu weit weg und die Hoffnung je wieder dorthin zurückzukehren stand so gut wie bei null. Außerdem würde ihre Großmutter, nach den letzten Vorfall keines Blickes würdigen und ihr die Tür vor die Nase schlagen. Aber hier war sie besser aufgehoben, sie hatte jetzt zwei Personen die ihr wirklich ans Herz gewachsen waren und sie zu lieben pflegte. Davut' s Eltern waren die Ersten die es geschafft haben, ihr ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit zu geben. Vor allem die ersten die gegenüber ihr Liebe empfanden und sie als Familienglied ansahen. Ja, hier war sie willkommen, das musste sie sich eingestehen.

Es kam der Tag an dem Jamila und Semih während des Abendessens strahlend etwas verkündigten.

„Euer Ernst? Ihr wollt verreisen?", fragte Davut verblüfft und schaufelte sich eine Gabel, des mit Liebe zubereiteten Salat' s seiner Mutter.

„Ja, toll nicht? Semih und ich verbringen eine Woche in Dubai", erwiderte Jamila fröhlich und setzte ein glückliches Lächeln auf.
„Hast du mal daran gedacht, wer sich um Leyla und Asya kümmern soll?", konterte er wütend und sah mit zusammengekniffenen Augen zu seinen Eltern.

„Hey!", protestierte Asya und strich sich wütend eine Strähne aus dem Gesicht. Aber verstummte augenblicklich als er ihr einen kalten Blick zuwarf, der ihr Blut vereisen ließ.

„Stimmt", meldete sich Jamila zu Wort und legte ihre Stirn in Falten, als ob sie darüber grübelte was sie jetzt machen sollte. Kurze Zeit später schnipste sie mit dem Finger und ihr Gesicht hellte sich wieder auf.
„Ich hab' s!", machte sie allen auf ihre Idee aufmerksam.

„Wir stellen ein Kindermädchen ein, das auf Leyla aufpasst." „Ist 'ne gute Idee", pflichtete Semih ihr bei und nickte ihr zustimmend zu.

„Jetzt ist das Problem wie wir eins herkriegen. Ich meine Leyla redet fast nie und die Kindermädchen die wir angeheuert hatten, haben ihre Stellen in weniger als drei Tagen aufgegeben. Die Längste hat es vier Tage ausgehalten und war dann zusammengebrochen, die Ärmste. Wir haben sie gefragt ob sie zurückkommen möchte, doch sie hat nur gewinselt und vor Angst zu schreien begonnen. Dabei weiß ich nicht einmal, was so schlimm an Leyla ist. Ich mein sie redet sowieso fast nie und wenn sie da ist dann sitzt sie nur still da.", Jamila' s Gesicht verdüsterte sich und es schien so als wäre sie innerhalb weniger Sekunden in Tränen ausgebrochen, wenn Asya nicht ihr vorkam.

„Wenn Sie wollen könnte ich auf sie aufpassen."

„Ist das dein Ernst?", fragte Jamila vorsichtshalber nach, denn sie konnte wahrlich ihren Ohren kaum trauen. „Ja. Und ich mache es gerne.", bestärkte sie ihr Angebot und sah Davut' s Mutter erwartungsvoll an. „Wenn das so ist, gerne. Asya ich weiß nicht was ich sagen soll, du hast uns echt aus der Grube gerettet." „Mach ich doch gern!", winkte sie ab und widmete sich erneut ihrem Essen zu.

Als alle satt waren standen sie auf und alle gingen in ihr Zimmer. Eigentlich waren alle in verschiedenen Richtungen ausgelegt und deshalb wunderte sich Asya, warum einer von ihnen dicht hinter ihren Fersen war. Sie traute sich nicht hinter ihr zu schauen, was einer der Beweise war, dass ihr mulmig zumute ist. Im nächsten Moment wurde sie an der Taille gepackt und über eine Schulter geworfen. Sie schrie auf und versuchte mit ihren kleinen, zierlichen Händen, vergebens, aus dem Griff von Davut zu befreien. Sie konnte ihn so viel schlagen oder beißen wie sie wollte, er ließ sie nicht los. „Lass mich runter", kreischte sie wütend und ihr Gesicht war errötet, weil sie auf den Kopf stand. „Sei still", zischte er sie wütend an und beschleunigte seine Schritte. Schnell zog er eine Tür auf, betrat den Raum und schloss sie wieder zu. Erst dann setzte er sie auf ihren Füßen.

„Was sollte DAS schon wieder?", schrie er in einen herablassenden Ton.

„Bitte was? Was hab ich jetzt wieder gemacht, was dich wütend macht Mister?", ihre Stimme war ebenso hasserfüllt und strotzte nur so von Ironie und hämischen Feixen. Er biss sich wütend auf die Unterlippe und verzog sein Gesicht. Wütend schmiss er die nächstliegende Vase um und die Scherben bereiteten sich am Boden aus.
„HÖR AUF STÄNDIG MIT DINGEN RUMZUWERFEN, DU HUND!" Es war das erste Schimpfwort das Asya gegen ihn aussprach. „Bitte? Redet man so etwa mit seinem zukünftigen Mann? Andere würden sich glücklich schätzen mit so einem Mann wie mich verheiratet zu werden. Wohin ein Dorfmädchen wie dich...naja mir kaum zum Hals reicht. Du bist undankbar, weißt du das?",sein warmer Atem war ihr näher als je zuvor. "Und das mit Leyla...lass die Finger von ihr, sie wird nie mit dir reden geschweige, denn mit dir spielen." Mit diesen Worten wandte er sich dem Gehen zu und hinterließ die Tür sperrangelweit offen. „Du wirst sehn, Davut!", versprach sie sich und setzte ein siegessicheres Lächeln auf.

Es war Donnerstag, der Tag an dem Jamila und Semih verreisten. Asya hatte ihnen so lange nachgewinkt bis das Auto kaum zu sehen war und mit der Zeit aus dem Blickwinkel verschwand.

Asya atmete tief ein als sie die Türklinge herunterdrückte und das Zimmer der kleinen Leyla betrat. Sie staunte nicht schlecht als sie die rosa angestrichenen Wände sah. Überall lagen Regale die mit Spielen überhäuft waren. Ihr Kleiderschrank drohte zu bersten und neben ihren Kleiderschrank häuften sich unzählige Stofftiere dessen Knopfaugen schwarz funkelten. Ihr großes Himmelbett allein nahm ein Viertel des ganzen Zimmers ein. Das kleine Mädchen saß auf ihrem Bett und hielt eine wunderschöne Puppe in der Hand.
„Hey, Leyla. Ich bin es Asya!", begrüßte sie Leyla freundlich und als keine Antwort von ihr kam fühlte sie sich vollkommend fehl am Platz.

„Ich weiß zwar nicht was für Manieren du gelernt hast, aber es ist unhöflich einen Menschen nicht zu begrüßen, weißt du?" Zum ersten Mal seitdem Asya den Raum betreten hatte, sah sie Leyla richtig an. Sie hob eine Augenbraue hoch und meinte daraufhin:"Ach?"

Asya beschloss diese Bemerkung zu ignorieren. „Hast du Hunger?"
„Was ne!" War die knappe Antwort. „Willst du jetzt essen oder nicht?!" Dieses Mädchen trieb sie noch in den Wahnsinn...

„Nein." Okey, sie redet. Das ist schon mal gut...
Asya schien von der Situation genervt zu sein und trippelte mit den Fingern an der Fensterbank. Das Fenster war angekippt und draußen wehte ein kühler Wind. Dunkle Wolken zogen an ihr vorbei und der Wind blies die leichten Vorhänge zur Seite. Asya vermutete, dass sich gerade ein Gewitter aufbraute.
„Könntest du endlich damit aufhören!", erklang die gereizte Stimme von Leyla.
„Wieso? Stört es dich?", erkundigte sich Asya gespielt neugierig.
„Ja", sprach sie in ihrer heiseren, jungen Stimme.
„Schön für dich!", entgegnete Asya unwirsch und begann noch schneller mit den Fingern zu trommeln. Sie unterdrückte sich ein Lächeln.
Dieses Mädchen war zu verwöhnt und brauchte unbedingt jemanden der ihr zeigte, dass nicht jeder ihre Befehle gänzlich ausführte.
Jemanden der ihr zeigte, dass sich nicht alles um sie drehte.
„Hör sofort auf damit!", schrie Leyla, doch Asya schüttelte sich lachend den Kopf und sah sie anschließend mit ihren funkelnden Augen an.
„Nö", sagte sie in einer provozierenden Stimme was Leyla noch wütender machte als alles andere bis jetzt. Schreiend hielt sie sich ein Kissen vor den Kopf und schrie vor Frust hinein.
„Ich hoffe du erstickst daran", dachte sich Asya doch ging trotzdem zu ihr hin.
Sie nahm ihr den Polster vom Gesicht und wusste einen Moment nicht was sie sagen sollte.
„Hast du wenigstens jetzt Hunger?"
Leyla lächelte über die dumme Frage und schüttelte den Kopf.
(...) Regen prasselte gegen die Fensterscheibe und ab und zu zuckten Blitze auf. Asya machte den Vorhang zu. Wenn sie etwas Sinnvolles über Kinder gelernt hatte, dann dass sie vor Gewitter, Angst haben, wenn man sie dazurechnete.

Es kostete Leyla eine Menge Überwindung, nicht die Puzzleteilchen auf den Boden zu werfen, und als sie später endgültig ausrastete beschlossen sie etwas nach ihrer Wahl zu unternehmen.

Später saßen sie am Puppentisch und Leyla nahm die Plastikkanne und tat so als ob sie Tee in die Becher goss.
Sie spielten eine Weile 'Teetreffen' bis Asya müde wurde und ihr sagte sie solle schlafen gehen. Schnell schlüpfte Leyla in ihr Schlafanzug und legte sich ins Bett hin. Ihre Decke zog sie bis zur Nase hoch und kuschelte sich ein.
Asya schnappte sich ein Buch und las ihr eine Geschichte vor, bis sie endgültig dabei war einzuschlafen. Die Augenlider der Kleinen wurden immer schwerer. Im Spalt ihres Augenlichts konnte sie noch sehen wie Asya das Licht zu machte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab.
„Schlaf gut meine Süße", hatte sie ihr zugeflüstert.
„Abla?", fragte Leyla mit ihrer müden Stimme.
„Ja?"
„Ich hab dich lieb", flüsterte sie in ihrer zuckersüßen Stimme und brachte ein herzhaftes Gähnen zustande.
Asya erstarrte vorrübergehend. Es würde seltsam klingen ihr dieselben Worte zu wiederholen, doch sie fasste sich ans Herz.
„Ich dich auch, Leyla."
Leyla lächelte müde und kuschelte sich in ihre Decke ein, bis sie endgültig ihre Augen schloss und friedlich vor sich hin schlummerte.
Asya lächelte und betrachtete sie eingehend, währenddessen sie über ihr lockiges Haar streichelte.

Davut hatte die Beiden belauscht. Wie hatte sie es geschafft sich mit ihr anzufreunden? Und nun wurde ihm endgültig bewusst, dass er diese Heirat auf keinen Fall mehr verhindern könnte. Dieses Mädchen, dass erst seit einer Woche hier war, hat sich innerhalb wenigen Tagen in das Herz seiner Eltern eingeschlossen und hatte sich mit Leyla angefreundet.-Das was niemand zuvor geschafft hatte. Er würde sie heiraten müssen, so wie es die Eltern vorschrieben.

Mit einem leisen Quitschen öffnete sich die Tür und plötzlich erschien Asya an der Türschwelle. Davut sah in ihre Augen und spürte ein komisches Prickeln an seiner Wange. Bereute er es wirklich sie je getroffen zu haben?

AsyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt