Wieder vereint

2.4K 83 2
                                    

Kapitel 24/ Wieder vereint

Es war so, als zöge sich etwas in ihrer Brust zusammen. Das konnte nicht sein, redete sie sich ein, das durfte nicht sein. Mit ihrer rechten Hand hielt sie die Kette mit der verschnörkelten Schrift fest und blickte abwechselnd zu dem marmornen Grabstein und der Kette. Mahmoud. Asya Mahmoud. Es war im Dorf Tradition gewesen, seine Kinder nach den Vornamen des Vaters oder Großvaters zu benennen. Sie blickte wieder auf dem glänzenden Grabstein und ihr Blick wanderte zu den weißen Rosen, die die kahle Erde mit ihrer lieblich zarten Farbe schmückten. Wessen Sohn, Enkel, Bruder oder Freund auch immer es sein mochte, ein Liebender war hierhergekommen und hatte Blumen an den Grab gelegt. 'Samir Mahmoud 1979-1980' hieß es auf den Stein und Asya fuhr mit den Fingern über die Lettern des Nachnamen. Jetzt wusste sie, weshalb der Name ihr an jener Nacht so vertraut vorgekommen war, als sie mit Davut an dieser Stelle vorbei gegangen war. Sie schüttelte ungläubig den Kopf und stand lächelnd auf. Wieso um alles in der Welt, sollten sie ausgerechnet in diesen Ort leben? Selbst wenn sie es täten, sie war erwachsen geworden. Ihre Eltern hatten sie sicher längst vergessen, hatten bestimmt neue Kinder bekommen und ihren ersten Verlust erfolgreich überwunden. Aber du bist immer noch tief in ihnen drin, Asya. Sei nicht immer so pessimistisch, flüsterte eine weiche Stimme in ihrem Kopf, sodass sie nicht anders konnte, als zu lächeln.

»Wo warst du?« Die Haustür schloss sich mit einem leisen 'Klick'. Sie war kaum einen Schritt gegangen, als sie seine angespannte Stimme wahrnahm. »Ich war spazieren«, flüsterte sie leise und zog ihre Schuhe aus. »Alleine?«, fragte Davut etwas merkwürdig und wirkte ein wenig verwundert, als sie nickte. »Ist etwas?«, fragte sie, als sie seinen besorgten Blick bemerkte. »Was ist los mit dir?«, fragte er leise und kam ihr langsam näher. »N-nichts. Ich bin nur müde -« »Asya, ich weiß, dass da etwas ist«, hauchte er und sein heißer Atem schien ihr den Nacken zu versengen. »Falls etwas sein sollte, kannst du ruhig mit mir reden«, säuselte Davut neben ihrem Ohr und sie gab sich große Mühe nicht zusammenzuzucken. »Es ist wirklich nichts«, bestärkte sie ihre Worte und versuchte ihre eigene Lüge so glaubhaft wie möglich klingen zu lassen. Er presste seine warmen Lippen gegen ihre kühle Stirn, aber Asya entzog sich ihm schnell. »Ich bin wirklich müde, Davut, ich geh und leg mich jetzt hin«, sagte sie etwas lauter, als vorhin. Er zögerte eine Weile, Asya nutzte diesen Moment aus und schielte zu seinem außergewöhnlich hübschen Profil, mit der markanten Nase, dem schmalen Mund und den einzigartigen grauen Augen, die im schwachen gelblichen Flurlicht silbern aufleuchteten und in der Sonne manchmal bläulich reflektierten. Er öffnete seinen Mund um ihr etwas mitzuteilen, schloss ihn dann aber wieder, als schien er sich es anders überlegt zu haben und warf ihr ein viel sagenden Blick zu. »Davut, ich weiß, dass du mir etwas sagen möchtest, also los«, drängte sie ihn und unterdrückte ihre Müdigkeit. »Meine Mutter hat angerufen und uns zu ihnen eingeladen, ich habe ihr gesagt, dass wir kommen würden. Du hast doch nichts einzuwenden?«, fragte er und runzelte seine Stirn, woraufhin er seine Haut in Falten legte. Seine Augen funkelten im trüben Dämmerlicht, dass durch einen Spalt der dicken purpurnen Vorhänge sickerte und helle Lichtstreifen auf den dunklen Boden warfen. Sie schüttelte ihren Kopf:»Schon gut, ich halt das schon aus.« Er lächelte sie an, ein gequältes Lächeln, dass sie am liebsten nicht gesehen hätte. In den letzten Tagen haben sie sich nicht ignoriert, und doch wäre es viel besser gewesen, als sich die Fröhlichkeit vorzutäuschen, die Besorgnis. Als Davut ihr den Rücken zukehrte und in den prunkvoll ausgestatteten Salon verschwand, verspürte Asya den Drang ihn an den Arm zu fassen, ihn vom Gehen abzuhalten. Sie verspürte den Drang in seinen starken Armen zu liegen, seine Wärme zu spüren, wie die Geborgenheit sie überflutete. Davut, was hast du bloß mit mir angestellt?

»Es ist genau wie in den alten Zeiten, wo du an Asya noch hier wart, Davut«, lachte Jamila und butterte sich ein Brot. Einen Moment lang herrschte angespannte Stille und außer das Klappern, des Geschirrs, war kaum ein Laut zu vernehmen. »Ihr müsst unbedingt bis morgen hier bleiben, meine Süßen. Morgen kommen Yasmi-« »Jamila, Liebes. Das sollte eine Überraschung werden«, sagte Semih. »Stimmt«, murmelte sie und ihre Wangen glühten. »Ich weiß nicht ob wir bis morgen bleiben können«, gab Davut preis und warf einen fragenden Blick auf Asya zu. »Nein, schon gut. Wir bleiben«, flüsterte sie und alle im Tisch warfen sich besorgte Blicke zu. »Asya, mein Kind. Ist etwas?...« »Nein, es ist alles in Ordnung«, log sie und betete, dass sie ihre neugierigen Blicke endlich abwenden würden. »Bist du dir sicher?«, vergewisserte sich Jamila und Asya nickte zuversichtlich, wobei ihre glänzenden Haare auf und ab hüpften. »Ja, ich bin nur - etwas müde. Mehr nicht.« Das war ungelogen, denn ihr Kopf pochte und ihre schweren Lider fielen ihr immer zu, so als bestünden sie aus Blei. Die klaren Bilder erschwimmen vor ihren Augen und Davut schien zu verstehen, denn er rückte seinen Stuhl nach hinten, stand auf und gähnte sich seufzend. »Ich bin auch richtig müde geworden«, sagte er und blinzelte. Er nahm Asya bei der Hand und zog sie sanft hoch. »Wir gehen dann einmal schlafen.« Semih nickte und stocherte in seinem Salat herum. »Gute Nacht, Leyla«, sagte Asya, bückte sich und drückte ihr einen kleinen Kuss an die Wange, ehe sie den Druck auf ihren verschränkten Händen erwiderte und sie sich endgültig vom Esstisch entfernten. »Davut, wir gehen in die falsche Richtung«, meldete sie sich zu Wort, als sie in einen ihr fremden Korridor einbogen. »Nein, wir schlafen heute in mein altes Zimmer«, sagte er und öffnete eine hölzerne Tür mit goldenem Griff.

Der Raum war prunkvoll und luxuriös eingerichtet worden. Oben an der Decke prangte ein Kronleuchter, der mit etlichen Kristallen versehen war. Die Wände waren in einen edlen braunen Ton angestrichen worden und ein großes Bett nahm einen großen Teil des Zimmers ein. »Möchtest du dich nicht hinlegen?«, fragte er sie nach einer Weile und Asya nickte. »Aber ich habe immer noch meine Sachen an«, meinte sie verlegen und Davut zuckte mit den Schultern. »Du hast immer noch deine Unterwäsche«, lachte er, verstummte aber abrupt, als er ihren wütenden Blick sah. »Du kannst meine Sachen anziehen«, brachte er nach einer Weile hervor und reichte ihr ein paar Kleidungsstücke. Nachdem sie sich im Bad umgezogen hatte, wusch sie ihr Gesicht, putzte ihre Zähne und trocknete sich ab. Als sie sich ins Bett legte, stierte sie auf die goldverzierte Decke, deren Monogramme sich deutlich von den dunkleren Farben abhoben. Es sah fast so aus, als läge sie unter einem großen Gewölbe und wäre sie in diesem Moment nicht so müde gewesen, dann hätte sie diese Aussicht genossen.

Sie spürte etwas warmes neben ihr, den schweren süßlichen Atem auf ihren Nacken, eine schwere Hand auf ihrer Taille. Gleisendes Sonnenlicht blendete ihre Augen, als sie ihre schweren Lider öffnete und sich aufrecht setzte, wobei die schwere Hand von Davut zur Seite rollte. Er sah so friedlich aus, wenn er schlief. Seine dichten Wimpern glichen die eines kleines Kindes, und doch minderte das nichts an seiner Männlichkeit. Seine düsteren Gesichtszüge sahen so weich aus, sodass sie nicht anders konnte als mit ihrem Zeigefinger über seine weiche Haut zu fahren. Er rümpfte seine Nase und wälzte sich auf die andere Seite des Bettes, den Rücken der unbarmherzigen Sonne gekehrt. Da es eisig kalt war und Davut' s Arm stark zitterte, nahm sie seine weiche Decke und deckte ihn sorgfältig zu.

'Dump'

Was war das?

'Dump'

Das Geräusch drang gedämpft von unten, nach oben und Asya beschloss nachzusehen, was passiert war. »Es tut mir leid«, schniefte eine fremde Frauenstimme. »Schon gut«, behauptete Jamila. »Die Tasse fand ich schon immer hässlich.« »Also, antwortest du mir auf die Frage oder nicht?«, fragte sie vorsichtig und die fremde Frau verstummte. Wahrscheinlich war ihr die Richtung von dem Gespräch unangenehm?, dachte Asya und war gerade dabei zu verschwinden, denn belauschen wollte sie niemanden. »Ich vermisse meine Tochter, Jamila. Ich vermisse meinen Sohn, das ist alles«, erwiderte sie. »Ich kenne dich seit achtzehn Jahren, Yasmin. Ich kenne dich in und auswendig, jede Lüge ist überflüssig«, ihre Stimme war kaum ein Flüstern. Asya erstarrte: Diese Stimme kam ihr so vertraut vor...Das Schluchzen wurde lauter, heftiger. »I-ich h-habe es s-so of t versucht. Ich kann es-s n-nicht mehr. Ich halt das einfach nicht mehr aus-s«, hickste die Frauenstimme. »Es tut mir so leid, Yasmin. Aber ihr geht es doch bestimmt gut, ihre Großeltern werden gut um ihr gesorgt haben, du bist schließlich ihre einzige Tochter. Sie können ihr einziges Kind nicht so leicht vergessen. Sei unbesorgt-«, was auch immer Jamila sagte um der klagenden Frau zu helfen, es half nichts. »Meine Mutter hat mich nie geliebt, Jamila. Sie wollte mich gegen meinen Willen an einem alten Perversling verheiraten, nur um mich von Adnan zu trennen. Sie war gegen unsere Heirat. Ich wünschte...ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen...wir wären früher geflüchtet. Meine Mutter hätte erkannt, wie schrecklich sie gewesen war und Asya-«, sie brach ab. »- und Asya, wäre immer noch bei mir.«

Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Aber das war es.

AsyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt