Unwissend

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Kapitel 11/ Unwissend

"Aber seit ihr euch da wirklich einig?", fragte Jamila zum ungefährst hundersten Mal.
"Ja", antwortete Asya zuversichtlich und setzte ein falsches Lächeln auf um sie zu überzeugen, dass alles in Ordnung sei.
"Gut", sagte Jamila noch etwas unsicher und lächelte ihr zu. "Asya, falls irgendetwas ist, dann komm einfach zu mir."
Einen Moment wartete sie, doch es kam nichts. Asya lächelte gequält und erhob sich vom Stuhl.
"Ich muss jetzt wieder gehen, ich bin müde", murmelte sie.
Jamila nickte und Asya gab ihr zum Abschied einen Kuss auf die Wange.
"Schlaf gut", flüsterte sie schüchtern und verließ das Zimmer.

Als sie endlich draußen war, atmete sie erleichtert aus und knöpfte sich Davut vor.
Wütend schritt sie den Korridor entlang und bog bei dem Gang, wo sein Zimmer lag ein.
Das Haus war dunkel geworden und keine Menschenseele trieb sich in den Gängen herum.
Vor seiner Tür angelangt, klopfte sie so derbe gegen die Tür, sodass ihre Knöchel schon wehtaten, doch sie konnte ihren Zorn einfach nicht zügeln.
Davut riss die Tür auf und kam etwas verwirrt auf die Türschwelle.
Beim Anblick von Asya, wollte er ihr schnell die Tür vor der Nase schlagen, doch das hatte sie vorrausgesehen und betrat schnell sein Zimmer, das ganz allein von einer Nachtischlampe beleuchtet wurde.
Sie baute sich vor ihm aus und stemmte die Hände an die Hüften, während sie ihm wütende Blicke zuwarf.
Vorsichtig spähte er zum Gang und machte die Tür zu, damit ihnen niemand zuhörte.
"Was willst du?", rief er aufgebracht.
"Was ich will? Ist das dein Ernst? Was soll der Schwachsinn!?", schrie sie ihn an und ihr Zorn schwoll bei jedem Wort mehr an.
"Wer denkst du, wer du bist, dass du einfach in mein Zimmer reinstürmst und mich anschreist!", herrschte er sie an und sie zuckte bei seinem wütenden Ton zusammen.
Ihr Mut verflog so rasch wie es gekommen war und nun war es Davut der sie einschüchterte.
Er wandte ihr den Rücken zu, riss die Tür wieder auf und wollte das Zimmer verlassen, doch Asya ließ sich nicht so leicht vertreiben und griff noch seinem Handgelenk.
"Ich will eine Antwort auf meine Frage!", sagte sie leise, dennoch verständlich. Davut sah erstaunt auf ihre Hand und Asya zog es rasch wieder an sich.
Er hob eine seiner Brauen hoch und seine Augen funkelten sie mit einem neuen Glanz an.
Er kam ihr immer näher, bis er vor ihr stand und sie die Wärme, die von ihm ausging, spüren konnte.
Asya wich einen Schritt nach hinten und spürte wie sie gegen sein Schreibtisch stieß.
"Du willst es also wirklich wissen?", flüsterte er und sein Atem striff ihre Wange. Asya zitterte und schluckte vernehmlich.
Davut rückte ihr immer näher und stützte seine beiden Hände gegen die Tischplatte, sodass Asya sich fast nicht mehr bewegen konnte.
"Zunge verschluckt?", gluckste er, und wäre er ihr in diesem Moment nicht so gefährlich nahe gewesen, hätte sie ihm eine gescheuert.
Doch insgeheim wusste sie, dass Davut um vieles kräftiger als sie es war und sie keine Chance gegen ihn hätte.
"N-nein!", stammelte sie und versuchte ihre Nervösität hinunterzuschlucken.
"Seit wann so schüchtern?", höhnte er und sah ihr tief in die Augen.
Mittlerweile war seine Nähe unerträglich und sie schubste ihn mit Leibeskräften, woraufhin er sie auslachte und sich keinen Millimeter vom Fleck rührte.
"Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mir nicht zu nahe kommen sollst?", rief sie aufgebracht und versuchte so viel Distanz zwischen ihn zu bringen, wie es möglich war.
"Gewöhn dich dran!", meinte er ,"bald sind wir verheiratet und da wirst du sowieso keine Wahl haben, als in meiner Nähe zu sein!"
Das war zu viel, dachte sich Asya und verpasste ihm eine dermaßen starke Ohrfeige, sodass ihre kleinen Fingerabdrücke deutlich auszumachen war.
Ihre Handinnenfläche brannte und ihre Augen wurden feucht.
Wie konnte er es wagen, so unverschämt mit ihr zu reden?
Davut zog wütend seine Augenbrauen zusammen, packte sie an der Taille und zog sie näher an sich.
"Siehst du diesen Ring, Asya?", fragte er sie flüsternd und deutete auf ihren Finger, wo der Verlobungsring angebracht war.
"Wir sind verlobt, auch wenn nicht ganz freiwillig. Was ich damit meine ist, früher oder später hätten wir so oder so geheiratet!"
"Das ist nicht die Antwort auf meine Frage", wisperte sie unter Tränen und riss sich von ihm los.
"Ach und was dann? Denkst du ich mach das hier alles freiwillig? Ich wollte meine Mutter nur einmal stolz machen, indem ich ein anständiges Mädchen heirate", begann er ihr zu erklären und sah sie
vorwurfsvoll an, als sei sie schuld an Allem.
Asya schüttelte traurig den Kopf:"Du weißt nichts über mich, Davut!"
"Doch!", rief er wütend," Du bist ein Dorfmädchen, dessen Eltern es nicht mal interressiert, dass ihre Tochter wegzieht. Denkst du ich hab nicht gemerkt wie sich deine Großeltern gefreut haben?"
Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihre Brust und ein dicker Kloß im Hals, schnürte ihr den Atem zu, als er ihre Eltern erwähnte.
"Deine Eltern wollten dich sicherlich nicht bei sich haben, deshalb haben sie dich alleine gehen lassen!"
Merkte er nicht, welchen Schmerz er ihr mit diesen Worten zufügte?
"Du weißt nichts!",flüsterte sie und stürmte verletzt aus seinen Zimmer.
Davut sah ihr hinterher, mit einem Anflug von Trauer, dass sogleich wieder so schnell verschwand wie es gekommen war.

Mit voller Wucht, schmiss Asya die Tür ins Schloss und warf sich auf das Bett ,wo sie bitterlich zu weinen anfing.
Etliche Schluchzer drangen aus ihrer Kehle und sie hatte das Gefühl in diesem Raum zu ersticken.
Sie fächerte mit ihren beiden Händen um ihr Gesicht und versuchte sich zu beruhigen.
Die Stimme von Davut drang ihr wieder ins Gedächnis:"Deine Eltern wollten dich sicherlich nicht bei sich haben, deshalb haben sie dich alleine gehen lassen!"
Auch wenn er nichts von alldem wusste, hatte Asya den Anschein, dass Davut Recht behielt.
Vor Verzweiflung hämmerte sie gegen ihr Kleiderschrank und ihr alter Koffer fiel vor ihren Füßen.
Ihre ganzen alten Sachen lagen am Boden zerstreut, doch bemerkte Asya etwas, was sie noch nie wahrgenommen hatte.
Das obere Fach, des zerbeulten Koffers war aufgegangen und ein schwerer Umschlag war zu sehen.
Asya griff danach und betrachtete es genauer. Es war nicht adressiert und war schwer, als ob etwas hartes drin wäre.
Sie zögerte eine Weile, ehe sie vorsichtig den Umschlag öffnete und ein vergilbtes Blatt rausnahm.
Vorsichtig entfaltete sie das Baltt und ihre Augen begannen die fein säuberliche Schrift, die höchstwahrscheinlich von einer Dame abstammte, zu lesen.
Ihre Augen flogen über die Zeilen und mit jedem Wort weiteten sich ihre Augen:

"Meine Tochter
Wenn du das hier liest, bist du sicherlich schon groß geworden.
Du weißt nicht welchen Schmerz ich gerade fühle, während ich diesen Abschiedsbrief schreibe.
Dein Vater und ich wollten nie jemanden Schmerzen hinzufügen, und schon gar nicht unser eigenes Kind, aber das Schicksal wollte es so.
Du weißt nicht wie ich mich fühle, mein eigenes Fleisch und Blut alleine zu verlassen, doch ich habe keine andere Wahl.
Mein Kind zu verlassen, dass ich selber auf die Welt gebracht habe.
Wenn du etwas brauchst, dann geh zu Hakan. Er wird immer für dich da sein und dir helfen, wo du Hilfe benötigst.
Ich weiß, dass du mir vielleicht nie im Leben verzeihen wirst, was ich dir angetan habe, und das kann ich auch sehr gut verstehen.
Aber ich will, das du weißt, dass dein Vater und ich, dich über alles lieben.
In dem Briefumschlag wirst du eine goldene Kette finden, die ich mit meinem letzten Geld für dich gekauft habe.
Ich wollte dir etwas hinterlassen, dass dich an uns erinnert und auch gleichzeitig daran, dass du immer jemanden hast, der dich vom ganzen Herzen liebt.
Und auch hoffe ich, dass du deine leiblichen Eltern trotz Allen nicht vergessen wirst.
Deine Mutter."

Asya betrachtete das Blatt genauer und erkannte, dass an manchen Stellen, die Schrift verschwommen war.
Das dürfte der Beweis sein, dass ihre Mutter während des Schreibens geweint hatte.
Mit zittrigen Händen griff Asya zu den Umschlag und spähte vorsichtig hinein.
Sie holte eine wunderschöne, goldene Kette zum Vorschein, die etwas ovalförmig war und bemerkte den Spalt in der Mitte.
Asya begriff sofort und öffnete sie, worrauf sie zum ersten Mal die Bilder ihrer Eltern zu Gesicht bekam.
Ihre Mutter hatte das selbe braune Haar und die selbe Augenfarbe. Aber das Mädchen auf dem Bild war atemberaubend schön.
An der anderen Seite des Medaillon's war ein Bild von einem jungen Mann abgebildet, der ebenso hübsch war wie Yasmin.
Weinend presste Asya den Brief und die Kette an ihre Brust.
Ihre Eltern hatten sie also nicht vergessen.

Vorsichtig trat sie vor den Spiegel und legte sich die Kette um.
Ihre Fingerspitzen berührten sanft, ihr Name der eingraviert war und lächelte zum ersten Mal seit Langem.

AsyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt