4. Kapitel

27 0 0
                                    

Ein lautes Piepen Drang durch meinen Gehörgang zu mir durch. Ich öffnete leicht ein Auge. Atmen. Stattdessen keuchte ich erneut und wollte auf, um nicht an meiner eigenen Spucke zu ersticken. Aber es ging nicht.
„Hey, hey, langsam langsam!" eine helfende Hand nahm mich am Rücken und half mir auf. Das Zimmer war hell erleuchtet. Es blendete mich. Alles in weiß. Der Geruch nach Desinfektionsmittel stieg in meine Nase. War ich etwa im Krankenhaus? Sofort bekam ich Panik und sah hilflos die Person an zu der die Hand gehörte. Ich kannte das Gesicht. Sogar sehr gut. Die Augen, die Haare, die Nase. Etwas sagte mir, dass ich dieses Gesicht mein Leben lang kenne. Krankenhaus? Justin?
„Justin?" fragte ich mit aller Kraft. Er nickte nur und lächelte freundlich. „Wa...was mach ich hier? Wie...wie bin ich...hier her...?"
„Das war ich. Du hattest einen Surfunfall. Ich habe dich am Strand gefunden." Unfall? Die Bilder der reißenden Wellen, die Wasseroberfläche genau vor mir, aber doch so unerreichbar. Blut. Ich fasste mir an die Nase. Es schmerzte und zuckte alles.
„Die hast du fast gebrochen. Aber darum habe ich mich schon gekümmert." meinte Justin. Ein fettes Pflaster lag darauf und meine Hände waren umwickelt mit weißem Verband. Ich sah fraglos an mir herunter.
„Die Hände hat's nicht so schlimm erwischt." erklärte mir Justin die Fragen die in meinem Kopf herumschwirrten. „Du musst dich beruhigen. So viel Puls ist nicht gut. Du hast eine Menge Blut verloren, aber das kriegen wir alles wieder hin. Deine Eltern sind auch schon auf dem Weg."
„Meine Eltern? Oh bitte nicht, nein!"
„Warum? Sollen sie etwa nicht kommen?"
„Nein, sie werden mich sowas von umbringen!" ich sah vor meinem inneren Auge schon wie meine Mum hysterisch mit ihren Armen herumfuchtelt und mir ein Surfverbot austeilt. Nein danke!
„Dich umbringen? Ich denke das sollten sie lieber lassen." Justin drückte mich leicht in das große weiße Kissen zurück. Er setzte sich zu mir an die Bettkante. „Ich pass schon auf, dass sie dich nicht umbringen." er grinste leicht.
„Du verstehst das nicht, ich war Surfen im Dunkeln. Das darf ich eigentlich nicht." ich biss mir leicht auf die Lippe, bei dem Gedanken an das Surfen durchfuhr mich ein Schaudern. Ich begann leicht zu zittern.
„Hey, Claire, alles gut. Beruhige dich. Ich pass auf dich auf. Du musst dich jetzt ausruhen. Schlaf ein bisschen." er strich sanft über meinen Arm. Ich verlangsamte meine Atmung und lies meine Augenlieder zufallen.
„Machst du die noch zu?" ich deutete auf den Jalousien. Justin stand auf und knipste den Schalter herunter, der die weißen Jalousien herunter fuhr. Ich lies meinen Kopf auf die Seite fallen und dachte an ein leises beruhigendes Rauschen des Meeres. Ich war fast eingeschlafen, da berührte mich eine Hand an meiner Wange und strich langsam rauf und runter. „Ich pass auf dich auf." flüsterte jemand. Justin.

Als ich erneut die Augen öffnete war es angenehm dunkel im Zimmer und ich atmete erleichtert auf. Keine Mum und Dad die besorgt und verärgert auf mein Aufwachen warteten. Plötzlich durchzuckte mich ein Schmerz im Gesicht. Ich fasste mir vorsichtig an die Nase. Das große Pflaster war noch immer da. Logisch, wo soll es auch hin sein? Ich setzte mich auf und fuhr mir durch meine Haare. Trinken. Meine Kehle war so gut wie ausgetrocknet. Ich lies mein Blick durch das fast dunkel Zimmer schweifen. Neben der Tür fand ich einen Wagen. Darauf stand eine Flasche Wasser und drei auf dem Kopf stehende Gläser. Entschlossen stand ich auf und lief darauf zu. Ich traute mich nicht mehr einzuatmen. Schnell schraubte ich die Flasche Wasser auf und schenkte es in eines der Gläser. Genüsslich lies ich das kühle Wasser in meine Kehle laufen. Kaum hatte ich den ersten Schluck heruntergeschluckt kam mir der Geschmack von Blut in den Mund. Panisch lief ich zu dem Spiegel neben meinem Bett. Mein Mund war voller Blut. Ich lies das Wasser in meinem Mund ein paar mal hin und her laufen bis ich es ausspuckte. Von dem Wasser war wenig zu sehen, es war alles rot. Erneut lies ich Wasser in meinen Mund laufen und schwenkte meine Mundhöhle damit aus. Der bittere Geschmack meines Blutes wollte einfach nicht verschwinden. Plötzlich überkam mich ein Schwall von Blut hoch in meinen Mund. Ich spuckte alles in das Waschbecken. Meine Augen füllten sich mit Tränen und überliefen die Wasserlinie. Ich atmete panisch, was sollte ich machen? Raus laufen? Um Hilfe rufen? Alles Möglichkeiten, aber keine Kraft dazu! Ich setzte mich erschöpft auf das Bett. Mein Hals brannte, meine Nase schmerzte und meine Hände brannten wie Feuer. Ich brauche Hilfe! Ganz schnell. Ich hatte das Gefühl ich würde verbluten, aus meinem Inneren. Ich riss die Tür meines Zimmers auf und trat einen Schritt heraus. Da knallte ich gegen jemanden. Er hatte einen sehr trainierten Körper und war viel größer als ich. Ich sah zu ihm herauf. Justin.
„Was ist passiert?" er sah besorgt in mein Blutverschmiertes und verheultes Gesicht. Er nahm mich zurück in das Zimmer.
„Blut, alles ist voller Blut." ich atmete immer noch panisch und konnte kaum still sitzen. „Alles tut weh." die Tränen überkamen mich wieder und mein Kopf dröhnte.
„Was tut weh?" Justin nahm meine Hände und strich beruhigend mit dem Daumen über meine Handfläche. Ich konzentrierte mich auf die rhythmische Bewegung und richtete meine Atmung danach.
„Mein Kopf." ich fasste mir an die Stirn. „Meine Nase und mein Hals." ich schloss die Augen um die letzten Tränen zu vertreiben. Meine Atmung normalisierte sich wieder. „Ich wollte was trinken, aber als ich geschluckt habe, habe ich nur Blut geschmeckt und es kam alles hoch." Justin bemerkte die Panik die sich wieder in mir anbahnte. Er strich gleich etwas energischer mit dem Daumen um meine Konzentration wieder darauf zu lenken. Es funktionierte.
„Okay, hör zu. Das ist alles ganz normal. Du hast dir fast deine Nase gebrochen. Da kann es schon mal vorkommen, dass du Blut schmeckst. Und gegen die Schmerzen können wir gleich noch etwas machen." ich setzte mich wieder richtig in mein Bett, doch lange konnte ich es nicht so aushalten.
„Ich muss hier raus. Das ist mir alles zu eng, zu weiß, zu lieblos." ein Gefühl von Einengung brach in mir aus und ich wollte am liebsten alles von mir reißen und weg rennen.
„Wir können zusammen ein paar Schritte gehen." er stand auf und wollte mir aufhelfen.
„Hier? Nein, Justin! Ich muss hier wirklich raus. An die Luft. Ans Meer." ich wollte den Geruch des Meeres in meiner Nase spüren. „Bitte." versuchte ich es mit all meinen Überzeugungskräften.
„Also gut, zieh dir was an. Ich warte draußen auf dich." er zeigte auf den Stuhl mit meinen Klamotten. Es waren allerdings nicht die Klamotten die ich angehabt habe, es waren Klamotten seiner Schwester. Wusste Marie etwa, dass ich hier war? Wusste irgend jemand, dass ich hier war außer Justin?
Als ich fertig angezogen war, trat ich zur Tür hinaus. Justin hatte sich seinen weißen Kittel ausgezogen und stattdessen eine dünne Jacke auf dem Arm liegen. Warum war mir nicht früher aufgefallen wie süß er war? Wie sehr er sich um mich sorgt. Sich um mich kümmert. Er geht sogar mit mir raus. Tat er das mit seinen anderen Patienten auch? Ich lächelte ihn an. Er bat mir seinen Arm an und ich hakte mich darunter ein. Wir liefen Richtung Ausgang. Als Justin die große Tür öffnete stieß mir mein geliebter Duft von salzigem Wasser entgegen. Ich atmete gleich viel tiefer ein und aus. Die Arztpraxis ist nicht weit entfernt vom Strand. Die Strandpromenade beginnt sogar einige Meter neben ihr. Justin führte mich auf die Holzbalken. Die Sonne stand schon sehr tief und strahlte sehr warm auf uns. Die Wellen schlugen leicht über das Meer. Ich wäre am liebsten sofort in das Wasser gesprungen. Ich wollte das kühle prickeln auf meiner erhitzten Haut spüren, das Rauschen der Wellen in den Ohren und den Geschmack von Salz schmecken.
Mein Zeitgefühl hatte ich komplett verloren. Es könnte sein, dass schon zwei Tage vergangen sind. Es kann aber auch nur ein Tag her sein. Wenn jemand sagen würde, es ist schon eine Woche her, würde ich nicht daran zweifeln. Ich erblickte draußen auf dem Meer ein paar Surfer. Sie standen immer mal wieder auf einer Welle, schlugen Saltos und tauchten unter einer Welle hindurch. Wie sehr ich es vermisse!
Anscheinend muss ich stehen geblieben sein, denn Justin sah mich fragwürdig an und stand circa ein Meter vor mir. Er lächelte leicht und folgte meinem Blick auf die Wellen.
„Eine Woche. Dann kannst du wieder raus." meinte er. Er reichte mir die Hand und ich ergriff sie dankend. Wir liefen noch eine Weile einfach auf der Promenade am Strand entlang. Wir redeten nicht viel, aber ich genoss es in seiner Nähe zu sein. Wie lange hatte ich nicht mehr das Gefühl wichtig zu sein? Dass sich jemand um mich sorgt? Ich denke viel zu lange, sonst würde ich das nicht in Frage stellen. Plötzlich fiel mir ein, dass Justin doch meine Eltern informiert hatte, waren sie wirklich gekommen? Oder konnte er sie abhalten?
„Waren meine Eltern da?" fragte ich also und sah dem Sonnenuntergang zu.
„Ja, du hast geschlafen. Ich habe ihnen gesagt, wenn du wach bist meldest du dich selbstständig bei ihnen." er lächelte mir zu. „Warum wolltest du nicht, dass sie kommen?"
„Sagte ich doch, sie würden mich umbringen!" ohne wirkliche Zweifel und Ironie sagte ich diesen Satz. Tat ich meinen Eltern unrecht? Schließlich war ich noch am Leben und sie waren da gewesen.
„Das meinst du doch nicht ernst?" etwas in seiner Stimme verriet mir, dass er Angst hatte es würde wahr sein.
„Vermutlich nicht, aber sie würden es gerne." beruhigte ich ihn. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, das konnte man sehen.
„Dann sag ihnen noch bitte Bescheid, dass es dir gut geht. Sie machen sich doch Sorgen um dich." er hatte mich angehalten und sah mir tief in die Augen. Es war ihm wichtig. Ich war ihm wichtig. Ich nickte und lächelte.
„Wenn wir zurück sind." sagte ich und lief wieder weiter.

                                                ***
Es war fast schon dunkel als Justin mein Zimmer verließ. Er sah noch ein mal zu mir bevor er die Tür hinter sich zu zog. Ich blinzelte den hellen Strahlen, die durch die Jalousie hindurchstrahlten, entgegen.
Ich hatte meine Mum angerufen, unter Beobachtung von Justin. Er hatte neben mir gesessen und jedes Wort von meinen Lippen abgelesen.
„Wir kommen dich morgen abholen." hatte Mum durch mein Handy gesagt. Ich nickte nur. Um ehrlich zu sein, ich fand es gar nicht so schlecht hier. Klar das Zimmer ging mir auf die Nerven, aber ich war bei Justin. Er kam jede Stunde und sah nach wie es mir geht. Bei mir würde ich alleine im Bett liegen. Keiner ist zuhause und kümmert sich um mich.

Am Morgen wurde ich geweckt. Insgeheim hoffte ich es würde Justin sein, der die Jalousien hoch zog und mir einen Guten Morgen wünschte. Zu meiner Enttäuschung war es aber eine Krankenschwester. Ich rappelte mich hoch und ging ins Bad. Dort stieg ich unter die Dusche. Ich roch dermaßen nach Krankenhaus. Die Krankenschwester erneuerte mein Pflaster auf der Nase und sah sich meine Wunden an Knien und Händen.
„Na also, das wird doch schon wieder." sagte sie und lächelte. „Was magst du Frühstücken? Müsli oder Brot?" sie stand auf und lief zur Tür herüber.
„Müsli." sagte ich lächelnd. Sogar Frühstück bekam ich hier gebracht. Dennoch frühstückte ich allein in meinem Zimmer. Erst danach kam Justin endlich. Ich lächelte als er mein Zimmer betrat.
„Na, wie gehts uns heute?"
„Ganz gut. Hast du kurz Zeit für mich?"
„Ja klar. Was gibst?" er setzte sich zu mir ans Bett.
„Gehst du mit mir noch mal spazieren?" Justin sah nachdenklich auf seine Armbanduhr. Bitte!
„15 Minuten." sagte er endlich. Ich sprang förmlich aus meinem Bett und schlenderte super gut gelaunt aus dem Krankenhaus. Die Meeresluft strömte mir entgegen. Fast wie ein kleines Kind lief ich an den Strand. Schnurstracks zog ich meine Schuhe aus. Ich wollte unbedingt den warmen, fast schon heißen Sand, unter meinen Füßen spüren.
„Was hast du vor?" Justin kam mit meinem Enthusiasmus nicht hinter her. Ich grinste ihn nur verspielt an. „Und das heißt was?" er verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte verwundert. Ich tapste bis nach vorne, wo die größte Welle den Strand berührt hatte. Ich blieb stehen und sah auf meine Fußzehen. Den Nagellack musste ich auch unbedingt erneuern. Plötzlich tauchte ein weiteres Fußpaar neben mir auf. Sie gehörten Justin. Er sah mich grinsend an. Ich lief ein kleines Stück weiter zum Wasser und wartete bis das Wasser mich berührte. Er tat es mir nach. Ich vergrub meine Füße im Sand und lies mir die frische Meeresbriese ins Gesicht pusten. Meine Haare wehten etwas und ich schloss die Augen. Ich stellte mir vor ich würde auf meinem Board stehen und der Wind pustet mir ins Gesicht. Jeden Moment würde ich wieder zurück ins Wasser gleiten und nach der nächsten Welle Ausschau halten.
„Das ist die beste Therapie." sagte ich, immer noch mit geschlossenen Augen. Ein „Mhm" bestätigte meine Vermutung. Justin stand neben mir, ebenfalls die Augen geschlossen und atmetet tief ein und aus. Ich musterte ihn kurz. Dabei ertappte ich mich wie mein Bauch plötzlich anfing zu kribbeln. Claire, nein!

Island ParadiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt