Dem Himmel so nah

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Izuku

Er hatte mich in diese Schwebebahn geschoben und mich dann über zwei Stunden bis zum Gipfel gescheucht. Jetzt, völlig erschöpft, aber glücklich es geschafft zu haben, verstand ich was Katsuki so begeisterte.

Er sah mich freudestrahlend an. „Ein Ausblick, der die Seele berührt, nicht wahr? Es raubt einem den Atem. Man ist dem Himmel so nah und frei von jeder Last."

Ich entgegnete nichts, zu überwältigend war das Meer aus grauem Fels. Es schien meine Seele zu reinigen. Mein Herz schlug höher, denn an diesem Ort fühlte ich mich wirklich befreit. Es schien hier nichts Böses zu geben. Als wäre die Welt hier oben ein bessere. Das hier würde ich nie vergessen und ich liebte Katsuki gerade sehr dafür.

Es dämmerte, als wir in den SUV stiegen. Als wäre es nur ein flüchtiger Traum gewesen, spürte ich wieder all die Last auf meinen Schultern, der ich hier vergeblich versuchte zu entkommen. Es gab nur noch einen Ort, an dem ich mich so frei fühlte.

Müde und mit schweren Beinen schlurfte ich drei Stunden später in mein Zimmer. Ich musste dringend unter die Dusche und suchte mir ein paar bequeme Klamotten heraus. Doch zuerst zog ich mein Handy heraus und checkte meine Nachrichten. Mir blieb fast die Spucke weg, als ich all die Hassmails sah. Angeblich hätte ich meinen Schlägerfreund und Leibwächter grundlos auf einen unbescholtenen Clubbesucher gehetzt und diesen krankenhausreif prügeln lassen. Die meisten dieser Mails zielten unter die Gürtellinie. Nichts, mit dem ich nicht umgehen konnte. Aber dann mischten sich handfeste Drohungen darunter und mir legte sich eine Schlinge um den Hals, die sich langsam zuzog. Ich musste das Katsuki zeigen. Ohne nachzudenken, stolperte ich ins Bad.

Dunst hatte sich im Badezimmer verteilt und auf den Spiegel gelegt. Auch die Scheiben der Duschkabine waren beschlagen. Aber nicht genug, um den Blondschopf vollkommen zu verbergen. Als ich meinen Bodyguard splitterfasernackt unter der Dusche sah und das Spiel der perfekten Muskeln bewundern durfte, war meine aufsteigende Panik weggeblasen. Das Band um meinen Magen schien zu platzen und stattdessen tanzten nun Schmetterlinge darin. Mein Herz schien seinen Rhythmus verloren zu haben. Ich spürte, wie mein Mund aufklappte, und sicher wäre mir noch der Sabber heruntergelaufen, wenn Katsuki nicht plötzlich die Tür aufgerissen hätte.

„Alles in Ordnung?" Er stellte das Wasser ab, und schnappte sich das Handtuch.

Ich spürte die Wärme auf meinen Wangen. Ich nickte erst, dann schüttelte ich den Kopf und hob mein Smartphone hoch, als ob dies alles erklären würde.

Er schlüpfte in einen Bademantel und griff sich das Handy. Er wischte über das Display. Seine Miene verfinsterte sich von Sekunde zu Sekunde.

„Du weißt, dass das alles großer Mist ist? Der Drecksack kann froh sein, dass du ihn nicht angezeigt hast. Du solltest das alles nicht lesen. Und schon gar nicht darauf reagieren. Ich weiß, diese Drohungen sind heftig, wenn auch meist nur heiße Luft. Aber ich bin bei dir und pass auf dich auf. Okay?"

Ich nickte wieder und dennoch konnte ich nicht verhindern, dass sich Tränen in die Augenwinkel stahlen. Ich senkte den Kopf. Das war alles einfach zu viel, dieser Angriff steckte mir mehr ihn den Knochen, als ich es wahrhaben wollte. Plötzlich legten sich starke Arme um mich.

„Mach dir nicht so viele Gedanken. Niemand wird dir was antun. Dafür sorge ich."

Etwas in meinem Herzen fing an zu glühen und vertrieb die kalte Angst. Wie automatisch legte ich meinen Kopf an seine Brust. Ich roch sein Duschgel. Ein herber Kräuterduft.

„Ich mach uns etwas zu Essen." Er wuschelte mir durchs Haar und ließ mich los.

„Ich dusche dann mal", erwiderte ich und sehnte mich augenblicklich in seine Arme zurück. Verdammt. Er war mein Bodyguard und nicht mein Love Interest, aus einem billigen Roman. Er war ein Profi und ich sein Job. Und mal ehrlich, wenn wir uns auf der Straße begegnet wären, hätten wir uns kaum eines zweiten Blickes gewürdigt. Na ja, ein Hingucker war er schon. Mist, was dachte ich schon wieder. Ich hatte ganz andere Probleme.

Das Essen, das Katsuki uns zubereitet hatte, war scharf aber schmeckte lecker. Ein einfaches Omelett mit frischen Champions, Frühlingszwiebeln und Chili. Dazu Reis. Und er hatte uns Tee gemacht. Nach dem Essen machte ich den Abwasch. Katsuki widmete sich seinem Notizbuch.

Ich war müde, konnte mich aber nicht überwinden, ins Bett zu gehen. Also schaltete ich den Fernseher ein. Ein alter Animefilm aus Kindertagen lief. Genau das Richtige. Ich kuschelte mich in meine Decke und ließ mich von der wundervollen Geschichte wegtragen. Irgendwann setzte sich Katsuki zu mir. Er war wohl fertig mit seinen tätlichen Notizen. Er schmunzelte, sparte sich aber jeden Kommentar. Irgendwann war ich so müde, dass mir die Augen zufielen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich immer noch auf dem Sofa in meine Decke eingemummelt. Ich hatte Probleme, mich zu befreien, und landete, nach ein paar ungeschickten Versuchen, auf dem Fußboden. Mist!

Sein leises Lachen ließ mich aufblicken. Er saß am Esstisch und las Zeitung. Verschämt grummelte ich vor mich hin und endlich gelang es mir, die Beine zu befreien.

„Ich geh pissen", murrte ich und verschwand im Bad, während ich Katsuki immer noch lachen hörte.

Als ich wieder aus dem Bad kam, schob gerade jemand einen Zettel unter der Wohnungstür hindurch. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, hatte sich mein Bodyguard das Papier geschnappt.

„He, was soll das? Das ist mein Brief."

„Erstens ist das kein Brief und zweitens woher willst du wissen, dass der Zettel für dich ist."

„Meine Wohnung, mein Zettel. Gib schon her, das wird schon keine Briefbombe sein."

Er warf einen Blick darauf, dann drückte er ihn mir in die Hand. „Eindeutig für dich. Ich mach Kaffee."

„Dann mach mir wenigstens auch einen."

Ich las die Überschrift. Housewarming-Party – heute ab 21 Uhr, laden Shoto Todoroki und Eijiro Krishima zu ihrer Wohnungseinweihungsparty ein. Weiter las ich nicht. Ich knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Müll.

„Und, willst du hin?"

„Tss – nein! Keine Zeit! Ich muss bis Montag 300 Seiten gelesen haben."

„Bestens, dann wird das ein ruhiger Samstag. Lass uns lesen."


Bodyguard - Someone to die forWo Geschichten leben. Entdecke jetzt