Kapitel 5

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„Was für ein höflicher junger Mann dieser Edward doch ist." wiederholte meine Mum beim Frühstück immer wieder. „Aber das mir so etwas nicht nochmal vorkommt. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht." „Ja Mum, es tut mir leid. Das wird es nicht, ich verspreche es dir." versicherte ich ihr. Mein Dad war mal wieder nicht zuhause, inzwischen hatte ich ihn seit zwei Tagen nicht gesehen, aber es war besser, dass er nicht mitbekommen hatte, dass ich die halbe Nacht nicht nach Hause kam, ich kann mir den Ärger, den es gegeben hätte, nur ausmalen.

Die ersten zwei Stunden hatte ich Mathematik, auf den Unterricht konnte ich mich allerdings nur schwer konzentrieren, denn ich konnte nur an ihn denken, wie es wohl sein würde ihn heute wieder zusehen, wird er mich wieder küssen? Hier in der Schule? Vielleicht spricht er auch gar nicht mit mir, da ihm aufgefallen war, dass er einen Fehler begangen hatte, eine völlig fremde zu küssen? Waren wir nun überhaupt noch fremde? Wir hatten viel geredet, viel übereinander erfahren. Ich wusste inzwischen, dass er kein Dealer ist, weil er gerne kriminell wäre, im Gegenteil, er wollte mit dem Geld seinen Onkel Wayne unterstützen, damit sie irgendwann aus dem Trailerpark rauskämen oder dass er tatsächlich gerne seine Noten verbessern würde, um endlich seinen Anschluss zu schaffen, inzwischen war er 20, musste sein letztes Jahr bereits zweimal wiederholen. Im Gegenzug hatte ich ihm eine Menge von mir erzählt, dass ich bald 18 werde und dann so schnell wie möglich nach meinem Abschluss nächstes Jahr, von hier verschwinden möchte.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es in 10 Minuten klingeln würde, als nächstes kommt Geschichte und schon bei dem Gedanken daran, könnte ich einschlafen. Plötzlich überkam mich aber eine innere Unruhe, ich fragte mich noch immer, wie er reagieren würde, wenn wir uns heute überhaupt sehen sollten. Ich hatte Angst, dass er so tun würde, als wäre der Abend gestern nie passiert.

Im Klassenraum für Geschichte angekommen, war das erste, was ich erblickte Cindy, die gerade mit ein paar Mädchen am Tuscheln war. Als sie mich entdeckte, verdunkelte sich ihre Miene. „Du Miststück." sie sprang förmlich auf mich zu, so dass ich einen Schritt zurückweichen musste. „Was habe ich denn getan?" fragte ich sie monoton. „Das weißt du ganz genau und dafür wirst doch noch büßen." „Es ist doch nicht meine Schuld, wenn du zwei linke Füße hast und auf die Klappe fällst." meine Worte zeigten Wirkung und sie wurde noch wütender als zuvor. „Ich mach dich fertig du Freak." drohte sie und ich musste unwillkürlich schmunzeln. „Lieber bin ich ein Freak, als so ein Püppchen wie du, die nichts kann, außer durch die Gegend zu hüpfen und dabei Pompons durch die Luft zu schütteln." zwinkerte ich ihr zu und drehte mich um, um mich zu setzen, denn ich hatte absolut keine Lust auf so eine kindische Diskussion.

„Hat hier jemand nach einem Freak verlangt? Schon zur Stelle." als ich seine Stimme hörte, fuhr ein wohliger Schauer durch meinen gesamten Körper. Eddie. Offensichtlich genervt, setze nun auch Cindy sich wieder. Eddie kam auf mich zu, legte seinen Arm über meine Schulter und schob mich in die hintere Sitzreihe, wo wir uns nebeneinandersetzten. „Na da hat der Freak ja sein passendes Gegenstück gefunden." der bissige Kommentar kam von einem der Basketballspieler der Schule, was mir seine Jacke verriet, auf die das Mannschaftslogo gedruckt war. Eindeutig ein Freund von Cindy, er beugte sich zu ihr rüber, flüsterte ihr etwas ins Ohr, ehe sie beide kichernd zu Eddie und mir rüber sahen.

Ich sah Eddie an, der mich ernst anschaute. „Alles okay, Sweetheart?" fragte er besorgt. Sweetheart, sofort ging mir das Herz auf und ich musste unweigerlich lächeln. „Jap alles bestens, scheint fast so als hätten wir nun denselben Spitznamen." er nickte wild und begann herzlich zu lachen. „Allerdings, anscheinend passen wir perfekt zusammen." ich zuckte kurz zusammen, als er das aussprach. Was hatte das zu bedeuten? Hatte es überhaupt etwas zu bedeuten? Meinte er es tatsächlich ernst mit mir oder war das nur so daher gesagt?

Scheinbar bemerkte er meine plötzliche Unsicherheit, denn er beugte sich direkt sanft rüber zu mir und sah mir tief in die Augen, „Hör zu Ava." plötzlich wurde er ganz ruhig und ernst „Ich weiß, das gestern ist nicht ganz so gelaufen, wie es vielleicht hätte laufen sollen. Wir sind die ganze Sache zu schnell angegangen, was wir durchaus auf Gewisse Substanzen schieben können" sagte er zwinkernd und entlockte mir so ein kleines Lachen. „Aber ich bereue es nicht, ich möchte es aber richtig angehen, wenn du das auch willst." fragend sah ich ihn an und war schon wieder dabei mich in seinem Rehbrauen Augen zu verlieren. „Was genau meinst du?" fragte ich schnell, um ihn nicht nur bescheuert anzustarren. „Naja, ich möchte dich kennenlernen, und zwar richtig. Was hältst du davon, wenn du heute Abend zu mir kommst und wir uns einen Film anschauen und ein wenig reden? Diesmal nüchtern." „Klingt fantastisch, vor allem der Teil mit dem nüchtern bleiben, dann springe ich vielleicht nicht wieder einem völlig fremden Freak ohne Vorwarnung um den Hals." er musste laut loslachen, so dass alle anderen sich zu uns umdrehten und genervt ihre Köpfe schüttelten. „Dann wollen wir mal sehen, ob du dich nüchtern besser unter Kontrolle hast." grinsend zwinkerte er mir erneut zu, ich boxte ihm leicht gegen seine Schulter und verdrehte meine Augen, was wir abermals sein wunderschönes Lächeln bescherte.

Die restliche Doppelstunde Geschichte habe ich tatsächlich, den Unterricht verfolgt, zumindest hatte ich das versucht, aber immer wieder wanderte mein Blick zu meinem faszinierenden Sitznachbarn und ich musste feststellen, dass auch seine Aufmerksamkeit weniger auf den Unterricht als auf mich gerichtet war.

Der restliche Schultag verlief recht unspektakulär. Vor der Mittagspause hatte noch eine Stunde Englisch, in der ich mich noch ein wenig mit Libby unterhielt. Sie könnte wirklich eine gute Freundin werden. In der Cafeteria rief Eddie mich zu sich an den Tisch und platzierte mich direkt neben sich, ich lernte seine Freunde kennen, mit denen er gemeinsam zweimal im Monat D&D spielte, Dustin, Libbys kleiner Bruder, war auch im Hellfire Club. Er war ein quirliger, süßer Lockenkopf, mit Zahnspange. Er lispelte leicht, was ihn nur umso sympathischer machte, ich mochte ihn auf Anhieb. Es wirkte auf irgendeine Art beruhigend auf mich, wie Eddie über D&D und den Hellfire Club sprach, ich glaube es machte mich einfach glücklich zu sehen, wie euphorisch er wurde, wenn er darüber redete. Gebannt hörte ich zu und hatte erfahren, dass D&D eine Art Rollenspiel ist, bei dem die Spieler mit ihren ausgedachten Figuren böse Kreaturen besiegen müssen. Naja, so oder so ähnlich, ich konnte mich weniger auf das Gesagte, als auf den Sprecher konzentrieren.

Nach dem Lunch verabredeten Eddie und ich, dass ich um 7 Uhr bei ihm sein würde, wir wollten einen Horrorfilm ansehen und er würde uns was zu essen machen. Er gab mir die Adresse des Trailerparks und meinte, ich würde seinen Wohnwagen schon finden, da sein Van davor parken würde. Er verabschiedete sich mit einem höflichen Knicks, wie er damals an Königshäusern gemacht wurde, was mich abermals zum Lachen brachte. Ich glaube ich habe Jahre nicht mehr so viel gelacht oder auch nur gelächelt, wie die letzten zwei Tage. Eddie war etwas ganz Besonderes. Das spürte ich bereits, als ich ihn das erste Mal sah, als er auf den Tisch der Cafeteria sprang.

Nach der letzten Stunde fuhr ich zügig nach Hause und verschwand sofort in meinem Zimmer, um mir etwas passendes zum Anziehen rauszusuchen. So wie es aussah hatte ich nämlich heute Abend ein Date. Ich durchsuchte innerhalb kürzester Zeit meinen gesamten Kleiderschrank, bis ich mich schließlich für ein schwarzes enganliegendes Tanktop, einige Silberketten und Ringe und eine enge Bluejeans, mit Löchern an den Knien entschied. Aufgeregt stand ich vor meinem Spiegel und versuchte meine Haare irgendwie zu bändigen, um mich am Ende doch nur für einen hohen, unordentlichen Dutt zu entscheiden. Mit aufgefrischter Schminke und bereit für den Abend, machte ich mich auf den Weg in die Küche, um meiner Mum Bescheid zu geben.

„Hey Mum." fing ich vorsichtig an, da ich nicht wusste, ob sie noch sauer sein würde, dass ich gestern die halbe Nacht unterwegs war. Doch sie hatte gute Laune, Eddies kleine Notlüge, scheint die Lage tatsächlich schnell beruhigt zu haben. „Ich würde mich gerne heute Abend mit einem Freund treffen, wenn das okay ist? Ich bleibe auch nicht wieder so lange weg. Versprochen." fügte ich mit einer zuckersüßen Säuselstimme hinzu, in der Hoffnung, dass sie dann nicht nein sagen konnte. „Ein Freund?" fragte sie skeptisch, „Ähm, ja. Genauer gesagt Eddie. Wir wollten noch ein bisschen weiter lernen." „Oh Eddie, der von gestern Abend? Edward?" „Ja Mum, genau. Ich werde auch nicht lange bleiben. Darf ich gehen?"

„Ja mein Schatz, aber bitte pass auf dich auf. Und komm, wann du möchtest, Liebling. Wir haben doch Freitag, hab Spaß, lernt schön fleißig. Das du mir nur keine Dummheiten machst." sagte sie erstaunlich fröhlich, Eddie schien echt Eindruck bei ihr hinterlassen zu haben. Ich war auch mit meinen alten Freunden häufig am Wochenende unterwegs, doch die kannte meine Mum schon jahrelang. Noch nie hat sie so etwas bei jemand Fremden erlaubt. Aus Angst sie könnte ihre ungewöhnliche Entscheidung wieder ändern, gab ich ihr einen Kuss auf die Wange und machte mich direkt auf den Weg zu meinem Wagen.

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