Kapitel 27

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Ich erinnerte mich nicht an alles, als ich aufwachte und mal wieder von der grauen, eintönigen Umgebung eines Krankenzimmers umgeben war. Als ich mich umsah entdeckte ich Eddie, der auf einem Sessel, am anderen Ende des Zimmers schlief. Ich sagte keinen Ton und sah gedankenverloren zur Zimmerdecke, die dieses typische Krankhausdesign hatte. Weiße quadratische Platten, die mit unzähligen Löchern übersät waren. Ich versuchte mich krampfhaft zu erinnern, was passiert war. Ich war in der Dusche, dann kam dieser unerträgliche Schmerz und Blut. Überall Blut, so viel Blut. Mir wurde schwarz vor Augen und mit letzter Kraft rief ich nach Eddie. Ich sah in seine großen, braunen Augen die mich entsetzt und verängstigt ansahen, als ich in seinen Armen lag, nackt, auf dem kalten Badezimmerboden. Abermals waren wir gemeinsam im Krankenwagen. Mehr ist da nicht. Ich weiß nicht mehr was danach passiert ist.

Auf meine Unterarme gestützt, versuchte ich mich unter stöhnen aufzusetzen, was offensichtlich Eddies Aufmerksamkeit geweckt hatte. Er wurde wach und fast im selben Moment sprang er auf und kam zu mir ans Bett. „Was... was ist passiert?" fragte ich mit trockener Stimme und einem kratzenden Hals. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter, als Eddies Augen sich mit Tränen füllten und er nach meiner Hand griff. Er schluckte und atmete tief durch. „Ava. Es tut mir so leid." stotterte er mit gebrochener Stimme und mehr musste er nicht sagen. All das Blut, dieser Schmerz, Eddie so zu sehen. Ich hatte unser Baby verloren.

Ich griff stärker nach seiner Hand, während er weinte und seinen Kopf auf meinen Schoß sinken ließ. Meine andere Hand ruhte auf seinen braunen Locken und ich starrte an die Wand des Zimmers. Mein Kopf war absolut leer. So leer, dass ich nicht einmal in der Lage war zu weinen. Ich zeigte keinerlei Reaktion, doch innerlich schrie meine Seele. Unser Krümel war weg. Unser Krümel, der mir die einzige Hoffnung gab, dass mein Leben nach all diesen Torturen doch noch einen Sinn hatte und lebenswert war. Doch nun war er weg. Für immer und ich sollte ihn niemals kennenlernen dürfen.


„Es tut mir leid Eddie." flüsterte ich. Er hob langsam seinen Kopf und sah mich fragend an, während noch immer Tränen, seine Wangen hinabliefen. „Es tut mir leid, dass ich unser Baby nicht besser beschützt habe." Unvermittelt zog er mich in seine Arme und als ich seinen Duft aufsog, während mein Kopf an seine Brust gelehnt war, begannen auch endlich meine Tränen zu fließen. „Es ist nicht deine Schuld Prinzessin. Red dir das nicht ein. Der Arzt sagte, es lag an dem Stress der letzten Monate. Das war einfach zu viel für dich und das Baby. Dein Körper war nicht bereit, für dich und ein Baby zu sorgen. Nach all deinen Verletzungen." versuchte er mich zu beruhigen, doch es brachte nichts. Ich konnte mich nicht beruhigen. Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände, wie er es so oft tat und die Wärme seiner Hände durchzog meinen gesamten Körper. Ich bekam Gänsehaut und mein Schluchzen wurde lauter.

„Versprich mir, dass du dir nicht die Schuld dafür gibst." sein Blick war eindringlich und seine Stimme klang ernst. Ich antwortete ihm nicht und sah runter auf meine Hände. Erneut hob er mein Kinn an, so dass ich ihn ansehen musste. Er sah mich einige Sekunden an, ehe er mich sanft küsste, um mich danach erneut an seine Brust zu ziehen. „Versprich es mir." flüsterte er an meinen Haaransatz. „Ich verspreche es." log ich. Ich konnte nicht anders, als es so zu sehen. Hätte ich mich vielleicht weniger gegen Billy gewehrt. Hätte ich von Anfang an getan, was er von mir wollte. Dann hätte ich nicht solch starke Verletzungen gehabt und mein Körper wäre vielleicht in der Lage gewesen mein Baby zu beschützen. Unser Baby.

Die nächsten Stunden lagen wir gemeinsam auf dem Krankenbett, doch wir redeten nicht viel und das war auch okay. Es tat gut, einfach seine Nähe zu spüren, seinen Duft wahrzunehmen und ab und zu in seine großen Rehbraunen Augen sehen zu können. Eddie erzählte mir, dass meine Eltern den ganzen Tag da waren, doch wegen der Arbeit meines Dads gehen mussten, etwa eine halbe Stunde bevor ich wach wurde. Sie wollten morgen wieder kommen. Genau wie die Ärzte, um mich über den Eingriff aufzuklären, von dem ich zum Glück nichts mitbekommen hatte. Ich wollte gar nicht wissen, was sie getan haben. Wie sie unser Baby aus meinem Bauch geholt haben. Der große Verband an meinen unteren Bauch sprach Bände.

Es war bereits mitten in der Nacht, doch keiner von uns beiden konnte schlafen. Noch immer lagen wir Arm in Arm da. „Es war ein Mädchen." durchbrach Eddies raue Stimme die Stille der Nacht. Ich löste mich von ihm und setzte mich auf, um ihm in die Augen zu sehen. „Ein Mädchen?" er nickte leicht und erneut stiegen Tränen in seinen Augen auf und auch ich begann abermals zu weinen. Ein Mädchen, unsere Tochter.

Am nächsten Tag wurde ich bereits entlassen, auf eigenen Wunsch und gegen den Rat der Ärzte, doch ich wollte nach Hause. Ich hatte die letzten Wochen wirklich genug Zeit im Krankenhaus verbracht und wollte keine Sekunde länger dortbleiben. Zuhause habe ich mich in mein Zimmer verkrochen. Ich wollte und konnte mit niemandem reden. Sogar Eddie hatte ich nach Hause geschickt, was ihm absolut nicht passte. Doch im Moment hatte ich nicht die Kraft ihm in die Augen zu sehen. Es tat mir leid, was ich ihm damit antat, immerhin hatte auch er seine Tochter verloren. Doch ich konnte es einfach nicht.

Die nächsten Tage kam ich nur aus meinem Zimmer, um ins Bad zu gehen oder mir eine neue Flasche Wasser aus der Küche zu holen. Ich aß nichts, ich redete nicht und ich achtete darauf, dass mich niemand zu Gesicht bekam. Ich wusste, dass das der falsche Weg war, doch genau das brauchte ich gerade. Meine Mum versuchte immer wieder mit mir zu sprechen, doch wenn sie an die Tür klopfte, ignorierte ich sie. Ebenfalls ignorierte ich sie, als sie vor der Tür stand, um mir zu sagen, dass Eddie mal wieder am Telefon war.

Vier Tage war ich bereits alleine in meinem Zimmer, als es erneut klopfte. „Verschwinde endlich Mum. Lass mich einfach in Ruhe." kaum waren die Worte raus, überkam mich ein schlechtes Gewissen. Sie wollte mir doch auch nur helfen. Ich öffnete die Tür, um mich zu entschuldigen. Mum hatte es nicht verdient, dass ich sie anschrie, sie war immer für mich da und gerade jetzt, war sie unfassbar geduldig mit mir.

„Eddie." ich versteinerte, als ich in sein Gesicht blickte, statt das meiner Mutter. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, trat er ins Zimmer und schloss die Tür hinter uns. Zunächst sagten wir beide kein Wort und standen uns nur gegenüber. Ich fummelte nervös an meinen Ringen herum, während Eddie mich liebevoll und mitfühlend beobachtete. Ich schämte mich. Ich habe mich tagelang zurückgezogen, mich nicht gemeldet und kein Wort mit ihm gesprochen. Ich hatte ihn allein gelassen. Auch für ihn war es schwer, doch ich habe die letzten Tage kaum einen Gedanken daran verschwendet, wie es Eddie mit der Sache ging. Der Preis für die schlechteste Freundin des Jahres würde eindeutig an mich gehen.

Voller Scham blickte ich auf den Boden und atmete tief ein und aus, damit ich nicht wieder anfingen würde zu weinen. Eddie sagte ebenfalls nichts, er kam auf mich zu und zog mich in eine intensive, warme Umarmung. Wir standen einige Zeit so da, um uns herum war es so still, dass ich seinen Herzschlag hören konnte, während mein Kopf an seinem Hals lehnte und seine Locken leicht in mein Gesicht fielen.

Irgendwann löste ich mich von ihm und sah in die schönsten Augen, die ich kannte. „Es tut mir alles so leid Eddie. Ich hätte mich nicht so verkriechen dürfen. Und ich hätte für dich da sein müssen. Du hast auch ein Kind verloren." er sah mich an doch sagte zunächst nichts. „Ava..." begann er, mit gebrochener Stimme, „Es muss dir nicht leidtun. Du brauchtest einfach Zeit für dich. Und das werde ich immer respektieren." sagte er. „Eddie... und trotzdem hätte ich dich nicht einfach ausschließen dürfen. Du hast was besseres verdient." ich setzte mich auf mein Bett und meidete jeden Blickkontakt. Ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte. Alles schien für uns unter einem schlechten Stern zu stehen. Vielleicht hatten wir all das einfach überstürzt.

„Was meinst du damit?" fragte er nun sehr ernst. „Ich weiß nicht Eddie. Wir kannten uns kaum als das mit uns anfing. Und ich hab das Gefühl, dass das Universum uns etwas sagen will. Billy, das Baby, einfach alles scheint falsch zu laufen." „Bitte Ava. Du bist mit den Nerven am Ende, vollkommen verständlich. Aber tu das nicht. Du bist das Beste, was mir in meinem ganzen erbärmlichen Leben je passiert ist. Ich hatte, seit ich 6 war nur meinen Onkel, weil meine Crackmutter mich nicht mehr wollte, nachdem mein Vater abgehauen ist. Bis ich dich traf. Ja es ging alles verdammt schnell, aber doch nur, weil es sich richtig anfühlte. Ava, die letzten sechs Monate, die du in meinem Leben bist, hast du mir endlich wieder einen Grund zum Kämpfen gegeben. Zum Leben. Ich liebe dich. Und ich werde niemals aufhören für uns zu kämpfen." sagte er voller Entschlossenheit. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte ihn so sehr, von Anfang an. Doch ich wusste nicht, ob ich ihm nach all dem noch in die Augen schauen konnte. 

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