Kiss me

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(Johns POV)

Ich kann mich nicht bewegen. Meine Arme und Beine kribbeln. Sie fühlen sich zu schwer an. Als würden sie nicht zu meinem Körper gehören, sondern zu dem eines anderen. Ich will weitergehen, aber meine Beine lassen mich nicht. Sie sind wie gelähmt. Ich höre nur noch meinen eigenen Herzschlag, dumpf und viel zu schnell, und meinen flachen Atem. In meinen Ohren rauscht es.

Die Straßen sind brechend voll. Es regnet und der Wind ist schneidend und eiskalt, aber ich spüre ihn kaum. Menschscharen fließen an mir vorbei. Die meisten bemerken mich nicht einmal, streifen mich, rempeln mich an. Ich schlucke und es knackt leise in meinen Ohren. Meine Finger zittern und meine Knie werden weich. In dem Meer aus verschwommenen Gesichtern sehe ich nur noch seines. In dem schwachen Licht der Straßenlaternen sehen seine Augen beinahe silbern aus.
Ich kann nicht wegsehen und auch nicht mehr denken. Ich versinke in seinem Blick und in der Art, wie er mich ansieht. Ein Surren liegt in der Luft. Es fühlt sich an, als wäre mein Verstand zu Boden gegangen. Ich will etwas tun, etwas anderes, als ihn einfach nur anzusehen, aber ich kann es nicht.
Hör auf, ihn so anzustarren, du Idiot! Ich kann nicht. Ich kann gar nichts mehr.

„John, sie werden gleich hier sein", sagt er plötzlich und seine Stimme ist wie sein Blick. Eindringlich und hektisch. Die Art, wie er mich ansieht, spannt jeden Muskel meines Körpers an. Komm schon, konzentrier dich endlich! Mein Herz rast und mein Atem ist flach.
„Okay", sage ich und klinge dabei ganz anders, als ich klingen wollte. Meine Stimme ist dünn und zittrig und hört sich nicht an wie ich. Mein Körper fühlt sich fremd an. Die Dinge, die er tut, sind mir fremd. Ich bin mir fremd. Ich tue so etwas nicht. So bin ich nicht. Ich bin nicht. Und ich sollte weder dieses Flattern in meiner Magengegend noch das sehnsüchtige Ziehen in meiner Brust spüren. Ich sollte gar nichts davon spüren.
„John?" Seine Stimme lässt mich zusammenfahren. Ich blinzle hektisch. Reiß dich endlich zusammen!
„Sherlock?" Verdammt. Sein bloßer Name lässt mich wahnsinnig werden. Er fühlt sich gut an. Als wäre mein Mund nur dazu da, um ihn auszusprechen.
„Es mag Ihnen vielleicht entgangen sein, aber wir haben ein Problem. Ein gewaltiges sogar."

Mein Blick streift kurz seine Lippen, als er sie befeuchtet. Ich schlucke, sehe wieder hoch in seine Augen und einen Ausdruck in ihnen, der mich völlig aus der Bahn wirft. Verwirrung. Sherlock ist verwirrt. Ausgerechnet er. Ich will wegsehen, aber es ist, als hätte sich mein Blick in den strahlenden Tiefen seiner Augen verfangen. Hinter ihnen schimmert etwas, was ich nicht erfassen kann, aber unbedingt erfassen will, ein Gefühl, so tief verborgen, dass es unerreichbar für mich ist. Ich höre meinen Atem und die Geräusche der Stadt. Aber alles scheint plötzlich weit weg zu sein. Mein Hals ist trocken und mein Herz rast. Sherlock sieht mich an und durch mich hindurch. Als würde er mit einem Blick alles von mir wissen.

Jemand rempelt ihn von hinten an, er stolpert, nach vorne und direkt gegen mich. Ich vergesse zu atmen. Auf einmal ist er überall. Ich spüre seinen feuchten Atem an meiner Wange und seine einnehmende Wärme. Vielleicht bilde ich sie mir auch nur ein.
Sherlock und ich tauschen einen Blick und mein Herz hämmert verzweifelt gegen meine Brust. Und dann höre ich es mich sagen: „Ich habe eine Idee."

Ich sehe, wie Sherlocks Augenbrauen sich heben und wie in der Menge hinter ihm ein Gesicht auftaucht. Es ist wie eine Warnung. Sie suchen uns. Und sie werden uns finden, wenn wir nichts unternehmen.
Ich schaue zurück zu Sherlock und sehe sie auf einmal wieder vor mir. Die blonde Frau und der große Mann im Park. Sie saß auf seinem Schoß und er auf der Bank, seine Zunge in ihrem Mund. Ich erinnere mich daran, wie ich peinlich berührt weggesehen habe und es plötzlich eilig hatte, an ihnen vorbeizukommen. Ich schlucke. Hinter Sherlock sehe ich das Gesicht des fremden Mannes näherkommen, direkt auf uns zu.

Und dann tue ich es. Meine Hände umfassen sein Gesicht, mein Daumen fährt über seine Wange, meine Nasenspitze streift seine. Seine Haut ist unglaublich weich. Ich spüre, wie sich alles von ihm anspannt, wie er zurückweichen will und es doch nicht tut. Es fühlt sich an, als hätte ich die Kontrolle verloren. Ich habe nichts davon bewusst entschieden. Es passiert einfach.

When they kissedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt