Away from you

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(Sherlocks POV)

Ich liege in meinem Bett. Zuerst auf dem Rücken, dann auf der Seite, auf dem Bauch und schließlich wieder auf dem Rücken. Ich habe die Augen geschlossen, aber schlafen kann ich nicht. John ist nicht da und gleichzeitig überall. Fragen geistern in einer Endlosschleife durch meinen Kopf, zusammen mit unzähligen Bildern. Bilder davon, wie John mich küsst. Sein Körper an meinem, seine Hände in meinen Haaren, seine Zunge in meinem Mund.

In meiner Magengegend zieht es, aber mir ist nicht schlecht. Meine Haut kribbelt und brennt und meine Gedanken fahren Karussell. Mir ist heiß. Furchtbar heiß. Vielleicht werde ich krank, bin es womöglich schon. In meiner Brust zieht sich etwas zusammen und mein Herz überschlägt sich, stolpert, pocht wild gegen meinen Brustkorb. Ich spüre Johns flachen Atem auf meinem Mund und höre ihn leise seufzen. Ein Schauer erfasst mich. Noch nie hat mich ein Geräusch so aus der Fassung gebracht.

Ich atme ein und aus, ganz langsam und tief. Mein Atem will mir nicht gehorchen. Er ist flach und schnell und passt sich dem Tempo meines rasenden Herzens an. Verdammt. Was ist das nur? Ich habe mich noch nie so gefühlt. Es ist, als würde ich auf einmal alles von mir spüren. Und von ihm. Überall ist John. In meinem Kopf und in Lilys Bett. Auf ihr, in ihr, nackt in den Laken. Ich kneife die Augen zusammen, doch es ändert nichts. Die Bilder verschwinden nicht, werden immer mehr und immer deutlicher. Ich stelle mir vor, wie er sie küsst. Und sie ihn. Wie sie sich ausziehen, wie er sie hochhebt, sie zum Bett trägt, wie er sie berührt, wie sie ihn berührt, wo sie ihn berührt. Als ich schlucke, ist mein Hals trocken und eng. Ich werde mit Sicherheit krank. Einen anderen Grund gibt es nicht.

John hat mich geküsst. Und ich ihn. Einen Mann. Leider auch nicht irgendeinen, sondern meinen besten Freund. Eigentlich ist das doch keine große Sache, oder nicht? Das tut doch jeder einmal. Menschen probieren sich gerne aus, einfach, um zu wissen, wie es so ist. Und das tue ich jetzt. Das tue ich sogar noch ziemlich gut. Zu gut.
Spielt das eine Rolle? Wenn man es genau nimmt, nicht. Schließlich erinnert sich doch jeder an seinen ersten Kuss. Oder etwa nicht? Erinnert sich John noch daran? Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, dass ich vor ihm noch nie jemanden so nah war, geschweige denn jemanden geküsst habe? Vermutlich würde er sagen, dass da nichts dabei ist. Mit Sicherheit würde er das. Es ist ja auch so. Es ist nichts dabei gewesen. Wir haben uns geküsst. Mehr nicht. Außerdem war das, um Zeit zu gewinnen. Für einen Fall. Dienstlich, sozusagen. Leider erklärt das trotzdem nicht das Chaos in meinem Kopf.

Ich kann nicht aufhören, über ihn nachzudenken. Und darüber, was vermutlich genau in diesem Augenblick in Lilys Bett passiert. Ich will an etwas anderes denken, aber meine Gedanken führen mich immer wieder dorthin zurück. Zu John und Lily. Und zu dem Kuss. Verdammt.
Ich setze mich ruckartig auf. Ich zittere und als ich aufstehe, sind meine Knie weich und mein Atem flach. Das ist doch nicht normal. Mein Körper tut solche Dinge nicht. Mein Kopf würde nicht einen Gedanken an diesen Kuss verschwenden. Das sollte er auch nicht.
Aber es ist John. Es war mein erster Kuss und es war John, der mich geküsst hat. Und das scheint für meinen Kopf ein Unterschied zu sein.

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Zungen und Lippen haben kein Geschlecht. Hände auch nicht. Es waren bloß Zungen und Lippen und Hände. Mehr nicht. Ich mag John. Aber ich will nichts von ihm. Ich will nichts von ihm und auch nichts von einem Mann. Ein Mann. Niemals. Ich habe meine Arbeit und meinen Verstand. Auch, wenn der gerade Achterbahn fährt und völlig durcheinander ist. Vielleicht will John jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben. Vielleicht hätte ich den Kuss nicht erwidern oder ihn so anfassen sollen. Vielleicht denkt er jetzt, ich stehe auf ihn. Vielleicht kommt er deshalb nicht mehr zurück.
Dabei ist das völliger Unsinn. Ich stehe nicht auf John Watson. Ich wüsste ja nicht einmal, wie das geht.

Trotzdem fühle ich mich, als wäre ich irgendwo vergessen worden. Ich fühle mich entsetzlich allein. Ich liebe die Einsamkeit. Aber jetzt ist alles in mir leer und etwas in mir sehnt sich danach, heute Nacht nicht allein sein zu müssen.
Die Bilder laufen erneut in meinem Kopf ab. Und neben dem sehnsüchtigen Ziehen und dem nervösen Flattern fühle ich noch etwas anderes. Hitze. Überall. Besonders zwischen meinen Beinen. Ich höre ihn seufzen und spüre seine Zunge. Seine Hände an meinem Hinterkopf, seine Finger in meinen Haaren. Wie sich sein Körper gegen meinen drängt. Wie er an meiner Unterlippe saugt.

Ich kneife die Augen zu. Das soll endlich aufhören. Ich lehne mich zurück und vergrabe das Gesicht in dem Kissen, als wäre ich dort sicher vor meinen Gedanken. Ich will sie nicht haben. Ich will so nicht denken. Ich will nicht so fühlen. Und ich will nicht, dass er wiederkommt. Ich will ihn nicht sehen. Nicht, solange ich diese Sache, die mit mir passiert, nicht unter Kontrolle bekommen habe. Und auch nicht, solange ich in seinem Bett liege und seinen Duft inhaliere. Das wäre den Umständen entsprechend wenig hilfreich.

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Hallo, liebe Leserin und lieber Leser,

ich hoffe, dir hat auch dieser Teil der Geschichte gut gefallen! Noch fällt es mir etwas schwer, aus Sherlocks Perspektive zu schreiben - denn Unsicherheit und grenzenlose Überforderung passt nur schwer zu seinem sonstigen Sherlock-Sein :D.
Wenn du magst, dann kannst du mir gerne und jederzeit ein Feedback hinterlassen! Sollte es Geschichten geben, die ich gelesen haben muss, oder wenn ich einmal bei dir vorbeischauen soll, dann tue ich das sehr gerne <3.

Wir lesen uns,

Eure Leli

When they kissedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt