Als ich am nächsten Morgen erwachte fühlte ich mich wie gerädert. Der Schreck von vergangener Nacht saß mir noch tief in den Knochen. Ich hatte einen leibhaftigen Geist gesehen. Eine Seele um genau zu sein. Jedenfalls glaubte ich das. Schaudernd blickte ich mich um, in der Sorge die Seele würde jeden Moment in mein Zimmer schweben. Doch nichts passierte. Elodie schien bereits aufgestanden zu sein. Ihr Bett war ordentlich gemacht und ihre Tasche war weg. Ich war froh darüber, vor allem, als ich einen Blick in den Spiegel riskierte. Meine Haare sahen aus, als habe ein Vogel versucht ein Nest darin zu bauen. Seufzend schnappte ich mir meine Bürste und versuchte das Gewirr in meinen Haaren zu beseitigen.
Das ständige hin und her wälzen von letzter Nacht hatte mir stark zugesetzt. Immer wieder blieb sie in meinen Haaren stecken. Schließlich siegten meine Haare über meine Bürste, die unter dem Druck nachgab und in zwei Teile zerbrach. Der Bürstenkopf steckte in meinen Haaren fest. Das durfte doch nicht wahr sein.
„Vielleicht in ihrem Zimmer? Ich sehe mal nach!" Jemand klopfte an meiner Tür. „Ja?", fragte ich, bereute es aber sofort. Mein ja offenbar als Bestätigung sehend, kam Bennett in mein Zimmer gestürmt. „O-Oh tut mir leid Ro...", sagte er verlegen, als er mich entdeckte. Wie zur Salzsäule erstarrt stand ich da. Ich musste einen unglaublich ulkigen Eindruck machen, so wie ich vor ihm stand.
Mit zerzausten, ungekämmten Haaren, in denen immer noch der Bürstenkopf steckte und einem Pyjama mit Bugs Bunny Motiven auf der Hose. „Schon einmal etwas von Privatsphäre gehört?", blaffte ich ihn an, nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt hatte. Noch bevor Bennett etwas sagen konnte, tauchte Lennox im Raum auf. „Nettes Outfit. Du siehst aus als hättest du einen Kampf gegen einen Bären oder ähnlichem verloren. Ist das eine Bürste in deinem Haar?"
Wütend funkelte ich ihn an. Für Scherze war ich gerade nicht aufgelegt. Nicht nach den traumatischen Erlebnissen von letzter Nacht. Ich fragte mich ob es klug war mit den beiden darüber zu sprechen. Lennox war bereits im zweiten Jahr und kannte sich viel besser mit dem ganzen Geisterkram aus als ich.
„Was ist passiert?" Mit einem Mal war Lennox an meiner Seite, einen besorgten Ausdruck in seinem Gesicht. Er musste meinen Gedanken gefolgt sein, anders konnte ich mir die plötzliche Sorge nicht erklären. Wo nun schon einmal die Katze aus dem Sack war, konnte ich auch gleich mit offenen Karten spielen. Ich erzählte den beiden von meinem Erlebnis mit der Seele. Geduldig lauschten sie meiner Geschichte, bis ich geendet hatte. „Und was denkt ihr?", wollte ich schließlich wissen. „Ich bin mir nicht sicher ob das wirklich eine Seele gewesen ist Ro", sagte Lennox mit zaghafter Stimme. Entgeistert blickte ich ihn an: „Das habe ich mir ganz sicher nicht eingebildet! Dort im Treppenhaus schwebte eine leuchtende Kugel. Genau so hat Madame Petit uns die Seelen beschrieben!" Lennox seufzte leise auf. Bildete ich es mir nur ein, oder war er genervt? Verstand er nicht wie ernst die Lage war? „Hör mal Ro. Die Schule ist gegen Geister geschützt. Sollte jemand ohne Erlaubnis einen Geist heraufbeschwören, wird eine Art von Alarm ausgelöst. Hast du letzte Nacht einen Alarm wahrnehmen können?"
Langsam schüttelte ich mit dem Kopf, woraufhin Lennox mir ein aufmunterndes Lächeln zuwarf. „Na siehst du. Sicherlich gibt es eine gute Erklärung für das was du letzte Nacht gesehen hast!" „Genau. Vielleicht war es ein anderer Schüler? Jemand der dir oder einem anderen einfach einen Streich spielen wollte!", meinte Bennett mit aufmunternder Stimme. Beleidigt sah ich drein: „Das war dann aber ein wirklich schlechter Scherz! Im ersten Moment hatte ich sogar damit gerechnet, dass es wieder Lennox ist der mich erschrecken wollte!" Verwundert blickte Lennox mich an: „Wieso ich?" „Nach der Sache damals auf der Krankenstation, wo du singend neben meinem Bett gesessen hast war das mein erster Gedanke, als ich letzte Nacht den Gesang gehört hatte."
Nun schien er komplett verwirrt zu sein. Ratlos blickte er zu Bennett, der nur mit den Schultern zuckte. Woher sollte er auch wissen wovon ich sprach, immerhin war er nicht dabei gewesen. Warum Lennox hingegen so irritiert tat verstand ich nicht. „Hast du solch ein Kurzzeitgedächtnis oder weißt du nicht mehr, wie du neben mir saßt und Londons Bridge is falling down gesungen hast?" Er schüttelte den Kopf, offenbar sichtlich verwirrt und gleichzeitig besorgt um meinen Geisteszustand. Bennett hingegen zog die Augenbraue hoch: „Du hast neben ihr gesessen und dieses gruselige Lied gesungen? Pass auf oder die Leute halten dich für einen Geisteskranken!" „Könnt ihr zwei bitte aufhören? Ro ich habe niemals dieses Lied gesungen! Aus welchem Grund sollte ich das tun?"
Ich wollte etwas darauf erwidern, denn immerhin konnte ich mich genau an diese erste Begegnung erinnern. Doch etwas an seinem Blick irritierte mich. Er schien es tatsächlich nicht zu wissen. Aber wie war das möglich? Ich hatte ihn damals ganz sicher dieses Lied singen hören. „Du warst am Schlafen. Vielleicht hast du dir das alles damals nur eingebildet", meinte er, nachdem er wie so oft meinem inneren Monolog gefolgt war. Seufzend zuckte ich mit den Schultern: „Vermutlich hast du recht..." Während ich noch in meinen Gedanken an letzte Nacht festhing, klatschte Lennox plötzlich in die Hände: „Lasst uns das Thema vergessen und lieber runter zum Frühstück gehen! Aber zuerst kümmern wir uns um deine Haare Roselle!"
Im nächsten Moment sahen meine Haare wieder ordentlich aus und die Bürste war befreit. „Danke", murmelte ich leise. „Könnt ihr kurz draußen auf mich warten, damit ich mich eben umziehen kann?" Die beiden Jungen verließen sofort mein Zimmer. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett sinken, um erst einmal kurz durchatmen zu können. Zum Glück hatten wir heute keinen Unterricht, denn darauf hätte ich mich vermutlich ohnehin nicht konzentrieren können.
Nach dem Frühstück verbrachte ich ein wenig Zeit allein in meinem Zimmer, um endlich meine Hausaufgaben zu beenden. Leider ohne großen Erfolg, da meine Gedanken schier in Aufruhe waren. Immer wieder schossen die Fragen in einem wirren durcheinander durch meinen Kopf, ohne dabei einen genauen Zusammenhang zu haben. War das gestern eine Seele oder doch nur ein schlechter Scherz gewesen? Was war mit dem Mädchen vom Friedhof? Liv, meine Familie und die Frage ob sie jemals wieder mit mir sprechen würden? Was genau hatte versucht mich auf dem Friedhof in eine Falle zu locken? Frustriert schrie ich auf: „Geht weg verdammt!"
„Wow, was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?" Elodie stand im Türrahmen und musterte mich verwundert. Ich hatte gar nicht bemerkt wie sie das Zimmer betreten hatte. „Nichts...Ich kann mich bloß nicht richtig konzentrieren, das ist alles." Eingehend musterte sie mich und ich fragte mich, ob sie bereits meine Gedanken lesen konnte. Vielleicht war Gedanken lesen einfacher, als die Auren Magie? Was lernte man in der ersten Stunde im Gedanken lesen? Die Grundlagen, genau wie bei uns im Unterricht, oder durften sie vielleicht schon sofort mit den praktischen Sachen beginnen?
Elodie legte den Kopf leicht schief, während sie mich weiter ansah: „Wenn ich doch nur wüsste was gerade in deinem Kopf vorgeht Ro. Du scheinst angestrengt über etwas nachzudenken." Sofort entspannte ich mich bei ihren Worten. Es schien nicht so, als konnte sie bereits meine Gedanken wahrnehmen. Vorerst war mein Kopf sicher vor ihr. Da ich keine Antwort gab, entschied sie scheinbar nicht weiter auf das Thema einzugehen. Stattdessen setzte sie sich auf ihr Bett und vergrub sofort ihre Nase in ihrem heißgeliebten Twilight Buch.
Ich wandte mich ebenfalls wieder meinen Aufgaben zu und versuchte meine Gedanken zu vertreiben. Sie weit hinten in meinen Kopf zu verfrachten, wo sie mich nicht länger stören konnten. Irgendwann würde ich mich jeder einzelnen Frage widmen, doch jetzt gerade wollte ich mich nicht damit beschäftigen.
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Teil drei von Kapitel 7. Hoffe es gefällt euch.Wann der nächste Teil kommt weiß ich nicht aber vermutlich nicht mehr vor nächster Woche.
Schönen Tag noch eure Sabrina 🌺
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Goldriverhigh Academy - Erwachen [Slow Updates]
FantasyWusstet ihr das in den Schatten von London, fern in einem geheimnissvollen Wald eine Schule verborgen liegt. Eine Schule für Hexen und Hexer. Und die man nur durch den Uhrturm im BigBen betreten kann. Roselle (kurz Ro) Alea Ravens muss mit dem tägl...