Engel müssen Hungern

Kapitel 4

„Mum?"
Keine Antwort.
„Mum,ich bin wieder da",versuchte ich es nochmal,während ich die Haustür hinter mir zu zog.
Nichts.Ach was solls,wahrscheinlich schlief sie oder war einkaufen gegangen.Eh besser so jetzt konnte ich endlich mal meine Ruhe haben.
Ich pfefferte meine Schultasche in die Ecke und ging automatisch in die Küche.Mit einem eleganten Schwung öffnete ich den Kühlschrank,starrte erwartungsvoll seinen Inhalt an. Mmmh lecker...Ohne Nachzudenken greife ich gierig nach das erst Beste was mir in ins Auge springt,ein Tunfischsandwitch.Stopp mal was tat ich da,mitten in der Bewegung hielt ich inne.Hatte ich mir nicht hoch und heilig geschworen,keinen Bissen mehr über meine Lippen kommen zu lassen?
>>Ach scheiß drauf ,ess was.Ich hab Hunger<<,jammerte mein Magen.
>>Nein,auf keinen Fall du bist eine fette,fette Kuh.Bleib stark,du MUSST abnehmen.<<,sagte mein Kopf.
Mein Herz schwieg,es wollte sich nicht in die Angelegenheiten zwischen Magen und Kopf einmischen.
Kopf gegen Magen.Sie stritten sich weiter,es war ein langer Kampf,schließlich gewann Kopf. Angewidert ließ ich den Tunfischsandwitch sinken,was meinen Magen alles andere als erfreute.Beleidigt knurrte er mich an,doch meine Wahl war getroffen.Ich werde stark bleiben.Stark.Stark.Stark.So lange,bis ich leicht bin.So leicht,dass ich mich mit den Füßen sanft von der Erde abstoßen werde,abhebe und schweben werde,wie eine Feder.Alle werden sehn,wie leicht und schön ich durch die Lüfte fliegen werde.Ein Engel,werden sie denken und mich mit großen,flehenden Augen anschauen.
Wir möchten auch so sein wie du.So zart und gebrechlich.Bitte lass uns doch auch so werden,werden sagen sie.
„Das geht nicht",werde ich dann antworten während ich harfenspielend von einer Wolke,auf sie hinunterblicke."Ihr seid zu schwach,viel zu schwach,wenn ihr ein Engel werden wollt,müsst ihr stark sein.Engel müssen hungern."
Ein Poltern riss mich aus meinen Tagträumen.Ich schrak auf.
„Mum?",rief ich.„Warst du das?"
Stille.Ein unbehagliches Prickeln überlief mich
Jetzt reichte es mir,wütend stapfte ich in den ersten Stock,um zu schaun was da los war.
Vorm Zimmer meiner Mutter blieb ich abrupt stehen und lauschte.
Schluchzen.
Weinte meine Mutter etwa?Unentschlossen starrte ich auf die Klinke.Sollte ich rein gehen?
Schließlich öffnete ich die Tür ohne anzuklopfen.
Meine Mutter saß mit einer Flasche Wodka auf dem Bett.Sie trägt immer noch ihr Nachthemd.
Sie blickte zu mir auf,ihr Gesicht wirkte alt und eingefallen.Blass wie der Mond.
„Mum,was zum Teufel ist los?",fragte ich entsetzt.
Anstatt mir zu antworten,entwich ihrer Kehle ein gurgelnder Schluchzer. Ohne die Flasche loszulassen krümmte sie sich und schlang ihre Arme um den Bauch,als würde er ihr wehtun.
„Ich bin krank",sagte sie schließlich.
„Du bist nicht krank.Du bist betrunken."
Ich setzte mich neben sie und nahm ihr den Wodka aus der Hand.
„Hey gib den wieder her",meine Mutter erhob sich und versuchte mir den Wodka zu entwinden.
„Nein Mum,du hörst sofort auf zu trinken",sagte ich und knallte den Wodka so heftig auf die Kommode,dass der Alkohol auf meine Hand spritzte.
„Was fällt dir eigentlich ein,Papa ist gerademal einen Tag weg und du beginnst dich jetzt schon grundlos zu besaufen. Warst du nicht diejenige,die heute gesagt,das Leben geht weiter?Mum,hör mich an.Wenn du wirklich ein neues Leben anfangen willst,dann darfst du dich auf keinen Fall so gehen lassen,okey?Du musst dir endlich einen Job suchen,wir kommen unmöglich mit der Arbeitslosenhilfe durch.Es wird alles nur noch schlimmer,wenn du jetzt zum Trinken beginnst,gut?"
„Man gib mir den Wodka zurück.",grunzte sie und taumelte Richtung Kommode.
„Mama",ich schrie sie an."Lass den Scheiß."
Sie schenkte mir keine Beachtung,riss mir den Wodka aus der Hand und nahm einen tiefen Schluck.
Erleichtert seuftzte sie auf.
„Na schön wenn du nicht auf mich hören willst",ich funkelte sie böse an."Dann zieh ich halt zu Papa.Weil ich hab echt keinen Bock mit einer sturzbetrunken Mutter, wie dir unter einem Dach zu leben."
Ich knallte die Tür hinter mir zu und krammte mein Handy aus der Tasche.
>>Hallo?<<
>>Dad?<<
>>Alice?<<
>>Ja...äh...ich..<<
>>Ist was passiert?<<
>>Schon irgendwie.<<
>>Alles in Ordnung mit dir?<<
>>Nicht so richtig...Ich will...ich bräuchte..könnte ich vielleicht ab jetzt bei dir wohnen?<<
Schweigen.
>>Hast du dich gerade mit deiner Mutter gestritten?<<
>>Sie trinkt.Und zwar viel.<<
>>Naja so viel schlimm kanns ja nicht sein.Denk nicht,du kannst mich da rein ziehen,wenn ihr Streit habt.Hör ich hab einen wichtigen Kunden bei mir.Ich muss jetzt Schluss machen.<<
Freizeichen.

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