Kapitel 22

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„Hallo",versuchte ich mit meiner Mir-ist-es-völlig-egal-ob-du-hier-bist-oder-nicht Stimme zu sagen,brachte jedoch nicht mehr als ein schwaches Krächzen heraus.
„Ich wollte dich fragen ob du vielleicht mit mir Eis essen gehen möchtest.Ist vielleicht besser als in diesem stickigen Besucherraum zu hocken.",schlug Tristan vor.
Ich wusste nicht,was ich sagen sollte.Warum kam er extra hier her um mit mir Eis essen zu gehen?In mir kämpften für paar Momente zwei Stimmen miteinander.Die eine hieß Hoffnung,und redete mir ein,dass er sicher mit Zoey Schluss gemacht hatte und jetzt doch bemerkt hatte,dass er in mich verliebt war.Die andere Stimme war die Vernunft,der klar war,dass das sehr unwahrscheinlich war und ich lieber absagen sollte,bevor ich wieder verletzt sein würde.Obwohl ich wusste dass ich lieber auf die zweite Stimme hören sollte,war die Hoffnung einfach zu groß :"Gibst du mir vielleicht eine einen Moment um mich umzuziehen.",fragte ich.Er nickte und lächelte mich dermaßen lieb an,dass sich die Hoffnung in mir nur noch verstärkte.
„Vanessa, Notfall",rief ich,während ich in unser Zimmer stürmte."Tristan ist da und möchte sich mit mir treffen.Ich brauch' deine Hilfe ,ich hab überhaupt nichts zum Anziehen."
Es dauerte eine Weile,bis ich mich für ein luftiges,weinrotes Sommerkleid entschieden hatte.Besser gesagt Vanessa bestand darauf dass ich es anzog,da es angeblich so gut zu meinen schwarzen Haaren und meiner blassen Haut passte.Nachdem ich mir auch noch ein wenig dunkelroten Lippenstift auftrug,eilte ich zurück in den Besucherraum.
„Gut bist du fertig?",fragte er mich.
Ich nickte nur schnell,weil ich Angst hatte,dass meine Stimme vor Aufregung wieder versagte.
Am Weg zum Eissalon ratterte mein Hirn schon,welche Eissorte ich wohl am besten nehmen sollte.Erdbeere,hatte die wenigsten Kalorien,Nutella jedoch war meine Lieblingssorte.Dann kamen mir die Worte einer Patientin in den Sinn.Warum verbietest du dir etwas was du liebst?Es gibt keinen Grund sich zu bestrafen,wichtig ist sich für das zu entscheiden was einem schmeckt,und nicht das was die wenigsten Kalorien hat.
So entschied ich mich mit viel Überwindung doch für Nutella.
„Ich glaube,wir haben eine Menge zu bereden,Alice.",begann Tristan das Gespräch,als wir uns in den Eissalon reingesetzt hatten.
„Schon irgendwie",erwiderte ich,weil mir nichts besseres einfiel.
„Ich weiß,gar nicht wie ich dir das jetzt sagen soll",setzte er an."Am besten ich bringe es auf den Punkt.Mein Vater und deine Mutter planen ,dass wir schon in ein paar Tagen bei euch einziehen."
„Oh okay",hauchte ich.Sollte ich mich jetzt freuen oder nicht?Ich wusste,es nicht,ich liebte Tristan über alles,aber was wenn ich mir doch nur sinnlose Hoffungen gemacht habe,und er immer noch mit meiner ehemaligen besten Freundin zusammen war?Wie würde ich es aushalten mit ihm Tag und Nacht in den selben vier Wänden zu sein.
Wir schwiegen uns eine Weile an und ich wurde mit jeder Sekunde ein wenig unruhiger.
„Darf ich dich was fragen?",unterbrach Tristan die Stille.
„Klar doch."
„Was war eigentlich auf Zoey's Geburtstagsfeier los?Warum bist du damals so ausgerastet?"
Perplex starrte ich ihn an.Irgendwie fühlte ich mich in die Enge getrieben.Ich kannte Zoey zu gut,und war mir ziemlich sicher,dass sie ihn alles erzählt hatte.
„Weißt du dass denn nicht?"
Er schwieg und schaute mich eine Weile an.
Plötzlich hielt ich es nicht mehr aus und all das was sich in den letzten Monaten angestaut hatte,sprudelteaus mir heraus,wie ein kohlensäurehaltigen Getränk,dass man zu schnell öffnet.
Ich erzählte ihm von dem Tag an dem sich meine Eltern getrennt hatten und meine Mutter mit dem Trinken begonnen hatte.Als ich ihn dass erste Mal in der Schule gesehen hatte.Das es ,wie kitschig es auch klingen mag,Liebe auf dem ersten Blick war und ich nicht wirklich wusste,wie ich ihn ansprechen sollte.Das ich mit dem Hungern anfing,nur um selbstbewusster zu werden und um ihn zu gefallen.Wie ich dadurch immer weiter in den Strudel der Magersucht geriet und in einem Teufelskreis von Essen,Kotzen,Sport und Wiegen gefangen war.Schließlich als ich ihn mit Zoey auf der Party gesehen hatte und mir mein Leben damit noch einen weiteren Tritt Richtung Abgrund verpasste.
Er hörte mir sehr aufmerksam zu und als ich zu Ende gesprochen hatte,sah ich dass seine Augen mit Tränen gefüllt waren.
„Alice,das tut mir alles so schrecklich Leid.Wenn ich,dass gewusst hätte...",er brach ab.
„Es braucht dir nicht Leid tun,es ist nicht deine Schuld,dass es so gekommen ist."
„Ich weiß,aber ich will,dass du weißt,dass dein Gewicht keine Rolle spielt.Es ist egal wie viel du wiegst,meine Gefühle zu dir ändern sich nicht.Ich liebe dich nicht und ich bin immer noch mit Zoey zusammen.Ich weiß,dass dich das sicher verletzt,aber das ist die Wahrheit und es wäre doch falsch von mir,dir Hoffnungen zu machen,die sich nicht erfüllen werden."
Einen Moment schien alles um mich herum zu erstarren.Ich schaute in seine wunderschönen,grünen Augen,ein stechender Schmerz bereitete sich in meiner Brust aus.Jemand zu lieben,aber nicht zurück geliebt zu werden,war eines der schlimmsten Gefühle überhaupt.

Engel müssen HungernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt