Nachdenklich stand Anna am Fenster und sah hinaus in die Nacht. Sie fragte sich, was Kean wohl gerade tat und wie es Talia ergehen musste. Gedanken, die sie mit Ben nicht teilen konnte. Der Hass, den er auf ihre neuen Freunde hegte, war fast greifbar. Und spätestens seit dem Gespräch mit seinem Vater, wusste Anna, dass sie ihre Gedanken lieber für sich behalten sollte.
Als es an der Tür klopfte, wendete die Blondine sich langsam vom Fenster ab und sah Ben entgegen, der lächelnd den Raum betrat. Er sah gut aus. Seine sonst so wilden Haare hatte er sich zurückgekämt und mit irgendeiner Paste dort befestigt. Außerdem trug er einen dunkelblauen, fast schwarzen Anzug, der im Mondschein einen Glanz annahm, den Anna so noch nie gesehen hatte. Allgemein hatte Anna selten blaue Kleidung gesehen, doch trotzdem trug sie in diesem Moment genau so etwas Edles wie Bens Anzug. Es war ein Kleid, das in der Farbe des Himmels schimmerte. Es reichte bis zum Boden und hatte nur einen Träger, sodass es Annas eine Schulter vollkommen entblößte. Sie fühlte sich nicht wohl darin, aber die Frau, die ihr in das Kleid geholfen hatte, hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie es anziehen musste.
„Du siehst wunderschön aus." Anna fühlte die Röte, die ihr ins Gesicht stieg, als Ben an sie heran trat.
„Danke", erwiderte sie verlegen, „Auch wenn ich nicht weiß, warum ich es überhaupt tragen muss." Ben lächelte und streckte seine Hand nach ihr aus. Verwundert sah die Blondine ihm entgegen.
„Wir sind nicht mehr im Camp, Anna. Es ist nicht mehr verboten." Sie zuckte. Dachte darüber nach, doch dann lächelte sie ebenfalls.
„Aber immer noch nicht angemessen", erwiderte sie, als sie sich an die Worte von Bens Vater erinnerte. Seine Familie stand in dieser Stadt für Tradition und Respekt. Wer war sie schon, dass sie Ben diese wichtige Tradition brechen ließ, erst die Frau zu berühren, die man für sich erwählt hatte. Und Anna wusste nicht, ob sie diese Frau noch für Ben sein konnte. Nach allem, was sie gesehen und erlebt hatte. Nach allem, was sie jetzt wusste. Egal was Bens Vater gesagt hatte, sie musste erst einmal für sich selbst entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollte. Und wem sie überhaupt noch glauben konnte.
Ben nahm seine Hand zurück und verschränkte sie hinter seinem Rücken. So ähnelte er seinem Vater noch mehr, wie Anna fand. Gesagt hätte sie ihm das aber nie. Viel zu sehr hatte sie Angst davor, wie Recht sie haben könnte.
„Lass uns gehen." Anna sah die Enttäuschung in Bens Blick, doch sie ignorierte es so gut sie konnte. Es war nicht mehr so wie im Camp. Sie war nicht mehr so.
„Wohin?", fragte sie stattdessen.
„Lass dich überraschen." Das Grinsen stahl sich zurück in Bens Gesicht, während er Anna mit einer Geste aus dem Zimmer winkte und die Tür hinter ihr schloss. Sie fragte nicht weiter nach, sondern folgte Ben aufmerksam. Er lief ein Stück vor ihr, sodass sie in seinen Rücken starrte. Er war stärker geworden. Kräftiger.
„Ich bin froh, dass du mir zugehört hast, Anna", erklärte Ben plötzlich, während sie die Wendeltreppe nach unten stiegen. Anna gab einen zustimmenden Laut von sich, dann schwieg sie wieder. Was wollte Ben nur von ihr hören? Sie wollte gerade nicht hier sein. Nicht in ein enges Kleid gezwengt durch die Flure dieses schicken Hauses laufen und sich fragen, ob das, was sie hier tat, wirklich richtig war. Ob sie hier wirklich hingehörte. Sie wollte mehr Zeit, um sich über alles klar zu werden.
„Du wirst es lieben." Mit diesen Worten stieß Ben plötzlich eine große Tür auf, die in den unteren Westflügel führte. Anna stockte der Atem. Gleißendes Licht empfing die Beiden und entblößte ein bunt schillerndes Meer aus Menschen. In sich drehende, ineinander verschmelzende Farben, die kein Ende zu nehmen schienen. Anna trat noch einen Schritt nach vorne und stand sofort an einem Treppenabsatz. Drei Stufen und sie würde mitten unter ihnen sein. Den Tänzern und dem Gelächter. Fragend drehte sie sich zu Ben um, der sein verführerischstes Lächeln aufgesetzt hatte.
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Just One Touch - Nur eine Berührung
FantasyRote Augen. Als Anna diese zum ersten Mal erblickt, weiß sie, dass das Leben, wie sie es kennt, vorbei ist. Während sie bis dahin sorglos in einem der vielen Camps außerhalb der Gesellschaft leben konnte, muss sie plötzlich lernen, was das wahre Leb...