Kapitel 35

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Ben stürzte sich auf einen Rotäugigen, der gerade von hinten an Noel herangeschlichen war. Er hatte ausgeholt, um die große Keule, die er in der Hand hielt, über den Schädel seines Bruders zu ziehen, als Ben ihn von hinten in die Schulter geschossen hatte. Danach war allerdings das Magazin seiner Waffe leer gewesen, sodass seine Fäuste das einzige waren, das er noch einsetzten konnte. Nun hatte Ben seinen Gegner mit sich nach hinten gerissen und schlug ihm mit der Faust in die Seite. Dieser schrie laut auf und wirbelte herum, sodass er mit seinem Gewicht nun auf Ben lag, der zum ersten Mal in sein Gesicht sehen konnte. Anstatt Augenbraunen wies dieser Rotäugige in seiner linken Gesichtshälfte dicke Geschwülste auf, die sein Auge fast komplett bedeckten. So sah er noch monströser aus, als seine Artgenossen es schon taten. Ben versuchte, seinen Gegner von sich zu drücken, der sich jedoch mit seinem gesamten Gewicht dagegen stemmte, und den jungen Mann damit unter sich begrub. Gerade als der Rotäugige Bens Kopf in seine riesigen Pranken nahm, um ihn zu zerquetschen, ertönte ein Schuss. Bens Gegner landete auf ihm, wodurch die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Ben keuchte auf und drückte den leblosen Körper von sich. Als er endlich wieder klar sehen konnte, blickte er direkt in Noels Grinsen, der ihm auffordernd seine Hand entgegen streckte. Dankbar ergriff Ben sie.

„Du bist nicht bei der Sache", erklärte Noel seinem Bruder vorwurfsvoll. Neben ihm lag sein Gegner in einer kleinen Blutlache, die immer größer wurde. Ben nickte. So sehr er sich auch bemühte, seine Gedanken waren nicht bei diesem Kampf, der vielleicht entscheidend für ihre Sache war, sondern nur bei einer bestimmten Blondine. Anna hatte so viel in Gefahr gebracht, was ihm in den letzten Monaten wichtig geworden war, aber Ben war sich sicher, dass sie niemals allein so gehandelt hätte. Die Anna, die er kennen gelernt hatte und die, die er so sehr liebte, hätte niemals so gehandelt. Egal was diese Wesen ihr angetan hatten, er würde es rückgängig machen. Er würde Anna wieder zu dem Mädchen machen, das sie einmal gewesen war. Sie bei seinem Vater zu lassen, war ihm daher als die beste Möglichkeit vorgekommen. Sie musste verstehen, dass alles, was er tat, nur dafür war, um sie zu beschützen.

„Hallo, Bruder. Bist du bei mir?" Noel schnipste vor seinen Augen und brachte Ben so dazu, seine Aufmerksamkeit wieder ihm zuzuwenden. Ben nickte.

„Gut. Wir haben die Wesen in die Flucht geschlagen. Die Frauen, Kinder und einige Beschützer sind in den Wald geflohen. Ein paar unserer Männer sind ihnen schon nach."

„Dann los." Ben war sich bewusst, dass die paar Rotäugigen, die sie hier getötet hatten, lange nicht genug waren, um das Problem zu beseitigen. Blieben die Frauen und Kinder übrig, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Stärke wiedererlangt hatten. Ben wollte gerade loslaufen, als Noel ihn an der Schulter stoppte.

„Wo ist Vater?" Ben deutete in die Richtung, aus der er vor ein paar Minuten gekommen und drei dieser Bastarde erledigt hatte. Er war so wütend gewesen. Wie konnte Anna nur behaupten, dass ihre Eltern sie nicht geboren hatten und wieso glaubte sie nur, dass Ben auch nicht der leibliche Sohn seines Vaters war? Bens Mutter war tot. Sie hatte keine Chance mehr, sich gegen diese Vorwürfe zu verteidigen. Absurde Vorwürfe, die nichts weiter waren als bloße Lügen. Erst hatten diese rotäugigen Monster ihm seine Mutter genommen und nun nahmen sie ihm Anna.

Ein Schuss riss Ben aus seinen Gedanken.

„Du kümmerst dich um Vater!" Damit stürmte Noel davon und mit ihm drei seiner Männer. Fluchend sah Ben ihnen nach. Wieso musste er hier bleiben? Sein Vater kam sicherlich auch ohne ihn klar und eigentlich hatte Ben gehofft, ihm noch ein bisschen Zeit mit Anna geben zu können.

Stattdessen kniete er sich neben einen seiner toten Kameraden, dessen Namen er nicht einmal kannte, und schnappte sich dessen Waffe. Nachdenklich sah er sich um. Dieses Lager war nicht gerade klein gewesen und es würde mit Sicherheit noch einige Zeit dauern, bevor sie diese Brut gänzlich ausgemerzt hatten. Und es würde noch einige gute Leben kosten. Mit diesem Gedanken entsicherte Ben die Waffe und lief zurück zu der Stelle, an der er eben seinen Vater und Anna zurückgelassen hatte. Als diese aber nun wieder in Sichtweite kam, war Ben zum ersten Mal wirklich froh, auf den Befehl seines Bruders gehört zu haben. Sein Vater lag gerade unter dem Rotäugigen, der seine Augen auf Anna geworfen hatte. Wie Ben ihn doch hasste. Er schrie laut auf, als er sich vom Boden abstieß und auf den Rotäugigen zu stürzte, ehe dieser nach dem Messer greifen konnte, das neben den beiden Kämpfenden lag. Er rollte sich mit ihm über den Boden und spürte, wie der Bastard nach seiner Waffe greifen wollte. Er bekam sie zu fassen, doch bevor er sie kontrollieren konnte, schlug Ben sie ihm aus den Fingern. Die Waffe schlitterte über den Boden von den beiden weg, als Ben auch schon einen Schlag in seinem Gesicht spürte und den Bastard von sich stieß. Er spürte das warme Blut, das über seine Lippen lief und nahm den metallenen Geschmack wahr, aber seine Aufmerksamkeit galt nur dem Wesen vor ihm. Er rannte auf es zu, doch das Wesen wich ihm aus, indem es zur Seite sprang. Ben folgte seinen Bewegungen, die bei weitem nicht mehr so geschmeidig waren, wie bei ihrem letzten Kampf. Dieser und die Auseinandersetzung mit Bens Vater schienen ihm schon sehr zugesetzt zu haben. Das machte Ben sich zunutze. Er schnellte nach vorne und vertraute darauf, dass das Wesen wieder zur gleichen Seite ausweichen würde. Er wurde nicht enttäuscht. Als das rotäugige Monster zur linken Seite sprang, war Ben darauf vorbereitet. Er warf sich zu Boden, schlitterte unter dem reflexartigen Schlag des Bastards hindurch und stoppte hinter ihm. Ben sprang auf seine Beine und packte das Wesen, indem er seinen Arm auf den Rücken drehte und seinen zweiten um den Hals des Monsters legte. Er war sich sicher, dass das Wesen in seinem Normalzustand sicherlich in der Lage gewesen wäre, ihn abzuschütteln oder sonst eine Fähigkeit zu nutzen, doch die zahlreichen Wunden und der dazugehörige Blutverlust hatten ihn geschwächt. Sehr geschwächt.

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