Kapitel 27

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„Anna, warte." Sie achtete nicht auf Bens Worte, sondern stieß die Tür auf und betrat den Raum. Gleißendes Licht strahlte ihr entgegen, sodass sie für einen Moment die Augen schließen musste, um sich daran zu gewöhnen. Krampfhaft zwang sie sich, ihre Lider zu heben, ehe Ben sie erreichen und ahnungslos aus dem Raum ziehen konnte. Er war schon direkt hinter ihr, als ihr Blick endlich wieder klar wurde. Sie stand auf einer Brüstung aus Stahl und direkt vor ihr, ging es steil nach unten in einen weiteren Raum. Vorsichtig trat sie einen Schritt nach vorne, als sie plötzlich an der Schulter gepackt und herumgewirbelt wurde. Ängstlich sah sie in Bens Gesicht, das teilweise von seinen dichten, schwarzen Haaren verdeckt wurde. Sie sagte nichts, sondern sah ihn einfach nur an, als er seufzte.

„Ich zeige es dir", murmelte er plötzlich und hob seinen Kopf, um ihr direkt in die Augen zu sehen. Anna drohte bereits wieder in dem Blau zu ertrinken, als er ihre Hand in seine nahm und ihre Finger ineinander verschränkte. Es war ein wunderbares Gefühl, ihm so nahe zu sein, dass Anna beinahe vergaß, weshalb sie wirklich hier war. Die Wahrheit.

Ben fuhr sanft mit seinem Daumen über ihren Handrücken, als er sie wieder einen Schritt nach vorne und damit zurück an den Rand der Brüstung zog. Gemeinsam sahen sie in die Tiefe und während Bens Blick kalt wie Eis blieb, zog Anna der Schock durch den gesamten Körper. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht sofort davonzurennen. Unter ihnen war ein großer Raum, in dem in gleichmäßigen Abständen Krankenbetten standen, in denen Menschen jeden Alters und Geschlechts lagen. Keiner von ihnen rührte sich unter den weißen Laken, während Männer und Frauen in weißen Kitteln in den Gängen auf und abliefen. Stumm sah Anna zu Ben und musterte ihn. Seine Gesichtszüge blieben hart, während sein Blick durch die Reihen wanderte und er alles und jeden genau beobachtete. Das hier sah er sicherlich nicht zum ersten Mal und es schien ihm zu gefallen. Ben schien Annas Blick gespürt zu haben, denn er sah ihr wieder direkt entgegen. Sie versank in dem tiefen Blau, das ihr so vertraut war, und hatte das Gefühl, als würde die Zeit still stehen. Was war das nur zwischen Ben und ihr, dass er ihr selbst in solch einem Moment den Atem raubte? Vorsichtig hob der junge Mann ihre ineinander verschränkten Hände an und legte die ihre an seine warmen Lippen. Die Röte schoss in ihren Kopf, als er einen kurzen Kuss auf ihre Finger hauchte und sie dann widerstandslos hinter sich her zog. Ben führte sie zu einer Treppe, die sie hinunter zu den Krankenbetten führte. Anna sagte nichts. Sie versuchte, die Hitze aus ihrem Körper zu verbannen, die Ben erzeugt hatte, und sich auf das zu konzentrieren, was hier geschah. Am Fuße der Treppe stand ein junger Wachmann, der seine Hände zum Gruß vor sein Gesicht hob. Anna erwiderte die Geste wortlos.

„Das ist unser Labor." Bens Stimme durchbrach die Stille. Er ließ Annas Hand los und trat an das erste der Betten. Anna sah, dass er zögerte, als er die Lider des Mannes nach oben schob und seine roten Augen entblößte. Sie hatte es geahnt, aber gehofft, dass sie sich irrte. Diese leblosen Menschen gehörten alle zu den Schamee. Kean hatte also recht gehabt, als er vermutete, dass nicht alle von ihnen getötet worden waren. Die Wachmänner hatten sie tatsächlich hierher geschafft. In dieses... Labor.

„Er kann dir nichts tun." Anna lenkte ihren Blick langsam von dem Rotäugigen ab und sah zu Ben, der ihr aufmunternd zunickte. Er verstand ihre Situation wohl falsch, aber Anna würde ihn auf keinen Fall darüber aufklären, dass die Schamee ihr in dieser Stadt am wenigsten Angst machten. Stattdessen nickte sie Ben bloß zu und sah wieder zu dem leblosen Mann. Sie kannte ihn nicht und doch fühlte sie Mitleid und eine tiefe Verbundenheit. Er war hier gefangen und Anna konnte nicht einmal erahnen, was er hier alles ertragen musste. In diesem Moment trat ein älterer Mann neben Ben und grüßte ihn, indem er seine Hände vor sein Gesicht hob. Dasselbe tat er in Annas Richtung, die die Geste erwiderte.

„Benjamin, was verschafft mir diese Ehre?" Eine junge Frau trat neben den Älteren und überreichte ihm ein Klemmbrett. Mit einer Handbewegung verscheuchte er sie wieder und wendete sich Ben zu.

Just One Touch - Nur eine BerührungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt