Kapitel 30

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Fassungslos starrte Anna Kean an. Nach Plan? Sie waren hier im unteren Teil eines Hauses, zu dem es nur von einer Tür aus Zutritt gab. Eine Tür, die die Wachmänner bald erreicht haben würden und spätestens wenn sie den leblosen Bernard und toten August gesehen hatten, würde es für keinen von ihnen mehr Erbarmen geben. Und selbst mit den erwachten Verbündeten waren sie immer noch zu wenig, um es mit allen Wachmännern in ihrer eigenen Stadt aufnehmen zu können. Vor allem mit Ben und seiner Familie, die in dieser Situation wohl nicht einmal Anna verschonen würden. Aber das war in Ordnung. Sie wusste, dass sie das auch nicht mehr verdient hatte.

In diesem Moment trat Kean neben eine der Frauen und drehte sie zu sich um. Er zwang sie in seine roten Augen zu sehen, die sie sichtlich mehr fürchtete als irgendetwas sonst. Aber vielleicht war es auch die plötzliche Berührung, die ihr den Schauer über den Körper jagte. Kean verstieß hier gegen die ungeschriebenen Gesetze dieser Menschen und er wusste ganz sicher, was das bedeutete.

„Wie kommen wir hier raus?" Die Frage war klar und so eindringlich, dass die Frau vor Kean zusammenzuckte. Sie starrte von ihren Fingern in seine Augen und wieder zurück. Sie war verzweifelt. Verwirrt. Und so voller Furcht, dass Anna glaubte, sie gleich zusammenbrechen zu sehen. Mit zitternden Fingern deutete sie auf die Tür ein Stockwerk über ihnen. Keans Blick wurde kalt.

„Wie?" Die Frau kreischte kurz auf, als der Griff des Rotäugigen fester wurde. Intuitiv trat Anna einen Schritt nach vorne, aber Adrian schien damit gerechnet zu haben. Er stellte sich vor sie, sodass sein starker Rücken sie von Kean trennte. Die Rufe, die sich der Tür näherten, wurden immer lauter.

„Ich.. ich weiß nicht... wovon..." Keans Finger drückten sich in den Arm der Frau, sodass man sehen konnte, dass es Blutergüsse verursachen würde. Und damit ein Zeichen, angefasst worden zu sein, das tagelang zu sehen sein würde.

„Wo?", knurrte Kean, wodurch die Frau nun endgültig zu weinen begann. Hätte Kean sie nicht gehalten, wäre sie wohl zu Boden geglitten. Anna schluckte. Was erhoffte er sich davon?

Die Frau, die Anna bereits kannte, trat vor. Den Kopf zu Boden gesenkt stand sie dort und zog alle Blicke auf sich.

„Ich kenne einen Gang, der für den Doktor bestimmt war, wenn es hier zu einem ... Vorfall kommen würde." Die Stimme der Frau war fest und klar. „Ich kann ihn euch zeigen." Das schien Kean zu reichen. Achtlos ließ er die junge Frau in seinen Armen los und schenkte ihr nicht einmal mehr einen einzigen Blick, als sie zu Boden sank und jämmerlich zu weinen begann. Mitleidig sah Anna zu, wie die anderen Frauen zu ihr liefen und sie unter Mühen wieder zu ihrem Rückzugsort zogen. Kean folgte währenddessen der Krankenschwester, die vor ihm her zu einer der hinteren Ecken des Raumes lief. Es kam Anna so vor, als würde sie extra so langsam wie möglich voranschreiten, wobei ihr Blick immer wieder zu der Eingangstür fiel. Es würde nicht mehr lange dauern und dann würde es hier von den Wachmännern nur so wimmeln. Und Anna war sich dessen bewusst, dass sie keine Chance gegen sie haben würden.

„Hier ist es. Der Notausgang." Die Krankenschwester deutete auf ein Stück Mauer hinter einem kleinen Laborwagen, auf dem sich einige schmutzige Aluminiumschalen befanden, an denen noch Blutreste klebten. „Aber ich weiß nicht, wie es sich öffnen lässt." Ihr Blick fiel auf den toten August. Für einen Moment meinte Anna, Bedauern in ihren Augen zu erkennen, aber es war so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war. August schien nicht gerade beliebt bei seinen Angestellten gewesen zu sein.

Keans Räuspern riss mich aus meinen Gedanken und meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Er hingegen sah Adrian entgegen, der immer noch vor mir stand. Er erwiderte Keans auffordernden Blick, ehe er aufseufzte und sich in Bewegung setzte.

„Ich mach das." Gespannt beobachtete Anna, wie Adrian sich an Kean und der Krankenschwester vorbeischob und schließlich den Laborwagen zur Seite schubste. Er gab ein Quietschen von sich, als er langsam davonrollte und zerstörte so die gespannte Stille, die entstanden war.

Just One Touch - Nur eine BerührungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt