⁵ DIENSTAG, 22:14Uhr

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Ich habe es nicht fertigbekommen

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Ich habe es nicht fertigbekommen. Seit Mittwoch gehe ich Hendrik mehr oder wenige aus dem Weg und komme einfach nicht dahinter, wo das plötzliche Desinteresse herkommt. Vor einer Woche hat mich jede Textnachricht kitschig grinsen lassen und jetzt...
Stirnrunzelnd schließe ich den vollen Geschirrspüler.

Ob es an diesem Foto lag? Dieses Schattenbild hinter dem Vorhang von Hendrik und seiner Ex?
Ein wenig, aber es steht nicht im Vordergrund.
     Die Taste piepst, als ich den Vorgang des Spülens starte.

Nachdem meine Hände wieder trocken sind, landet das Tuch wieder am Haken. Träge trotte ich zurück ins Wohnzimmer zurück.

     Warum werde ich einfach nicht schlau aus mir?
     Warum kann ich mir nicht einmal sicher sein und bei etwas bleiben?

Seufzend setze ich mich auf den Schreibtischstuhl, fahre mir über das zerknitterte Gesicht und sehe die Wand an.
Eine Wand des Ichs.
Wer kommt auf solche Ideen?
     Nachdenklich beginne ich auf der Unterlippe zu kauen.
Eine Mindmap über mich selbst? Ob es etwas bringt?

Vom Schreibtisch ziehe ich ein Schmierblatt und ein Edding hervor. Etwas Klebeband noch zur Unterstützung.
     Fünf Minuten später sitze ich in derselben Position auf meinem Stuhl und sehe den gleichen Fleck Wand an. Nur, dass nun ein Zettel mit Tilda dort hängt.

»Wer bist du?«, flüstere ich. Laut sprechen ist in der leeren Wohnung immer ein komisches Erlebnis.

     Der Klebezettel in meiner Hand bleibt weitere zehn Minuten leer.
Bis ich einfach Lustig draufschreibe. Sanft klebe ich ihn neben meinen Namen und mache einen Schritt zurück.
Das sagt ja überhaupt nichts über mich aus. Jeder ist lustig.

                Ein kurzer Schrei verlässt meine Lippen, als plötzlich die Klingel durch meine Wohnung schrillt. Wer...
Langsam lege ich Klebezettel und Stift aus der Hand, dann gehe ich zum Telefon.

»Hallo?«
»Ich bin es.«
»Teo?«
     Ich höre jedoch nur ein kurzes Schniefen, weshalb ich sofort den Drücker bestätige, und die Wohnungstür aufmache. Zwar stehe ich nun halbnackt im Treppenhaus, was mich aber wenig interessiert.

Matteos schwere Schritte kommen immer näher, während ich an Jonas' Worte von gestern wieder denken muss.
Nachdem die Jungs bei Matteo waren und er total ausgerastet ist, bin ich kurz bei Jonas vorbeigekommen. Natürlich habe ich nichts von David erzählt. Dass soll er selbst machen.

                Sobald der Junge um die Ecke kommt, sehe ich die geröteten Augen, sowie die gebrochene Körperhaltung.
»Ach, Teo.«, hauche ich und ziehe ihn in eine feste Umarmung, welche er sofort erwidert.
Schweratmend legt er die Stirn auf meine Schulter.
      »Komm erstmal rein.«
Während ich die Tür hinter uns schließe, trottet der Junge bereits weiter zum Bett und lässt sich darauf sinken. Stumm setze ich mich wieder auf den Stuhl und ziehe ein Bein an die Brust.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Alles würde scheiße klingen.

      »Warum kann ich nicht einfach auf Frauen stehen und mit dir zusammen sein. Dann wäre alles einfacher.«, sagt Matteo, wobei seine Stimme durch das Kissen gedämpft wird.
Er kann mein Kopfschütteln nicht sehen, weshalb ich mich erhebe und neben ihn setze.
»Sag so etwas nicht.«
»Warum? Es ist die Wahrheit.«
Seufzend lege ich ihm die Hand auf die Schulter, um sein Gesicht somit leicht zu mir zu drehen.
»Du gehörst zu David.«

    »Warum habe ich dann manchmal das Gefühl, dass wir beide beschissene Seelenverwandte sind? Du weißt immer, was bei mir abgeht und weißt auch, was du machen sollst, damit es mir besser geht. Es ergibt keinen Sinn, dass ich nicht Hals über Kopf in dich verschossen bin.«
Traurig hebe ich die Mundwinkel an, rutsche an die Wand des Bettes und sehe geradeaus. Matteo beobachtet mich dabei.
»Schon mal daran gedacht, dass Seelenverwandte nicht immer Paare sein müssen? Dass zwischen ihnen eine Beziehung erstehen muss?«
»Aber das ist doch logisch.«
»Also ist das zwischen uns unlogisch?«
»Nein, aber allgemein-«
»Allgemein musst du nichts betrachten, Matteo. Gehe immer von dir aus.«
Für ein paar Sekunden wird er ruhig. Scheint nachzudenken.

»Ist dieser Hendrik dein Seelenverwandter?«
»Nein.«, gebe ich ehrlich zu.
»Magst du ihn?«
Kurze Zeit überlege ich, zucke mit den Schultern.
»Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden mag.« Erneut eine Wahrheit.

Matteo erhebt sich leicht und rutscht auf den Platz neben mich. Beide lehnen wir nun an der Wand und sehen auf meinen Namen auf der anderen Seite.

»Es fühlt sich komisch an. Man will irgendwie bei dieser Person sein, obwohl man sie gar nicht richtig kennt. Will am liebsten alles über sie erfahren. Jede noch so kleine Geschichte.«
»Aber das ist doch bei Freunden auch so?«, murmle ich leicht verwirrt. Als Matteo den Kopf zu mir dreht, mache ich es ihm nach.
»Aber du kannst ihn nicht so berühren wie einen normalen Freund.« Es ist nicht mehr als ein Flüstern, trotzdem verstehe ich jedes Wort glasklar.

»Hast du nicht auch in deinem Bett gelegen und dir vorgestellt, wie es jetzt mit dieser Person wäre. Ohne jetzt an Sex zu denken. Einfach nur beieinander. Ein Finger an deiner Wange oder das Streichen über deinen Oberkörper.«
     Seine Augen haben einen bestimmten Glanz angenommen, weshalb ich erneut traurig lächle.
»Es ist ein schönes Gefühl, oder?«
Matteos Lippen beginnen leicht zu beben. »Das Beste.«

                Mit geschlossenen Augen lege ich meinen Kopf auf seine Schulter.
Wenn es das schönste Gefühl auf Erden ist, warum zucke ich dann vor jeder Berührung zurück?

     »Hast du vergessen, wie du heißt oder warum steht dein Name an der Wand?«, höre ich ihn lachend schniefen.
»Ich versuche herauszufinden, was mich ausmacht. Das ist die Wand des Ichs.«, antworte ich.
Als sich Matteos Schulter unter meinem Kopf verschwindet, sehe ich ihm stirnrunzelnd nach.

Er betrachtet den einzigen Klebezettel genau, schaut sich um und nimmt schließlich die beiden Utensilien in die Hand.
»Du musst nicht...«
Doch da hat er bereits angefangen zu schreiben.
       Ihm fällt so schnell etwas über mich ein.

Teo klebt einen an die Wand. Dann noch einen. Und noch einen.
Bis er plötzlich an die zehn Zettel um meinen Namen herum geklatscht hat. Neugierig erhebe ich mich.
Der Junge drückt die Kappe wieder auf den Stift. »Einfacher als das Spanisch Abi letzte Woche.«

Als könnten die Wörter jeden Moment wieder verschwinden, überfliege ich sie in solcher Hast, dass ich erst gar nicht realisiere, was da überhaupt steht. Also lese ich erneut jedes einzelne im Schneckentempo.

Kreativ, gute Zuhörerin, warmherzig, gibt die besten Umarmungen, kein Tropfen Alk zu viel, Gras gehört (hauptsächlich) zu den Hasen, beste Witze, Vorbild einer Mutterfigur, beste Ratschläge, für immer der wertvollste Mensch in meinem Leben.

      Mit jedem Zettel schiebt sich meine Unterlippe wie von selbst nach vorne, wobei Matteo mich nur mit einem leichten Lächeln von der Seite beobachtet.
»Tilda, wenn du nicht weißt, wer du bist, frage einfach deine Mitmenschen. Die helfen dir dabei sofort.«

MELANCHOLIE ᵈʳᵘᶜᵏWo Geschichten leben. Entdecke jetzt