Tommy

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Ich schloss die Zimmertür hinter mir, bevor mein Vater mich auch nur zu Gesicht bekam. Es roch nach Zigarettenrauch, obwohl das Fenster offen stand. Mamma fand es schrecklich, dass mein Bruder im Zimmer rauchte. Wie immer ignorierte er ihre Worte.

„Willkommen, kleiner Bruder!" Federico hatte gute Laune. Seine Laune war nicht immer gut. Ich vermutete, seine Freundin hatte ihn mal wieder ran gelassen. Aber darüber wollte ich nicht nachdenken.

„Na?" Ich kickte meine Schuhe von den Füßen und ließ sie einfach im Weg liegen. Das Zimmer war sowieso immer unordentlich. Niemand von uns dreien störte sich daran. Nur manchmal konnte Mamma nicht an sich halten und räumte einfach auf. Das hielt höchstens einen halben Tag lang.

„Na, Kleiner?"

„Hey, Tommy..." Hoffentlich wurde ich nicht rot.

Ich warf meine Tasche auf das untere Etagenbett. Das war meins. Das untere Bett. Oben schlief Samuele und Rico hatte ein einzelnes. Das war unfair. Aber ich sah ein, dass drei einzelne Betten zu viel Platz im Raum wegnehmen würden.

„Ist Samu nicht da?", fragte ich und versuchte den besten Freund meines Bruders nicht anzusehen.

„Siehst du ihn irgendwo?"

„Er ist unsichtbar."

„Samuuu?!", brüllte Rico. Keine Antwort. „Heute nicht. Er ist nicht da."

„Schon geschnallt." Ich warf mich auf meine Matratze. „Es gibt gleich essen."

„Ich geh da nicht raus. Die Alte ist wütend auf mich." Er zündete sich eine Kippe an. Mich störte das nicht mehr. Ich hatte mich daran gewöhnt.

„Weil du faul bist."

„Fang du nicht auch an!"

Ich hob abwehrend meine Hände. Nun traf mein Blick doch auf Thomas. Schrecklicher Name. Seinen Spitznamen mochte ich. Tommy...

Er war nicht sonderlich nett. Weder zu mir, noch zu irgendwem sonst. Wahrscheinlich verstand er sich deswegen so gut mit meinem Bruder. Der war auch nicht nett. Aber ich mochte Tommy trotzdem irgendwie. Ich konnte nicht sagen warum. Ob mir nur sein Aussehen gefiel. Er war groß und sportlich. Seine braunen Haare sahen immer ungemacht aus. Oder ob ich sogar seinen merkwürdigen Charakter mochte. Ich wurde nicht schlau aus dem Typen und dennoch pochte mein Herz wie wild, wenn ich ihn sah. Wenn ich mit ihm redete und wir einander in die Augen schauten. Das kam nicht oft vor. Aber ich hörte ihn gern reden.

So wie jetzt. Ich lag auf meinem Bett und hörte den beiden einfach nur zu. Mich interessierte ihr Gespräch nicht. Sie sagten gemeine Dinge über irgendwelche Leute. Und über unsere Mutter. Aber darum ging es mir nicht. Ich lauschte einfach nur gern Tommys Stimme.

„Was macht dein schwuler Job?" Das meinte ich. Er war eben nicht nett.

„Der hört dich nicht. Der ist voll weg."

„Ey!" Ein leere Bierdose flog auf mein Bett. Der letzte Sabberschluck lief auf meine Jeans. Widerlich.

Ich kickte die Dose vom Bett und warf den beiden einen bösen Blick zu. Dass ich ihnen von Anfang an zugehört hatte, musste ich ihnen nicht unter die Nase reiben.

„Ich hab dich was gefragt."

„Was denn?" Wie gesagt: ich wurde nicht schlau aus dem Typen. Ich wusste nicht, wieso er sich manchmal mit mir unterhalten wollte. Das war gemein. Denn so machte sich mein dummes Herz eine kleine Hoffnung. Aber das konnte er ja gar nicht wissen.

„Was macht dein schwuler Job?", wiederholte er seine hirnlose Frage.

„Meine Arbeit ist nicht schwul. Schwul ist kein Wort, das auf sowas zählt, du Penner."

„Aber nähen ist schwul."

Das brachte meinen Bruder zum Lachen. Ha. Ha. Arschloch.

„Schneidern ist ein Handwerk. Und Handwerk ist Männersache. In Klischees gesprochen, damit Hirnlose das auch verstehen."

„Oioioi! Schlauberger!" Wieder warf er eine leere Dose nach mir. „Schwuchtel."

Ich warf meinen Kopf zurück ins Kissen und starrte ans Lattenrost des oberen Bettes. Rico und sein bester Freund lachten. Über das dumme Gespräch. Über den dummen kleinen Bruder. Ich kniff meine Augen zusammen und kickte auch die zweite Dose vom Bett.

Verfluchte Scheiße!

Wolke null [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt