Knutschfleck

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Wir standen neben der Bühne und sahen uns eine Probe an. Ich war nicht wirklich bei der Sache. Wie immer hing ich mit meinen Gedanken ganz woanders.

„Das ist so cool", flüsterte Alex.

Ich brummte nur leise, fummelte am Kragen meines Hemdes herum.

„Findest du nicht auch, dass..." Weil er nicht weiter sprach, wandte ich meinen Blick von den Schauspielern ab. Heute sah Alex wieder aus wie immer. Ungeschminkt und die Haare in einem unordentlichen Dutt geknotet. Er trug einen Pulli, der ihm zu groß war und eine weite Jeans. Durch die Klamotten wirkte er kleiner als er war. Selbst im Alltag war dieser Mensch zu schön für die Welt. In meinen Augen war Alex ein einziges Kunstwerk.

„Was ist?", fragte ich und rieb mir den Nacken.

„Was hast du da?" Er drückte auf mein Schlüsselbein. „Hast du dich gestoßen?"

Von allein legte sich meine Hand auf die Stelle. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Da mein Hemd nicht bis oben zugeknöpft war, konnte man den dunkelroten Fleck sehen, den Tommy vorletzte Nacht hinterlassen hatte. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.

Alex schlug sich die Hand vor den Mund. „Du hast dich nicht gestoßen", nuschelte er.

Ich schüttelte den Kopf, drehte mich weg, um ihn nicht ansehen zu müssen.

Alex packte mich an den Ärmeln und zog mich in eine ruhigere Ecke. „Wer...?"

Ich knöpfte mein Oberteil weiter zu, leckte mir über die Unterlippe, um nicht grinsen zu müssen. Es war bescheuert. Nachdem Tommy einfach verschwunden war, hatte ich mich elend gefühlt. Seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Trotzdem war ich eine Blumenwiese, wenn ich daran dachte, was geschehen war. Mein dummes Herz übernahm das Kommando und war voll auf Schmetterling eingestellt.

Mein bester Freund sprang vor mir auf und ab. „Erzähl es mir endlich!", jammerte er.

Diesmal nahm ich ihn am Kragen und zog ihn dichter zu mir. „Er hat mich geküsst." Nun konnte ich doch nicht mehr anders als zu Lächeln.

„Wer?"

„Tommy...!"

„Was?!"

„Ja, ich weiß!" Immerhin hatte ich Alex von ihm erzählt. Auch, dass er so ein Arsch war. „Der erste Kuss ist schon eine Woche her", gestand ich.

„Und du sagst mir nichts?" Alex stach mir seine Finger in die Seite.

Ich hielt ihn trotzdem weiter fest. „Weil ich mich schrecklich gefühlt hab. Er hat mich danach beschimpft und meine Latte hat er auch bemerkt..."

„Shit, du hattest 'nen Ständer?" Er war viel zu laut!

Ich sah mich um und legte meine Hand auf seinen Mund, damit er die Klappe hielt. „Es war eben Tommy... Und ich bin 16! Komm schon." Es war nicht überraschend, dass mich ein so heftiger Kuss aus der Bahn warf.

Alex nickte und verdrehte die Augen. Das Problem müsste ihm immerhin bekannt sein.

„Jedenfalls." Erneut ließ ich meinen Blick schweifen, damit mich niemand sonst hören konnte. „In der Nacht auf Sonntag stand er plötzlich in meinem Zimmer. Und wir haben uns wieder geküsst." Ich biss mir grinsend auf die Unterlippe und hüpfte nun selbst auf uns ab, während ich ihm noch immer den Mund zuhielt. „Und dann hat er mir... also er hat..."

Alex machte eine Handbewegung.

Ich schüttelte den Kopf, woraufhin er die Augen weit aufriss. „Mit dem Mund", flüsterte ich. „Und dann hab ich ihm..." Ich machte seine Handbewegung nach.

Mein bester Freund schloss die Augen, legte sich dramatisch den Handrücken an die Stirn und ließ sich nach hinten kippen. Da wir so dicht beieinander standen, konnte ich ihn mit Leichtigkeit auffangen.

„Oh mein Gott..."

„Jaa...!!" Ich joggte auf der Stelle. „Okay... mal abgesehen davon, dass ich ihn seitdem nicht mehr gesehen hab. Er hat sich einfach aus dem Staub gemacht. Aber...!"

„Oh mein Gott!!" Alex zog an mir. „Also war es toll? An sich?"

„Es war krass!"

„Und Tommy?!"

„Ja!" Mein Herz schlug wieder wie wild, wenn ich nur daran dachte. „Ich... also keine Ahnung. Eigentlich will ich mir da nicht zu viel erhoffen. Ich meine, er ist ein Arsch. Wahrscheinlich meint er das gar nicht ernst. Er macht sich einen Spaß draus. Aber ich kann nicht anders..." Wieder rüttelte ich an meinem Freund und jammerte verzweifelt auf. „Ich bin einfach so verknallt in ihm."

„Oh Baby." Alex zog eine Schnute und streichelte meine Wangen.

„Ich will kein Herzweh..."

„Ich weiß, Raffi."

„Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich... Irgendwie hat mein Verstand kein Mitspracherecht." Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken.

Die Blondine strich mir über den Rücken. „Ich werde dich auffangen, wenn es nötig ist", murmelte er und drückte mir einen Kuss hinter das Ohr.

Wolke null [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt