Dumme kleine Hoffnung

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Meine Finger glitten über seinen Bauch. Federleicht. Er schlief. Ich lag wach und schmiegte mich an ihn, genoss seine Nähe, solange ich konnte. Das ging nicht, wenn er wach war. Wir hatten Sex und küssten uns. Aber kuscheln tat er nie mit mir. Nur wenn er schlief, konnte ich mich an ihn schmiegen. Einfach da liegen und ihn ansehen. Stundenlang. Er war wunderschön. Seine Gesichtszüge entspannten sich. Für einen Augenblick war er ganz friedlich. Die graue Wolke über seinem Kopf verpuffte und die ganze Welt wiegte nicht mehr so schwer.

Ich wusste nicht genau, was für Sorgen er tagtäglich mit sich herumtrug. Nach wie vor redete Tommy nicht viel mit mir. Es war selten, dass er mehr als das nötigste sagte. Er war kein guter Redner. Aber das war okay. Nicht jeder konnte über seine Gefühle sprechen. Oder über Probleme. Oder überhaupt irgendwas. Nur Scheiße labern konnte er gut. Da sollte er dann doch lieber die Klappe halten. Dabei mochte ich seine Stimme so gern.

Lautlos seufzte ich und streichelte über sein Kinn. Mir war nicht ganz klar, was das zwischen uns war. Mochte er mich wirklich? Oder war ich nur gut genug fürs Bett? Immer wenn er mich einen Schritt näher an sich heran ließ, wich er drei zurück. Ich wurde nicht schlau aus ihm. Aus seinen Gefühlen und Gedanken. Ich wusste nur, dass ich ihm verfallen war. Mit allem, was ich war. Ich gehörte ihm. Mein Herz. So sehr ich mich dafür auch hassen würde, es änderte nichts an meinen Gefühlen. Ich hatte mich wirklich so schrecklich in ihn verliebt. Mein dummes dummes Herz...

Der 19-jährige brumme leise und schälte sich unter mir hervor, als er wach wurde. Ich hatte halb auf ihm gelegen, weil es gemütlich war. Er erhob sich von der Matratze. Ich ignorierte den Stich in meiner Brust. Es war wie immer.

Der Nackte nahm sich seine Zigaretten und steckte sich eine von ihnen an, während er am Fenster stand und in den Morgen hinaus blickte. Die Sonne ging gerade auf. Tommy sah schön aus in dem Licht. Ich betrachtete ihn, kuschelte mich in die Decke.

„Am besten gehst du gleich nach Hause." Seine Stimme war rauer als sonst. Es machte mich irgendwie an. Diese Stimme. Und gleichzeitig war da wieder dieses fiese Kneifen in meiner Brust, weil er etwas sagte, das ich nicht hören wollte.

„Okay...", hauchte ich. Ich wollte nicht aufstehen. Mich nicht anziehen. Nicht nach Hause gehen. „Oder du kommst wieder ins Bett." Ich konnte nicht einmal genau sagen, ob ich wirklich mit ihm schlafen wollte. So oft wie wir es eben taten. Oder, ob ich es einfach nur zuließ, weil ich ihm so unbedingt nahe sein wollte. „Komm her..." Ich streckte meine Arme nach ihm aus.

Etwas widerwillig kniete er sich zu mir auf die Matratze. Sanft zog ich ihn zu mir runter und küsste die fast unsichtbare Narbe in seinem linken Mundwinkel.

„Ich will noch nicht gehen", flüsterte ich und küsste ihn richtig. Ich wusste, dass er darauf einging. Das tat er immer. Es war leicht ihn in Stimmung zu bringen. Ansonsten war er ein einziges Rätsel. Keine Ahnung, wie ich sonst seine Nähe bekam. Keine Ahnung, wie ich ihn zu einem vernünftigen Gespräch brachte. Keine Ahnung. Das machte mich fertig.

Aber ich vergaß es, wenn er mich berührte. Ich vergaß es, wenn er mich küsste. Und wenn er mich fickte. Und wenn er mir so das Gefühl gab, geliebt zu werden. Gewollt. Gebraucht. Vielleicht klammerte ich mich deshalb so an ihn. An Tommy. An den Schmerz in meiner Brust, der immer wieder kurz auftauchte. Ich wünschte mir so sehr, dass er meine Gefühle erwiderte, dass ich über alles Schlechte hinwegsah. Jeder Herzschmerz war egal, weil meine dumme kleine Hoffnung viel mehr wiegte.

Wolke null [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt