Ich schob meine Hände in die Jackentaschen, damit sie nicht auf die dumme Idee kamen nach Tommys Hand zu greifen, als wir so nebeneinander durch die Stadt liefen. Denn obwohl ich ihn nicht sehen und am liebsten zum Mond schießen wollte, waren meine Gefühle nicht einfach weg. Ich wollte ihm noch immer nahe sein. Mein dummes Herz wäre wohl bereit allen Schmerz wegzuwerfen, nur um seine Nähe zu spüren.
„Es hat echt wehgetan...", murmelte ich. „Das tut es immer noch."
Der Ältere warf mir einen Blick zu. „Hm."
Fest presste ich meine Zähne aufeinander. Da war er wieder. Der dumme Vollpfosten, der keinen anständigen Satz rausbrachte. Nicht einmal ein verdammtes Wort.
Ich schluckte den Kloß runter. „Lief das schon länger mit ihr?"
„Was?"
„Mit dem Mädel von letztens. Vögelt ihr schon länger miteinander."
Tommy seufzte leise. „Nee."
Es machte mich wahnsinnig. „Also hattest du sonst niemanden, als wir beide was miteinander hatten?"
„Nee." Er kickte eine zusammengeknüllte Papiertüte auf die Straße. „Und wieso hatten? Wer sagt, dass das vorbei ist?"
„Willst du mich verarschen?"
„Nee."
„Alter, weil du 'ne andere gefickt hast. Nur weil ich mal 'n Monat meine Ruhe brauchte. Beziehungsweise... ich bin ja bei dir gewesen. Aber du warst nie Zuhause und ich hab nunmal keinen Schlüssel mehr."
Tommy zog etwas aus der Hosentasche. Den Schlüssel für seine Wohnung. „Ich hab ihn geholt. Du kannst ihn wiederhaben."
„Hörst du mir überhaupt zu?" Ich blieb stehen und sah die Hohlbirne etwas fassungslos an.
„Klar höre ich dir zu. Aber ich verstehe dich nicht. Wo ist dein scheiß Problem, Kleiner? Ich sehe keins. Wieso machen wir also nicht so weiter wie bisher? Lief doch gut."
„Oh mein Gott!"
„Was denn?!" Nun wurde er selbst wütend. Er breitete seine Arme aus und kam einen Schritt auf mich zu. „Was willst du denn von mir?"
„Ein vernünftiges Gespräch!"
„Wie führen ein Gespräch. Und ich checke echt nicht, was los ist!"
„Du hast diese Schlampe genagelt!"
„Ja und?!"
„Ich dachte, ich wäre der einzige!"
„Du bist ja auch der einzige. Von Mädchen war nie die Rede!"
Mir fehlten die Worte. Wie verkorkst war dieser Typ denn? Ich hatte gedacht, dass reden einfach nicht seine Stärke war. Aber, dass er so vollkommen zu blöd zum Denken war, machte mich doch ziemlich wütend. Eher wütend auf mich selbst, weil ich mich in diese geballte Blödheit verknallt hatte. „Ich hab gedacht..."
„Ja, was hast du gedacht, hm?"
„Mann, Tommy! Du hast öfter gesagt, dass ich dir gehöre. Dass du mich für dich allein willst. Ich hab wirklich gedacht, dass wir uns einig waren. Dass es auf Gegenseitigkeit beruht!"
Nun war er doch wieder ganz still. Er zog nur mürrisch die Augenbrauen zusammen und starrte zu Boden.
„Ich hab dir meine Gefühle offen gelegt. Du wusstest, dass ich in dich verliebt bin." Denn ich war es noch immer. So hirnlos dieser Idiot auch war, konnte ich meine Gefühle für ihn nicht einfach abschalten. „Ist es da denn nicht irgendwie selbstverständlich, dass wir aufeinander acht geben? Einander nicht unnötig verletzen?"
„Wir waren ja kein richtiges Paar oder so..."
„Ach nein? Das hat sich aber sehr danach angefühlt. Und hättest du mir gesagt, dass wir das offen angehen, dann wäre ich vielleicht auch nicht so... keine Ahnung... geschockt gewesen? Aber du hast mir erzählt, dass du das mit uns magst. Und ich dir gehöre. Du hast dir angehört, dass ich dich liebe. Nie hast du erwähnt, dass du auch mit anderen schlafen willst. Natürlich tut es mir dann weh."
Wieder kam er so provozierend auf mich zu. Diese Seite an ihm mochte ich nicht. Sie war mir schon immer zuwider. Ich verstand wirklich nicht, was sich mein Herz bei alle dem gedacht hatte. „Aber es ist doch im Grunde dein eigenes Pech!", rief er.
„Hä?!"
„Was kann ich denn dafür, dass du immer dort oben schwebst? Dass du dich Hals über Kopf in mich verknallst. Ich hab dir gesagt, dass ich nicht das gleiche fühle. Und ja, ich steh drauf, mit dir zu schlafen. Aber mehr auch nicht."
Es tat weh. Tommy trampelte auf meinem bereits zerbröselten Herz herum. Ihm war egal, wie es mir dabei ging. Das war unglaublich verletzend. Ich hatte wirklich gedacht, dass ich ihm zumindest ein bisschen wichtig wäre. Dass ihm unsere Beziehung wichtig wäre. Was für eine Beziehung das auch sein mochte. Aber anscheinend gab er einen Fick auf das alles. Er gab einen Scheiß auf mich. Ich war ihm egal. Nur ein nettes Spielzeug für eine Weile.
„Für mich war das klar. Und ich dachte, dir wäre es auch klar. Wir waren nie auf Wolke sieben, Raffaele. Es war immer Wolke null. Hier unten. Ich hab nicht mit dir gespielt. Du wusstest, dass ich dich nicht..." Irgendwas in seinem Blick war merkwürdig. Er sah aus als würde er lügen. „Du wusstest, dass ich dich nicht liebe", sagte er ruhiger. Er nahm seine Arme runter und legte seine Hand an meine Wange. „Wir haben darüber geredet."
„Okay." Ich zuckte mit den Schultern. „Aber wieso schallerst du die Alte? Du hättest es mir vorher sagen können, dass du was offenes willst..."
„Ich hatte Schiss, okay?" Seine Hand fuhr in meinen Nacken, den er sanft zwickte. „Ich hab den Streit mitbekommen. Die... Abneigung gegenüber Schwulen war selbst für mich nicht zu überhören. Und ich bin echt schwer von Begriff. Als Samu dann auch noch Bescheid wusste, hab ich kalte Füße bekommen. Mann, keine Ahnung. Du bist untergetaucht und Rico war schwer einzuschätzen. Ich wollte nicht auch noch 'ne weitere Schwuchtel sein, die von allen gehasst wird."
„Na vielen Dank auch", brummte ich. Natürlich verstand ich seinen Punkt. Aber es war trotzdem nicht fair. Er hatte mich im Stich gelassen, obwohl wir auf der selben Seite stehen müssten.
Tommy lehnte seine Stirn an meine. Er zögerte. Lange. Fast hätte ich ihn von mir gestoßen und es aufgegeben, ihn diese Worte endlich sagen zu hören. „Es tut mir wirklich aufrichtig leid, Raffaele. Ich wollte dir nicht wehtun."
„Das hast du aber..."
„Ich weiß. Bitte... Verzeih mir."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wie gesagt... von mir aus muss sich nichts ändern. Und meinetwegen auch nur wir beide. Wolke null. Wir beide zusammen", flüsterte er.
Sein Gesicht war so nahe, dass ich seinen Atmen spüren konnte. Ich wollte ihn küssen. So sehr. Aber ich blieb stark. Ich brachte Abstand zwischen uns. „Tommy... Ich kann nicht. Nicht, solang ich dich so sehr liebe. Es tut zu sehr weh, bitte versteh das."
Wieder dieser Blick von vorhin. Als würde nun in ihm etwas zerbrechen. „Okay."
„Okay..." Ich presste die Lippen aufeinander und ging zwei Schritte zurück.
„Mein Angebot verfällt nicht." Er rang sich zu einem Lächeln durch. „Du kannst dich bei mir melden, wenn du willst, Kleiner. Jederzeit."
Ich nickte nur und zwang mich ebenfalls zu einem halben Lächeln, ehe ich mich umdrehte und ging. Das mit Alex verschwieg ich. Es tat sowieso nichts mehr zur Sache. Es war vorbei. Auch, wenn es mir den Boden unter den Füßen wegriss, war es wohl die beste Entscheidung, das mit uns zu beenden. Ein Uns. Ein Wir. Das gab es nicht mehr. Hatte es das je gegeben?
Wolke null. Tja, wahrscheinlich hätte es keine passendere Beschreibung für das gegeben, was wir miteinander gehabt hatten.
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Wolke null [boyxboy]
Teen FictionDer 16-jährige Raffaele hat es nicht immer leicht. Seine Brüder gehen ihm auf die Nerven und dem Vater kann er es auch nicht recht machen. Und dann ist da noch Tommy... Schweigen, Lügen und die erste Liebe. Dies ist ein Einblick in die Vergangenheit...