Seufzend sah Taeyong zur Uhr. Es war Freitag in den letzten beiden Stunden und er hatte eine anstrengende Woche hinter sich. Warum mussten die Lehrer auch alle vor Weihnachten auf die grandiose Idee kommen, irgendeinen Test und dann noch eine Arbeit zu schreiben? Konnten die das nicht auf wannanders verschieben? Wieso genau vor Weihnachten, wo alles sowieso schon total stressig war?
Und welcher Idiot dachte bitteschön, dass es eine gute Idee sein könnte, den Matheunterricht auf Freitag fünfte sechste Stunde zu legen? Mathe war ja an sich ein tolles Fach, wie Taeyong fand, aber doch nicht, wenn er schon die ganze Woche hinter sich hatte, müde war und einfach nur nach Hause wollte.
Das mit fünfte sechste Mathe am Freitag war mindestens genauso dumm wie Montag erste zweite Sport. Und Sport war ja sowieso scheiße. Danach noch zwei Stunden Geo bei der Schlaftablette und Taeyong konnte sich nicht einmal mehr auf die Schach AG am Nachmittag freuen.
Der Fakt, dass es Freitag war und der Lehrer die Klasse immer wieder mit Flachwitzen quälte, die zwischen dumm und peinlich schwankten, machte die Mathestunde sehr anstrengend und scheinbar endlos. Der Meinung war anscheinend die ganze Klasse, was man daran merkte, dass alle sehr lahm reagierten und es interessanter fanden, Löcher in die Luft, das Fenster, die Tafel, das Matheheft oder -buch, irgendwelche Mitschüler, Wände oder den Lehrer zu starren, als diesem bei seienen Ausführungen zu folgen. Taeyong zum Beispiel hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, entweder Jaehyun oder den Lehrer anzustarren und immer mal wieder zur Uhr zu schielen, deren Zeiger sich einfach nicht bewegen wollten.
Aus diesem und einigen anderen Gründen wie zum Beispiel Privatgespräche reagierte auch niemand, als der Mathelehrer „Also, jetzt bitte das Buch auf Seite achtundzwanzig aufschlagen" sagte. Nach einigen Sekunden, in denen sich niemand bewegte, half er noch einmal nach: „Achtundzwanzig, das ist zwei acht." Daraufhin lächelte Seonghwa gequält, genauso wie einige andere Schüler und es kam endlich Bewegung in die Klasse, da sich alle träge zu ihren Schultaschen beugten, um das entsprechende Buch zu suchen. Außer natürlich die Streber, denn alle, die das Unterrichtsmaterial von Anfang an auf dem Tisch liegen haben, sind, wie allgemein bekannt ist, Streber. Eine andere Erklärung gab es daür Taeyongs Meinung nach nicht. Deshalb war etwa die Hälfte seiner Klasse Streber. Taeyong machte das nicht so, er hatte das Zeug immer unter seinem Tisch.
Bei der Hälfte der Klasse, die sich so komisch seitlich vom Stuhl lehnte, um an den Schulrucksack zu kommen, machte Taeyong sich ehrlich gesagt Sorgen, dass sie vom Stuhl fielen oder mit diesem umkippten.
Als dann mal alle Bücher auf den Tischen lagen, wusste keiner mehr, auf welcher Seite sie aufschlagen sollten. Freitag Mittag halt.Eine Ewigkeit später, in der sich der lange Zeiger nur einmal halb im Kreis bewegt hatte, sprach Jaehyun Taeyong endlich an: „Ähm, darf ich kurz deinen Taschenrechner ausleihen?"
Taeyong hatte sich schon gefragt, wie lange Jaehyun diese komplizierten Aufgaben noch schriftlich ausrechnen wollte.
„Ja klar, einen Moment noch", antwortete er also und gab noch schnell etwas ein. Dann fragte er: „Wieso hast du das so gerechnet, die Aufgaben sind doch wirklich hässlich!", während er Jaehyun seinen Taschenrechner überreichte. Dieser nahm das Gerät und zuckte mit den Schultern. „Auf den Charakter kommt's an." Daraufhin musste Taeyong schrecklich lachen, doch Jaehyun lief einfach zurück zu seinem Platz.
In diesem Moment fragte Taeyong sich, warum Jaehyun ausgerechnet ihn gefragt hatte. Sie saßen nämlich in zwei komplett verschiedenen Ecken des Klassenzimmers.Jaehyun atmete tief durch. Endlich hatte er sich getraut, Taeyong anzusprechen. Auch wenn er nur nach dem Taschenrechner gefragt hatte.
Mit einem Schnaufen ließ er sich auf seinen Platz fallen. Er nahm den Deckel vom Taschenrechner, wurde rot und sah sich panisch nach dem Lehrer um. Erleichtert atmete er aus, als er ihn bei einigen Schülern entdeckte, denen er gerade erklärte, wie man einen Taschenrechner anschaltete. Lehrer hatten aus ihm unerklärlichen Gründen die besorgniserregende Fähigkeit, in den ungünstigsten Momenten hinter einem aufzutauchen und über die Schulter zu gucken.
Und gerade wäre es wirklich unangenehm. Jaehyuns Augen huschten zurück zum Taschenrechner. Er blickte auf das Herz, das Taeyong eingegeben hatte, bevor er ihm den Taschenrechner gegeben hatte. Noch immer rot im Gesicht, löschte er das Herz, um den zweckentfremdeten Rechner wieder für das zu benutzen, wofür er gebaut wurde. Zum Rechnen.Überrascht sah Taeyong auf, als Jaehyun schon nach kurzer Zeit wieder vor ihm stand, um sich zu bedanken und den Taschenrechner zurück zu bringen. Als er die roten Wangen des Jüngeren sah, musste er ein Grinsen unterdrücken. Jaehyun hatte seine "Nachricht" erhalten! Schnell legte dieser den Taschenrechner auf Taeyongs Tisch und rannte dann fast zurück zu seinem Platz. Nun konnte Taeyong nicht mehr anders als zu grinsen.
Sanft strich er über die Tasten des Taschenrechners. Welche Jaehyun wohl bedient hatte? Ganz bestimmt die Enter-Taste und clear und... Was dachte er da bitteschön?
Da fiel ihm auf, dass zwischen Taschenrechner und Deckel ein Zettelchen klemmte. Neugierig zog Taeyong ihn hervor. Hä? 128veg80? Was sollte das bedeuten? Wollte Jaehyun ihn verarschen?
Etwas enttäuscht warf Taeyong einen Blick zur Uhr. Noch dreißig Minuten bis zum Wochenende.
Schnell rechnete er mithilfe seines Taschenrechners, um nichts zu Hause machen zu müssen. Als er fertig war, sah er wieder zur Uhr. Noch fünf Minuten. „Sooooo, und jetzt noch die Hausaufgabe!", rief der Lehrer viel zu motiviert und klatschte in die Hände. „Einmal natürlich die Aufgaben, die ihr jetzt noch nicht geschafft habt, und dann im Buch auf Seite dreißig die Aufgaben fünfzehn, achtzehn und zweiundzwanzig. Schönes Wochenende!"
Seufzend packte Taeyong sein Hausaufgabenheft aus und lieh sich einen Stift von Mina, die neben ihm saß. Er hatte schon alles zusammengepackt, um schneller gehen zu können.
Als es gongte, sprang er auf, nahm seine Tasche und rannte zum Bahnhof, in der Hoffnung, den Zug um drei nach eins noch zu erwischen, sonst müsste er eine halbe Stunde auf den nächsten warten, und darauf hatte er absolut keine Lust.
Zu seinem Glück hatte der Zug fünf Minuten Verspätung, wodurch das alles ganz entspannt klappte. Er bekam sogar noch einen Sitzplatz, was ihn ungemein freute, da er sonst vierzig Minuten hätte stehen müssen.Der Zug fuhr in Taeyongs Zielbahnhof ein. In diesem Moment begann es zu schneien. Taeyong begann zu lächeln und stieg aus dem Zug. Eisige Kälte empfing ihn und er ärgerte sich, dass seine Handschuhe ganz unten in seiner Tasche waren.
Und noch mehr ärgerte er sich, als er feststellte, dass er den Bus verpasst hatte und nun zwei Kilometer nach Hause laufen musste, wenn er nicht eine Stunde auf den nächsten warten wollte, der vielleicht gar nicht kam.
Leise vor sich hin schimpfend stapfte er los und steckte seine Hände in die Jackentaschen. Sie froren ihm trotzdem halb ab, aber nicht so sehr wie seine Ohren. „Warum zur Hölle habe ich heute früh keine Mütze angezogen?", meckerte er und zog seine Nase hoch.
Nach zehn Minuten war Taeyong zu Hause angekommen und fand den Schnee doof. Er klingelte. Er klingelte nochmal. Doof. Alles doof. Dann suchte er mit steifen Fingern nach seinem Schlüssel. Er brauchte drei Anläufe, um die Tür aufzuschließen. Drinnen angekommen zog er irgendwie Schuhe und Jacke aus. Er bereute es wirklich, die Handschuhe nicht angezogen zu haben.
Im Bad wusch Taeyong sich brav die Hände und ließ dann warmes Wasser über seine Handgelenke laufen. Er hörte erst auf, als seine Hände anfingen, so widerlich zu kribbeln.Dass niemand zu Hause war, hatte er ja schon gemerkt, als ihm die Tür nicht geöffnet wurde, aber erst auf dem Weg in die Küche wurde ihm das volle Ausmaß der Katastrophe bewusst: Niemand hatte Mittagessen für ihn gekocht! Verzweifelt öffnete er die Keksdose und machte sich über das süße Gebäck her. Was man nicht alles tat, um sich den Magen zu füllen. Taeyong hätte zwar auch Kekse gegessen, wenn er vorher Mittagessen bekommen hätte, aber er tat einfach mal so, als würde er sonst weniger essen.
Die Keksdose war fast leer, es war noch immer niemand da und Taeyong war noch nicht satt. Also musste nun die Schokolade herhalten.
Nach zwei Tafeln war Taeyong schlecht, und er beschloss, es dabei zu belassen. Also setzte er sich an seinen Schreibtisch und packte sein Mathezeug aus. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es noch immer schneite. Doofer Schnee.Zwanzig Minuten später war er endlich fertig, schlug sein Buch zu und stapelte sein Heft darauf. Zeit für Pysik!
Zwei Stunden später war er sehr weit gekommen und von seinem Schreibtisch war nichts mehr zu sehen. Deshalb machte Taeyong sich daran aufzuräumen. Dazu machte er Weihnachtslieder an, da der doofe Schnee so eine weihnachtliche Stimmung machte.
Plötzlich stutzte er. „I love you?" Er zog den Zettel, auf dem das stand, aus dem Stapel hervor, um festzustellen, dass es sich um Jaehyuns Formel handelte, bei der der obere Teil abgedeckt war.
Fasziniert hielt Taeyong seine Hand auf den entsprechenden Teil. I love you. Er nahm sie wieder weg. 128veg80. I love you. 128veg80. I love you. I love you.
„I love you", hauchte Taeyong und ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als richtig bei ihm ankam, was das bedeutete. Jaehyun liebte ihn!
Vermutlich würde Taeyong das gesamte Wochenende dieses gruselige Dauergrinsen im Gesicht haben, doch das war es ihm wert. Jaehyun liebte ihn! Diesen Satz dachte Taeyong in Dauerschleife und nahm sich fest vor, am Montag mit ihm zu sprechen.Einen wunderschönen Morgen und ich hoffe es hat euch gefallen.