Seungmin sah zur Uhr. Noch eine Dreiviertelstunde. Er hatte seine Arbeit bereits abgegeben, natürlich nicht ohne, dass seine Wirtschaftslehrerin ihm wieder einmal klar machen musste wie sehr sie ihn und seinen Sitznachbarn Felix doch hasst, denn kaum hatte sich Seungmin gesetzt machte sie eine Bewegung die übersetzt: „Ich reiße dir die Gliedmaßen aus, wenn du deinen Nachbarn auch nur anguckst" hieß und hatte ihn natürlich missbilligend gefragt, ob das sein Wirtschaftsordner sei und das ja gar nicht ginge, weil die anderen ja noch, als er seinen vollgekritzelten Block rausholte. (Nach einer wahren Begebenheit) Wie man zwei Schüler nur so sehr auf dem Radar haben konnte war ihm ein absolutes Rätsel. Da es ihm und Felix ja ausdrücklich verboten war miteinander zu sprechen glitt sein Blick sehr schnell Richtung Fenster und sah zu den anderen Räumen im Gebäude gegenüber. Beziehungsweise etwas oder eher jemand, erregte seine Aufmerksamkeit außerordentlich. Es war niemand anderes, als sein Crush. Yang Jeongin, eine Klasse unter ihm, etwa ein halbes Jahr jünger als er selbst und der sicherlich hübscheste Junge seiner Stufe und Seungmin wagte zu behaupten, dass er der schönste Junge der gesamten Schule war. Leider konnte er nicht lange seiner Tagträumerei verfallen, denn scheinbar hatten nun alle abgegeben, seine Klasse war nach Seungmins Meinung viel zu schnell bei Arbeiten, und die Lehrerin war so grausam nach der Arbeit noch Unterricht zu machen und ein neues Thema zu beginnen. Nachdem er sich durch die Buchaufgaben, die Partnerarbeiten, in denen er und Felix hauptsächlich miteinander redeten, und die furchtbaren Erklär filme gequält hatte klingelte es endlich zum Stundenende, natürlich nicht ohne, dass sie zwei Buchseiten zum Lesen, als Hausaufgabe bekamen. Er sah wieder aus dem Fenster, doch scheinbar hatte Jeongin das Klassenzimmer bereits verlassen. Doch die leichte Enttäuschung, die Seungmin dabei empfand, sollte sich zwar später, wie er noch nicht wusste, als unnötig herausstellen, denn in genau diesem Moment lungerte Jeongin im Gang vor Seungmins aktuellem Unterrichtsraum herum. Er versuchte unauffällig zu wirken, aber ein Schüler der nach Pausenende nicht auf direktem Weg die Flucht ergriff war leider nichts so normales, weshalb Jeongin von jedem einmal kurz angestarrt wurde. Er betete nur, dass Seungmin sich beeilen würde das Klassenzimmer zu verlassen. Das tat er leider nicht, beziehungsweise kam es Jeongin wie das absolute Gegenteil vor, denn nirgends zieht sich die Zeit so in die Länge, wie wenn man darauf wartet jemandem etwas zu sagen und die Person nicht kommt. Doch Seungmin tauchte doch auf, doch zu Jeongins Missbilligung in Begleitung. Nicht dass er etwas gegen den reizenden Australier gehabt hätte um Himmelswillen nein, wer hätte das schon, aber gerade jetzt wäre es das allerbeste gewesen wenn Seungmin absolut alleine gewesen wäre. Jeongin hatte die ganze Zeit genau gewusst wie er seine Frage hatte formulieren wollen, doch jetzt wo es tatsächlich soweit war überschlugen sich all seine Gedanken und dann musste er erschrocken feststellen, dass Seungmin bereits fast an ihm vorbeigelaufen war. Er wägte kurz seine Möglichkeiten ab und irgendetwas in seinem Gehirn, was Jeongin später verfluchen würde entschied sich einfach quer zu stellen, den gesamten Gangverkehr aufzuhalten, sodass Seungmin mit einer Wucht in ihn hinein krachte, dass sie beide zu Boden vielen. „Es tut mir so leid. Ich, ich...", begann Jeongin zu stottern, während Seungmin gleichzeitig versuchte sich in Kenntnis über die Situation zu versetzen, gleichzeitig sich zu entschuldigen und Jeongin klar zu machen, dass es nichts gäbe wofür er sich entschudigen müsse und nebenbei Felix dafür zu tadeln, dass er die beiden einfach nur auslachte. Als beide endlich wieder standen begann Jeongin leise zu sprechen. "Ich ähm, ich wollte dich was fragen." Schon ab diesem Punkt nahm Seungmins Nasenspitze ein beunruhigendes Pink an und seine Wangen fühlten sich schon eher warm an. "Ähm und Felix... selbstverständlich nur wenn es dich nicht verletzt, könnte ich Seungmin das eventuell.... alleine fragen?", fuhr er fort, wobei es doch gelobt sein soll, dass Felix Ohren so gesund waren, denn am Ende war Jeongins Stimmlage doch beeindruckend leise. Felix musste sich offensichtlich verkneifen zu lachen, als er sagte: "Kein Problem, es wird mir ein Vergnügen sein", er fügte noch mit hochgezogener Augenbraue zu Seungmin an, "ich hoffe dir wird es auch ein Vergnügen sein." Seungmin hätte sich zwar bei diesem Kommentar am liebsten in eine Zahnbürste oder ein Türklinke oder etwas ähnlich belangloses verwandelt, denn mittlerweile fühlte er sich wie ein gekochtes Ei so heiß war ihm geworden. "Das wirst du noch zurücknehmen du gehässiges, schadenfrohes Aussiefischstäbchen." Rief Seungmin ihm hinterher. Trotz seiner Nervosität konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen. "Ein Aussiefischstäbchen?", fragte er. "Ja", sagte Seungmin voller Elan, die Rachegelüste in seinen Augen schimmerten dabei "ein Aussiefischstäbchen. Ein gehässiges, schadenfrohes Aussiefischstäbschen." Jeongin kicherte ein bisschen und das war einfach so entzückend, so hinreißend und so ansteckend, dass auch Seungmin sich das Lächeln nicht verkneifen konnte. "Was wolltest du mich fragen?", sagte Seungmin dann. Da war Jeongins Nervosität plötzlich wieder da und das unangenehm stark. "Na ja, ich wollte mit jemandem in diesen Weihnachtspark in der Stadt, du weißt schon den mit dem Riesenrad und der Achterbahn, und na ja ich hatte da zwei Tickets, aber die Person mit der ich da hinwollte die konnte leider nicht. Und ich dachte", seine Stimme sank wieder auf das mindeste der Lautstärke, "ich... ich dachte, dass ich dich vielleicht fragen könnte, ob du mitkommen willst." Stille. Jeongin war das ganze unangenehm, was es überhaupt nicht hätte sein müssen, denn er hatte ja keine Ahnung wie viel Glück, Adrenalin, Genugtuung und ehrliche, ungetrübte Freude das ganze in Seungmin auslöste. Das war etwas, was Seungmin sich nicht ein seinen tiefsten Träumen zu wünschen gewagt hatte, was so schön war, dass bloß der Gedanke an solch eine Frage von Jeongin geradezu schamlos gewesen wäre und nun war der Moment doch da. Er war da, ja er war da. Und das beste war, dass der Moment, der ja nun da war, was von mir dem Erzähler noch nicht genug erwähnt wurde, dafür Sorgen würde, dass ein (hoffentlich) noch besserer Moment die Folge sein würde. Seungmin wollte um den Jüngeren herum gerne einen Freudentanz aufführen, doch hielt er sich zurück und sagte einfach nur, in dem Versuch sein unbestreitbares Glück zurückzuhalten. "Ja, ja ich gehe unfassbar gerne da mit dir hin."