23. Dezember (Namjoon x Seokjin)

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Es windete und regnete. Seine Haare klebten nass an seiner Stirn und der Wind riss an seinen Kleidern. Doch er dachte nicht daran, umzukehren, auch nicht, um sich eine Jacke anzuziehen. Oder richtige Schuhe.

Unwetter hatten Namjoon schon immer fasziniert. Als Kind hatte er dann am allerliebsten draußen gespielt. Bald verboten seine Eltern ihm also, das Haus zu verlassen, wenn ein Unwetter angekündigt wurde. Deshalb saß er immer am Fenster und starrte begeistert nach draußen.

So hatte er es auch an diesem Abend getan, zumindest bis er irgendetwas hatte abstürzen sehen. In diesem Moment war er aufgesprungen und zur Tür gehastet. Seine Eltern waren ohnehin nicht da, um ihn aufzuhalten.

Noch einmal bog er rechts ab, dann war er da. So hatte er es zumindest grob errechnet, als er dieses Ding hatte abstürzen sehen.

Namjoon blieb stehen. Es war stockfinster. Da erhellte ein weiterer Blitz die Nacht. Für einen Moment konnte Namjoon die Gestalt am Boden klar und deutlich erkennen. Und das Blut. Das Blut hatte er auch gesehen. Es klebte an der Mauer. Anscheinend war der Junge (oder das Mädchen mit kurzen Haaren und wenig femininem Körper) beim Sturz mit voller Wucht gegen die Wand gedonnert.

Ja, Namjoon ging davon aus, dass er diesen Jungen hatte abstürzen sehen. Er hinterfragte nichts mehr, seit er mit sechs Jahren von einem Engel vor einem herabstürzenden Eiszapfen gerettet wurde. Seine Eltern waren mit ihm deswegen zu mehreren Ärzten gegangen. Sie alle sagten, es käme von dem Schreck, aber Namjoon war noch immer überzeugt davon, dass er von einem Engel gerettet worden war.

Namjoon tastete nach seinem Handy, um es als Taschenlampe zu missbrauchen. Dabei näherte er sich vorsichtig dem unbekannten Flugobjekt (kurz: UFO).

Es blitzte wieder. Der Donner folgte fast sofort. Namjoon konnte den Jungen wieder sehr gut erkennen. Von den dunklen Haaren über die blasse Haut bis hin zu den weißen Flügeln. Sie waren blutbefleckt, die weiß-roten Feder flogen wild in der Gegend herum und die Flügel standen seltsam ab.

Langsam näherte er sich dem Engel. Etwas anderes konnte der Junge nicht sein. Wobei, vielleicht handelte es sich bei ihm auch um eine Fee mit Schwanenflügeln. Oder noch etwas anderes.

Die Augen des Engels waren geschlossen. Er hatte ein sehr hübsches Gesicht. Daran konnte nicht einmal das Rinnsal Blut, das ihm über die Stirn floss, etwas ändern. Seine Gesichtszüge waren entspannt, seine Brust hob und senkte sich ruhig.

Vorsichtig schob Namjoon seine Hände unter den Rücken des Engels. Keine Reaktion. Also hob Namjoon ihn hoch und lief langsam zurück nach Hause. Überraschenderweise schienen Engel nicht wirklich ein Gewicht zu haben. Kein Wunder, dass der Engel so vom Wind herumgeschleudert worden war!

Vor der Haustür wurde Namjoon ein fataler Fehler seinerseits klar: Er hatte keinen Schlüssel mitgenommen.

Gerade als er überlegte, welches Fenster er einschmeißen sollte, fiel ihm ein, dass im Blumentopf auf dem Briefkasten ein Schlüssel versteckt war, da ihm solche Pannen öfter mal passierten.

Vorsichtig streckte er sich nach dem Blumentopf. Mit Engel auf dem Arm war das nicht sehr leicht, obwohl er so leicht war. Aber trotzdem musste Namjoon den verletzten Engel gut festhalten.

Nach einigen Verrenktübungen war der Schlüssel geborgen und die Tür aufgeschlossen. Direkt lief Namjoon ins Wohnzimmer und legte den Jungen auf dem Sofa ab.

Dann schloss er die Tür mit dem Fuß und beschloss, den Notfallschlüssel nicht mehr nach draußen zu hängen.

Zurück im Wohnzimmer stellte Namjoon fest, dass der Engel wach war. Er lag noch immer auf dem Sofa, sah sich aber mit schmerzverzerrtem Gesicht um, indem er den Kopf drehte.

"Wie geht es dir?", fragte Namjoon und legte einen Kurzstreckensprint durchs Wohnzimmer hin.

"Diese Frage ist unnötig!", fauchte der Engel und setzte sich ruckartig auf. Sofort stöhnte er schmerzerfüllt auf und ließ sich zurück in die Kissen sinken.

"Kann ich etwas für dich tun?", fragte Namjoon. "Meine Mutter hat irgendwo Desinfektionsmittel und Pflaster. Ach, ich bin übrigens Namjoon."

"Ich bin Jin. Und ein Kaffee wäre ganz nett. Aber bitte nur mit Milch, kein Zucker. Und wehe dir, du benutzt Desinfektionsmittel! Das brennt immer so!"

Namjoon sah Jin kritisch an. "Es ist aber schon sehr spät! Um diese Zeit wird kein Kaffee mehr getrunken. Und dein Desinfektionsmittel kommt sofort!"

Damit verließ er den Raum. "Nein, kein Desinfektionsmittel! Das tut so weh! Soll sich das doch entzünden!"

Zwei Minuten kam Namjoon wieder. In der Hand hielt er eine Flasche Desinfektionsmittel und ein Haufen Pflaster. Dann setzte er sich zu Jin aufs Sofa.

"Augen zu und Zähne zusammenbeißen!", befahl er und hielt Jin seine Haare aus dem Gesicht.
"Bereit?"
"Sehe ich so aus?"
"Perfekt! Ich sprühe dann jetzt."

Jin verzog sein Gesicht und versuchte panisch, seinen Kopf wegzudrehen.

"So schlimm war es doch gar nicht!", meinte Namjoon.

"Das sagst du!", jammerte Jin. Namjoon pustete sanft auf die Wunde.

Jin runzelte die Stirn. "Was machst du da?" Namjoon zuckte mit den Schultern. "Das hat meine Mutter auch immer gemacht. Und jetzt dreh dich um! Ich muss deine Flügel einsprühen."

Daraufhin jammerte der Engel unverständliches Zeug und drehte sich widerwillig auf den Bauch.

"Achtung!", warnte Namjoon und begann zu sprühen. Jin wand sich unruhig und gab leidende Laute von sich.

"Alles gut, es ist vorbei", flüsterte Namjoon und streichelte Jin sanft über den Rücken.

"Sag mal, tut es auch ein Kakao?", fragte Namjoon irgendwann.
"Ich will einen Kaffee!"
"Okay, dein Kakao kommt sofort!"
"Du bist gemein!", rief Jin Namjoon beleidigt hinterher und hätte, wenn es für ihn möglich gewesen wäre, bestimmt dazu aufgestampft.

Zehn Minuten später betrat Namjoon das Wohnzimmer wieder. In der Zwischenzeit war Jin aufgestanden und besah sich die alten Fotos an der Wand.

"Guck mal! Ich habe sogar Sahne, Streusel und Marshmallows dazugemacht."

Jin drehte sich zu Namjoon um. "Das ist sehr lieb von dir!", lächelte er und lief wieder zum Sofa.

Vorsichtig stellte Namjoon die zwei randvollen Tassen ab. Wo er schon Kakao machte, hatte er sich gleich eine Tasse mitgemacht.

Dann war es bis auf das leise Schlürfen beim Trinken des Kakaos still.

"Du bist der Eiszapfenjunge." Jins Worte durchschnitten die Stille.
"Ja, ich bin der Eiszapfenjunge."
"Das war keine Frage. Ich habe es mir die ganze Zeit gedacht, aber bestätigt wurde es durch das Bild." Jin zeigte auf das Bild, auf dem Namjoon mit sechs Jahren zu sehen war. Er saß auf dem Schlitten, den er zu Weihnachten bekommen hatte. Zwei Tage später hätte der Eiszapfen ihn fast umgebracht.

"Es war gut, dass ich dich damals gerettet habe. Du bist ein lieber Junge und hast mir einfach so geholfen", meinte Jin und sah Namjoon lächelnd an.

"Danke für deine Hilfe und den Kakao. Bleib wie du bist!", flüsterte Jin und beugte sich nach vorne. Dann hauchte er Namjoon einen Kuss auf die Lippen, stand auf und ging.

In der Tür drehte er sich um, lächelte Namjoon noch einmal an, zwinkerte einmal und legte einen Finger an die Lippen.

Namjoon erinnerte sich. Genau das hatte Jin damals auch getan, bevor er gegangenwar. Namjoon hatte hatte sich nicht daran gehalten und seinen Eltern von dem hübschen Engel erzählt.

Die Haustür fiel ins Schloss. Namjoon saß noch immer wie versteinert auf dem Sofa und versuchte das Geschehene zu verarbeiten.

Vielleicht sollte er sich nochmal fast von einem Eiszapfen erschlagen lassen, einfach um Jin wiederzusehen.

Tut mir leid, dass der Oneshot wieder zu spät kommt, aber gestern war ich auf einem langatmigen Familienabendessen.

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