Mit einem zufriedenen Lächeln knipste Sunoo das nächste Foto. Seine Familie hatte für den zweiten Advent eine kleine Weihnachtsfeier, mit einer bescheidenen Anzahl von etwa fünfzig Menschen, im Haus seiner Großmutter ins Leben gerufen und er hatte alles daran gesetzt die ganze hübsche Dekoration und den wundervoll gedeckten Tisch zu fotografieren, bevor eine Horde von hungrigen Menschen, das Schicksal eines Buffets besiegelte. "Machst du schöne Fotos für deine Internetseite?" Sunoo nickte. Er hatte bereits aufgegeben seiner Großmutter versuchen zu erklären, auf welcher Seite er die Bilder hochlud. "Meinst du es schneit nachher?", fragte Sunoo, denn das große Haus in einer weißen Landschaft wäre ein wundervolles Fotomotiv. "Nein, mein Großer, das glaube ich nicht, dafür ist es noch zu warm draußen. Aber du kannst sicher trotzdem schöne Fotos vom Haus machen." In diesem Moment sahen sie beide, dass das erste Auto am Haus hielt. Es war relativ groß, wahrscheinlich von einer Familie mit vielen Kindern. Und das stimmte auch, denn als sich das höchstwahrscheinlich verheiratete Ehepaar aus dem Auto begeben hatte, stiegen drei kleine Kinder, alle Jünger als Sunoo aus. Doch außerdem musste Sunoo noch feststellen, dass er keine Ahnung hatte wer diese Menschen waren, aber dass seine Mutter sie freudig begrüßte. Sunoo fürchtete nicht viele Dinge, aber vor einer Sache hatte er Angst und das war Familien zu treffen, die er zu hundert Prozent kennen müsste. Wahrscheinlich kannten sich die Eltern vom Studium, er war mal irgendwann vor tausend Jahren mit einem der Kinder in einem Blockflötenkurs oder irgendwie waren sie mal, vor sehr langer Zeit bei denen zu einer Feier eingeladen. Das größte Problem von Sunoo war, dass er dann immer keine Ahnung hatte wer vor ihm stand. Er sah wieder nach draußen. Seine Mutter plauderte fröhlich mit den Eltern, die die drei noch recht kleinen Kinder an der Hand hielten, als ein noch schlimmerer Albtraum aus dem Auto stieg. Es war kein Alien, kein Zombie und auch nicht Barbie, was seine grausigste Angst gewesen war, als er in etwa sechs Jahre alt war. Es war etwas noch schlimmeres. Ein gerade zu furchteinflößendes Individuum. Jemand in seinem Alter! Das war etwas komplett grauenvolles, weil er den Jungen wahrscheinlich kennenlernen musste oder seinen Namen kennen sollte. Der Junge war offenkundig in seinem Alter, obwohl er ihn nur von hinten sah. Sunoo wollte schon die Flucht vor dem Kennenlernen ergreifen, als sich der Junge umdrehte und er ihm ohne weiteres ins Gesicht sehen konnte. "Himmel Herrgott", sagte Sunoo absolut perplex, "das... das ist ja Jungwon." Er hatte diesen Jungen vor etwa zwei Jahren kennengelernt und sie waren so etwas wie beste Freunde gewesen. Sie hatten sich in einem Musikprojekt von drei Schulen kennengelernt und sie fanden es als einzige so unfassbar öde, dass sie kurzerhand beste Freunde waren. Leider hatte sich das ganze nur ein knappes Jahr gehalten, als Jungwon erfuhr, dass seine Familie wegziehen wollte. Er schottete sich komisch ab und sie hatten sich nach ihrem noch keine einziges mal gesehen. Der Grund warum sich Sunoo sich nicht freute war ein anderer. Er hatte ihm bei ihrem Abschied heimlich etwas unten an seine Flasche geklebt. Ein kleiner Brief mit einem Gedicht, das ein so offensichtliches Liebesgeständnis war, was Sunoo im Nachhinein so unangenehm war, das er in der Nachts vor nichts mehr Angst hatte, als einem Anruf von Jungwon. Er hatte, weil ihm das so unfassbar unangenehm war in de der Nacht fast angefangen zu weinen. Obwohl es absurd war, weil das ganze ein Jahr her war, hatte Sunoo plötzlich grauenvolle Angst Jungwon konfrontieren zu müssen. Doch gemeine Zufälle lassen uns Menschen nie in Ruhe, weshalb Jungwon sich kurz von der Unterhaltung abwandte und genau zu Sunoos Überwachungsplatz sah. Er sah ihn. Er starrte ihn an. Sunoo starrte zurück. Jungwon hob schüchtern die Hand zu einem angedeuteten winken und machte dann eine Handbewegung, das er herkommen könne. Sunoo hätte eine Menge Dinge tun können, unter anderem hätte er den Kopf schütteln können, sich einfach überwinden und gehen, versuchen ihm lange genug klar zu mache, das er nicht verstand, was Jungwon ihm zu bedeuten versuchte oder vortäuschen etwas zu tun zu haben. Doch Sunoos schüchterner, ängstlicher Geist enschied etwas anderes. Er entschied zu rennen, woraufhin Sunoo sofort die Flucht ergriff und sich in das Innere des Hauses flüchtete. "Sauron, Voldemort oder meinetwegen auch der dunkle Imperator wären mir lieber, als mein ehemaliger bester Freund, dem ich ein Liebesgedicht aus Rüttel reimen, mit den literarischen Fähigkeiten einer Backpflaume geschrieben habe", murmelte Sunoo vor sich hin. Dann dachte an rote Augen aus Feuer, Todesflüche und Blitze und fragte sich, ob er seine Aussage überdenken sollte, doch schnell kam er zu dem Schluss, das sämtliche Oberbösewichte besser gewesen wären.
Sunoo hatte es geschafft sich vor Jungwon für drei Stunden zu verstecken. Er hatte eine wirklich unerklärliche Angst vor dem Gespräch mit Jungwon und das obwohl es kaum etwas zu befürchten gab. Wahrscheinlich rührte die Angst daher, das diese Liebe immer noch in Sunoo war und es zwar seltsam genug sein würde ihn einfach so nach einem Jahr wieder zu sehen, doch mit einem schriftlichen Liebesgeständnis, das er lieber als alles andere auf der Welt zurückgenommen hätte, war eine Konversation in seinen Augen einfach unmöglich. Mittlerweile saßen sie beim Abendessen und Sunoo hatte die ganze Zeit auf seinen Teller gestarrt und hätte am liebsten eine Box mit der Aufschrift "NICHT ANSPRECHEN" um sich herum. Das schlimmste war, das Jungwon ihm gegenüber saß und ihm schon die ganze Zeit solche Sollte-ich-dich-ansprechen-Blicke zuwarf. Sunoo betete inständig, dass Jungwon bis Sunoo mit essen fertig war sich für nicht ansprechen entschied. Doch schon wieder war das Schicksal nicht auf seiner Seite, denn kurz darauf hörte er ihn sagen. "Hey Sunoo, warum bist du vorhin einfach weggegangen?" Die Gabel in Sunoos Hand machte eine beeindruckende Vollbremsung, kurz vor Sunoos Mund. "Ich ähhm... ich... ich hatte noch was zu erledigen." Murmelte er leise vor sich hin. "Du bist echt gerannt, als wäre der Teufel hinter dir her", entgegnete Jungwon, "was war denn so wichtig?" Sunoo legte sein Besteck vorsichtig auf dem Teller. Ihm war etwas der Appetit vergangen. "Ich... ich weiß selber gar nicht mehr... ich habe" "Du hast versucht mir aus dem Weg zu gehen?" Vollendete Jungwon seinen Satz. "Was, nein", sagte Sunoo etwas zu schnell, was die Lüge offenkundig machte. "Doch. Du verschwindest dauerhaft in irgendein anderes Zimmer und hast mir nicht mal guten Tag gesagt. Wie haben uns ein Jahr nicht gesehen und das ist, wie du dich benimmst?" Sunoo hatte plötzlich Schuldgefühle, dafür wie er sich gegenüber Jungwon die ganze Zeit benommen hatte.
Es war wahrscheinlich nicht sehr fair gewesen seine eigenen Ängste über die Bedürfnisse einer anderen Person zu stellen, doch die Panik in Sunoo ruhte immer noch, also stand er wortlos auf und trug seinen Teller in die Küche. ‚Du bist wirklich außerordentlich feige', dachte er dabei und könnte sich verfluchen. Er wusste, dass Jungwon wahrscheinlich von ihm erwartete, dass er zurückkam, doch er begab sich ins Badezimmer und wollte die Tür schließen, als er schon wieder unterbrochen wurde. „Siehst du. Das meine ich. Du gehst mir komplett aus dem Weg. Wieso? Hast du Angst vor einer Konversation?" Sunoo drehte sich nicht um, aber sein schuldbewusstes Nicken war auch von hinten zu sehen. „Aber warum? Was ist dein Problem?" Sunoo wusste, dass die Begründung albern wirkte, doch im Grunde ging es über weitaus mehr, als einen bescheuerten Zettel hinaus. Es waren die Gefühle für Jungwon, die immer noch so unveränderten vor sich hin glüten, tief im Innern seines Herzens und die Angst, ihm das zu sagen. „Du, du weißt es doch. Du hast ihn doch gelesen und... ich will einfach nicht darüber reden, okay. Ich weiß es ist albern, aber mir ist es einfach..." Sunoo brach ab. Er hoffte, dass Jungwon einfach gehen würde, doch er wagte nicht daran zu glauben, dass er es wirklich tun würde. Und das tat Jungwon auch nicht. Er stellte eine Frage, mit der Sunoo erstens nicht gerechnet hatte und die er zweitens fürchtete: „Du meinst dein Gedicht, an meiner Flasche? Ja ich habe es gelesen und ich... na ja, empfindest du immer noch so?" Sunoo hatte sich immernoch nicht umgedreht. „Spielt das irgendeine Rolle?", fragte er. Da spürte er ein paar Arme, die sich schüchtern von hinten um ihn legten und das unvergleichbare Gefühl, einer anderen Person, die einem Nahe ist. „Ob das eine Rolle spielt? Natürlich tut es das, ich habe wirklich selten in meinem Leben in bloß fünf Sätzen soviel Zuneigung erfahren. Ich wünschte du hättest dich danach auch nur einmal gemeldet, hattest du wirklich Angst vor meiner Reaktion? Glaube mir, das war wunderschön. Wirklich sehr, sehr schön. Kannst du mir... bitte meine Frage beantworten?" Sunoo merkte einen leichten Tränenschleier in seinen Augen. Sein Hals fühlte sich eng an und ein leises Schluchzen folgte, als er ein leises „Ja" von sich gab. Jungwon drehte ihn zu sich. „Du... du musst deswegen nicht weinen, sonst fange ich doch auch an zu weinen. Ich... ich" er schien die richtigen Worte nicht zu finden, bis er nach einigen Wiederholen und Stottern gab er nur ein leises „auch" von sich. Das Pronomen hatte er vor lauter Aufregung vergessen, doch auch Sunoo bemerkte es nicht, denn er und Jungwon waren viel zu beschäftig damit, wie die Christbaumkugeln im Gang auszusehen. „D-darf ich dich... tschuldigung ... aber darf ich dich vielleicht küssen?", fragte Jungwon leise. „Darf ich auch bei dir?" Fragte Sunoo leise. „Können wir zusammen?" Fragte Jungwon. Eine kurze Stille folgte.„Ja."
Einen wundervollen zweiten Advent. Habt ihr die Kerze schon angezündet oder liegt bei euch auch noch die ganze Familie im Bett? (Ich bin definitiv eine Morgenperson)