Nervös trat Felix von einem Fuß auf den anderen. Er hatte gerade die Klingel betätigt und nun Angst vor dem, was ihn erwartete. Vor seinem geistigen Auge sah er schon, wie ein Monster mit seinen Klauen nach ihm griff.
Schritte ertönten. Sie näherten sich eindeutig der Tür. Also hatte Felix wohl ausversehen so laut geklingelt, dass man es gehört hatte.Am liebsten würde er sich umdrehen und wegrennen. Aber das ging nicht, denn nur wenige Schritte hinter ihm standen jene grausame Menschen, die ihn zu dem allen zwangen, besser bekannt als seine Eltern.
Felix hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde und bekam Panik. Gerade als er sich zu seinen Eltern drehen wollte, um ihnen zu sagen, dass anscheinend niemand da war, wurde die Tür geöffnet.
Und was dort vor Felix stand, das war schlimmer als alles was so in seinen Alpträumen vorkam, und das war einiges. Dieses Monster dort hatte weder Klauen noch giftige Reißzähne, nein, es hatte auch keine gammelige Haut oder giftgrüne Haare und blutrote Augen. Es war etwas viel schlimmeres: ein Junge, etwa in seinem Alter und verdammt hübsch.
Um sich nicht eingestehen zu müssen, dass er den Jungen durchaus attraktiv fand, versuchte sich Felix mit seinen kaugummiblauen Haaren abzulenken, die dem fremden Individuum etwas von einem Schlumpf gaben. In seinen Gedanken setzte Felix ihm eine weiße Schlumpfmütze auf und schon war das Problem so gut wie gelöst. Wenn doch nur seine Wangen nicht so viel Ähnlichkeit mit seinem schrecklichen roten Weihnachtspulli hätten, den er im letzten Jahr von seiner Oma bekommen hatte und heute gezwungen wurde das Ding anzuziehen.
Verwirrt runzelte Papaschlumpf seine Stirn. So sah er aus wie Opaschlumpf. "Was kann ich für sie tun?"
Felix starrte ihn noch immer an, weswegen sich seine Eltern nach wenigen Sekunden dazu aufgefordert fühlten, an seiner Stelle zu antworten.
"Wir sind die neuen Nachbarn!", verkündete seine Mutter strahlend und übermotiviert. "Ah, die neuen Kims", entgegnete der Junge. "Nein nein, wir sind die Lees." Felix' Vater hielt es für seine heilige Pflicht, jeden zu korrigieren, der falsch lag, so auch jetzt. "Aber sie wohen doch in dem Haus, in dem vorher die Kims gewohnt haben..." Aus dem Schlumpf war ein sehr verwirrter Schlumpf geworden.
"Du meinst die komische alte Frau und ihre hunderttausend Katzen, wenn du von den Kims sprichst, oder?" Am liebsten hätte Felix sich geschlagen. Da hatte er sich schon dazu durchgerungen, etwas zu sagen, und dann kam sowas? Der Junge hielt ihn jetzt sicher für total komisch...
"Ja, genau die meine ich. Sie hat mich als Kind immer angemeckert, wenn ich ihrer Meinung nach etwas falsch gemacht habe. Ich hatte immer total Angst vor ihr, aber jetzt ist sie zum Glück weggezogen und kann woanders Kinder tyrannisieren." Anders als Felix erwartet hatte, lachte der Schlumpf und sah plötzlich gar nicht mehr wie ein Schlumpf aus.
"Ich verstehe gar nicht, wieso sie ausgezogen ist, das Haus ist wirklich ein Traum..." Weiter hörte Felix nicht zu, da es, wenn seine Mutter in Plauderlaune war, für gewöhnlich irgendwann unangenehm wurde.
"... und deshalb finde ich, dass unser neuer Garten ganz bezaubernd ist." In der Zeit, in der seine Mutter gesprochen hatte, konnte Felix siebenmal im Kopf Crown singen und das musste etwas heißen, denn er hatte wahnsinnige Textunsicherheiten.
"Ja, Frau Kim hatte immer einen tollen Garten, sie hat ihn auch sehr gepflegt und war wahnsinnig stolz auf ihn."
Die Tatsache, dass Felix sich gefreut hatte, die überhaupt nicht schlumpfige Stimme des Schlumpfes zu hören, machte seine Antwort nicht weniger spießig und langweilig. Im Gegenteil, Felix überkam eine Art Enttäuschung, da er gehofft hatte, dass der Schlumpf wenigstens annähernd ein bisschen Humor hatte.
"Aber wieso ist Frau Kim dann ausgezogen? Die Nachbarschaft ist doch nett und das Haus ein Traum!" Nun hatte sich Felix' Vater wieder eingeschaltet.
"Oh, wie Ihr Sohn bereits sagte, hat sie sehr viele Katzen und war fest davon überzeugt, dass mein Hund diese mobben würde." Siehe da, er hatte doch so etwas wie Humor."Channie Schatz, was dauert da denn so lange? Ist etwas passiert?", erklang eine weibliche Stimme aus dem Haus und für den Bruchteil einer Sekunde hatte Felix Angst, dass es sich bei dieser Frau um Channie-Schatz-Schlumpfs Freundin handelte.
Diese Sorge stellte sich aber als unnötig heraus, da die Frau auch plötzlich in der Tür stand und Felix erkannte, dass sie viel zu alt für Channie Schatz war und es sich daher um seine Mutter handeln musste.
"Nein, Mama, das sind nur die neuen Nachbarn, die sich vorstellen wollten", murmelte Channie, dem das Auftreten seiner Mutter anscheinend unangenehm war. "Herr und Frau Lee mit ihrem Sohn..."
"Hach, das ist aber nett von Ihnen. Ich bin mir sicher, dass Chan und Ihr Sohn sich blendend verstehen werden, wie heißt du denn?" Anscheinend war diese Frau genauso eine Labertasche wie seine Mutter.
Nach einigen Sekunden, in denen sich Felix nicht gerührt hatte und auch nicht so aussah, als würde er darüber nachdenken in der nächsten Zeit zu antworten, übernahm seine Mutter das für ihn.
"Sein Name ist Felix und ganz bestimmt werden Chan und er sehr gute Freunde."
Felix wollte einfach nur weg. Das war total unangenehm und Chan sah so gut aus, dass er sich daneben wie ein Müllsack fühlte.
"Vielleicht können die beiden morgen ja zusammen zur Schule..."
"... ja, und dann am Nachmittag gemeinsam Hausaufgaben machen..."
Sowohl Felix als auch Chan fühlten sich fehl am Platz, als ihre Mütter begannen, über ihre Köpfe hinweg Pläne zu schmieden.
Felix war sich außerdem sicher, dass sein Gesicht immernoch rot war, weswegen er sich hinter dem blöden "wir-sind-die-neuen-Nachbarn-und-sagen-Hallo"-Korb versteckte, in dem allerlei Plätzchen und selbstgekochte Marmelade war.
Seine Hände waren schwitzig und er hatte seine Finger vor Nervosität so fest um den Griff des Korbes gelegt, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten.
"Oh, wie unhöflich von mir, wollen Sie nicht reinkommen, Sie frieren doch bestimmt schon", unterbrach sich Chans Mutter plötzlich in ihrem eigenen Redefluss. Tatsächlich zitterte Felix schon ziemlich, da er über dem roten Weihnachtspulli keine Jacke trug und auch seinem Vater klapperten die Zähne.
Deshalb lehnte seine Mutter dankend ab, da sie sie "nicht zu lange aufhalten" wolle.
Bevor noch irgendetwas peinliches passieren konnte, haute Felix Chan den Korb in die Arme, murmelte ein "Guten Abend" und rannte fast zu seinem neuen Haus. Gerade noch konnte er hören, wie Chan und seine Mutter ihm ein "Dann bis Morgen" hinterher riefen, da fiel auch schon die Haustür hinter ihm zu.
Erschöpft ließ er sich innen an ihr herabgleiten und versuchte schonmal, damit klarzukommen, dass er einen neuen Crush in Form von Chan hatte, und von seiner Mutter dazu gezwungen werden würde so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. Die besten Aussichten für eine ruhige Weihnachtszeit...