Kapitel 58

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Sonntag, 27. Januar 2019

„Komm schon, du schaffst das", sprach ich mir selber Mut zu. 

All meine Finger schwebten über den Tasten meines Flügels. Sie zitterten schon, so sehr spannte ich sie an. Ich versuchte sie mit aller Kraft runter zu drücken, doch 2cm vorher stoppten sie. 

Jedes Mal. 

Frustriert entfernte ich meine Hände von den Tasten. Warum wollten meine Hände die Tasten nicht drücken? 

„Damit du nicht wieder so einen Schaden anrichten kannst", sprach die gehässige Stimme in meinem Kopf und ich schüttelte den Kopf. Darauf durfte ich nicht hören. 

Ich hatte es schon oft mit Louis besprochen. Die Stimme existierte nicht. Ich war das selber. Nur eben von meiner schlechtesten Seite. 

Kaum fielen meine Augen wieder auf die Tasten, stöhnte ich frustriert auf. 

Es war komisch, ich war komisch. Ich sehe meine Finger vor mir, sie schweben über die Tasten, aber jedes Mal wenn ich mich dazu überwinden konnte, die Tasten zu drücken, war es, als würde mich etwas abhalten. 

Irgendetwas. 

Ich hörte doch schon wieder Musik. Ich saß sogar daneben, als jemand einen Song komponiert hat! Was hielt mich also davon ab, zu spielen? 

Ja, was? 

Angst? Trauer? Zu vergessen? Mich nicht mehr selber zu bemitleiden? 

Ich ließ mein Gesicht in meine Hände fallen und selbst dabei stoppten meine Ellenbogen automatisch ein paar Zentimeter vor den Tasten, sodass dem Flügel ja kein Ton entlockt werden würde. 

Aaaaargh. 

Ich würde hier noch die Krise bekommen. 

Zuerst überlegte ich, ob ich meinen Schuh ausziehen sollte und versuchen sollte, mit dem Fuß eine Taste zu drücken, aber ich wusste, dass es nichts bringen würde. Also widmete ich mich wieder meinem lautlosen Spielen. 

Meine Finger flogen über die Tasten, berührten diese, leider, nie. 

Leise summte ich die Melodie vor mich hin, wobei das unnötig war. Schließlich hatte ich sie auch in meinem Kopf. 

Dieser Klang. Diese Sympho- 

„Traumhaftes Piano, nicht wahr", ich zuckte zusammen, schrie laut auf und nahm aus dem Augenwinkel eine Gestalt wahr. 

Normale Menschen hätten vermutlich genau in diesem Moment auf die Tasten gedrückt und dem Flügel einen qualvollen Ton entlockt. 

Da mein Körper jedoch irgendeinen Schutzmechanismus entwickelt hatte, nicht auf Klaviertasten zu drücken, machte mein ganzer Körper einen Satz und ich saß stattdessen auf dem Boden. „Die Tasten wären mir lieber gewesen", murrte ich zu mir selber und blickte dann hoch.

„Harry erschreck mich doch nicht so", fauchte ich und mein Herz klopfte mit immer noch bis zum Hals. Er hielt mir die Hand hin und half mir hoch. Ich rieb mir meinen Allerwertesten. 

Dann sickerte es durch, was Harry gerade gesagt hatte. Ja, ein Piano war traumhaft, aber es trug nicht gerade zu meiner emotionalen Verfassung bei. Mein Körper wehrte sich irgendwie immer noch dagegen. 

191 Tage ist es her, dass ich mir Henry zum ersten Mal eingebildet hatte. 

Der Gedanke an ihn hatte einfach zu sehr geschmerzt, um mir sein Gesicht in mein Gedächtnis zu rufen. Bis er vor mir stand. Leibhaft. In Person. In Wahrheit stand lediglich Harry vor mir. 

Just hold on /Niall Horan/Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt