Alles auf Anfang

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Mia

Erfreut hob ich den Karton auf unseren Küchentisch. Ich liebte diesen fast schon magischen Moment.

»Hey, warte auf mich.« Ebony trat in die Küche, stieg auf einen der Stühle und hielt ihre Kamera darüber.

»Dein Ernst?«

»Hey, dein neuer Roman, das müssen wir festhalten.« Ich griff nach dem Messer und schnitt langsam das Paketband auf, ehe ich vorsichtig die Seiten aufklappte. Da war es. Behind the Curtain. Ich liebte das Cover, so hell und vor allem den Eukalyptus, dessen Bedeutung nur wenige verstanden, all diejenige, die wussten, um wen es in diesem Buch ging. Vorsichtig nahm ich eines heraus und blätterte kurz durch. Betrachtete die Kapitelzierden. Ich hatte all das schon digital gesehen und durfte sogar recht viel mitbestimmen. Doch es nun in den Händen zu halten, ließ mein Herz höher schlagen. Vor knapp einem Jahr waren Ebony und ich auf die Idee gekommen, dass eine Reise nach Kanada genau das richtige wäre, damit ich wieder zum Schreiben fand. Und hier war das Ergebnis. Selbst wenn die Realität dahinter schmerzhaft war und ich nicht wusste, wann es endlich aufhören würde, so weh zu tun, war es das Beste, was mir passieren konnte. Sie hatte nicht falschgelegen, als sie mir sagte, ich solle ein kleines Abenteuer wagen.

»Ich bin stolz auf dich.« Ebony grinste breit und trat von dem Stuhl herunter.

»Danke.«

»Und irgendwann reisen wir all die Orte ab, die du wirklich meintest.« Sie half mir den Karton auf den Boden zu stellen. All diese Bücher waren für eine Signieraktion, es wartete also ein gutes Stück Arbeit auf mich.

»Was meinst du?«

»Kanada.«

Ich schüttelte kurz lachend den Kopf. Manch Mal kam sie auf merkwürdige Ideen. »Du willst also eine Führung zu den Originalschauplätzen?«

»Wenn ich das da lese, unbedingt. Ein kleines Chalet, eine Stadt, die aussieht, wie hier. Ja, irgendwann will ich das alles mal sehen.« Ebony hatte England nur ein einziges Mal verlassen. Dieser Stempel in ihrem Pass war Sydney und das Ganze für eine Nacht und Nebelaktion, die am Ende leider nicht geholfen hatte und viel von Sydney hatte sie auch nicht zu Gesicht bekommen.

»Okay, das machen wir.« Ich wollte selbst zu gern noch einmal an diese Orte. Zu Thérèse und Armand, im Luc einen Whiskey trinken. Mich ihm auf diese Art noch einmal nahe fühlen. Seit die letzte Verbindung zwischen uns gekappt war, hoffte ich jeden Tag diese Leere und der Schmerz würden endlich weniger werden. Doch nichts davon trat ein. Er war immer in meinen Gedanken, in meinen Träumen. Es war, als hätte er mein Herz mit sich genommen und nun musste ich lernen, ohne zu leben.

»Sehr gut, ich brauch nämlich dringend eine Auszeit von Sklaventreiber Tim.« Ebony zog einen Stuhl zurecht und ließ sich darauf fallen. In den letzten Tagen war sie oft bis spät abends im Büro und selbst unseren Würfelabend im Pub musste sie absagen.

»Was ist denn aktuell so wichtig, dass du ..., oh nein, sag mir nicht du und Tim ...«

»Urg, niemals! Meine Mutter meinte immer, man vögelt nicht da, wo man isst. Oder so ähnlich.« Sie sah mich erschrocken an und schien sich zu fragen, wie ich nur auf einen solchen Gedanken kommen konnte. Dabei war es recht naheliegend.

»Da hat deine Mutter auch ausnahmsweise recht.«

Gerade in unserer Teenagerzeit waren wir beide eher wenig begeistert von dem, was Ebonys Mutter und predigte. Jetzt mussten wir zugeben, sie lag in vielen Punkten gar nicht so falsch. Uns war damals nicht klar, dass wir es erst verstanden, wenn wir älter wurden.

»Davon mal abgesehen, Tim ist nicht mein Typ.«

»Hast du überhaupt einen Typ?« Ich setzte mich ebenfalls und sah noch mal zu dem Berg an Büchern und der Aufgabe, die dort auf mich wartete.

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