Verschwiegen

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Als Alea am nächsten Morgen aufstand und in den Salon ging, war Cassaras bei Lennox. Die beiden unterhielten sich so leise, dass sie nichts verstehen konnte, und als Lennox' Blick zu ihr wanderte, zauberte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Cassaras sagte noch etwas zu ihm. Als Lennox nickte, stand er auf, nickte Alea zu und verschwand nach oben.

Misch Lateyna, Yavani", flüsterte Alea und gab Lennox einen sanften Guten-Morgen-Kuss. „So früh schon auf den Beinen?"

Lennox grinste leicht und erwiderte: „Cassaras hat mich geweckt. Aber es geht mir schon besser als gestern."

„Wirklich?"

„Ja, aber ich hab das Gefühl, das wird nicht lange so anhalten."

Alea umarmte Lennox vorsichtig. „Warum auch immer du das denkst, bitte versuch es nicht kommen zu lassen." Alea fuhr erschrocken nach oben. „Äh, ich mein, du musst es nicht versuchen, aber du kannst."

Lennox blinzelte. „Was wohl wäre, wenn du mir befehlen würdest, dass ich jetzt ganz munter..."

„... breakdancen soll?" Alea schmunzelte.

„Genau! Und dann befiehlst du mir, dass ich keine Auswirkungen mehr vom Fluch haben soll. Dann wäre im Prinzip alles wie vorher."

Alea seufzte. Seitdem Lennox tierische Kopfschmerzen bekommen hatte, war Alea vorsichtiger mit Experimenten beim Herrinnenschwur. „Wie fühlt es sich denn so an?", fragte sie stattdessen. „Tut es weh? Oder merkst du gar nichts?"

„Hast du meine Notizen gelesen?"

Alea nickte zaghaft, aber sie konnte in seinem Gesicht keine Spur von Vorwurf sehen. „Du hast versucht es zu beschreiben. Aber aus deinem Gekrakel bin ich nicht sehr schlau geworden."

Lennox lachte leise und hustete. „Es tut nicht weh, nein", sagte er. „Es ist nur so, dass etwas Großes in mir plötzlich nach ganz viel Aufmerksamkeit schreit und ich deswegen alles um mich herum vergessen soll. Ich soll euch vergessen und ich soll die Crucis vergessen, ich soll alles beiseiteschieben und dem Fluch in mir drin ganz viel Platz lassen für... nichts. Dieses Nichts tut nicht weh, aber... es macht mir Angst. Ich habe Angst, dass ich es siegen lasse, und der Kampf mit ihm macht mir schwer zu schaffen. Denn wenn ich es gewinnen lasse..."

Alea schluckte und betete, dass es nicht so kommen würde. „Und musst du gerade jedes Wort aus dir herauszwängen?"

„Nein." Lennox schüttete mit den Kopf. „Wenn ich wach bin, dann geht es eigentlich. Schlimmer ist es, wenn ich einschlafe. Weißt du, in einem Traum ist das alles noch viel schwieriger. In einem Traum vergisst man ganz schnell die Wirklichkeit."

Da kam Sammy hineinspatziert. „Hallo Lennlea! Na, alles fit? Du siehst echt gut aus, Scorpio, ich mein, immerhin bist du... na ja, du weißt schon. Ein Krieger wie du lässt sich davon wohl nicht beeindrucken, was?" Er musterte Alea. „Du aber auch, Schneewittchen. Du siehst echt krass aus. Also ich mein vom Inneren. Nicht vom Äußeren. Also doch vom Äußeren, aber auch vom Inneren. Vor allem vom Inneren!" Er nickte, als wollte er sich selbst beipflichten. „Cassaras hat wohl wieder die Fliege gemacht, oder?"

„Ja, er geht Thea suchen", bestätigte Lennox.

„Ich dachte, er würde erst heute Abend gehen?"

„Ich hab ihm gesagt, dass es okay ist. Immerhin geht es mir wirklich besser als erwartet."

Zum Glück!, dachte Alea. Muras Fluch klang tatsächlich viel schlimmer als es aussah. Oder war dies erst der Anfang? „Übrigens gibt es jetzt Frühstück an Deck", vermeldete Sammy. „Tessi hat vorhin noch Pfannkuchen gemacht. Wenn du willst, kannst du auch kommen, Scorpio." Damit verschwand Sammy.

„Ja, klar." Lennox hievte sich aus dem Sofa und Alea stützte ihn so gut es ging. Er lächelte sie schräg an und murmelte: „Irgendwie peinlich, als großer Krieger des Vergessens zum Frühstück eskortiert zu werden."

Alea bog die Mundwinkel leicht nach oben. „Immerhin gibt es Pfannkuchen. Die sind jedes Opfer wert, oder?"
„Absolut!" Lennox nickte, als müsste er sich selbst aufmuntern. „Und hier steht die Elvarion der letzten Generation neben mir – was könnte sich einer mehr wünschen?"

Alea seufzte und umarmte Lennox so gut es ging. „Wir schaffen das gemeinsam. Du hast mit Cassaras gesprochen – es gibt eine Möglichkeit, den Fluch zu brechen! Und die werden wir finden und alles wird gut."

Lennox schwieg kurz. Nach einer Weile hustete er und sagte: „Tut mir leid."

Verwundert löste sich Alea von ihm. „Was?"

„Ich hab dir versprochen, immer bei dir zu sein." Sie waren bei der Treppe, die nach oben führte, stehen geblieben und Lennox setzte sich schnaufend. „Aber... dieser Fluch macht mir Angst. Ich wollte es mir anfangs nicht eingestehen, aber... Alea, ich..."

Alea ließ sich neben ihm nieder. „Cassaras und du, ihr habt ja einen Ausweg gefunden, oder? Es... wird also alles gut, das weißt du doch. Oder ist die Idee grottenschlecht und einfach nur abgrundtief miserabel?"

Sie hatte den letzten Satz als Scherz sagen wollen, aber Lennox sah sie ernst an. „Nein, ist sie nicht. Allerdings brauchen wir dafür Thea."
„Thea?", wiederholte Alea. „Warum?" Würde Lennox ihr nun ihre ganze Idee offenbaren?

Lennox seufzte. „Ich bin mir nicht sicher. Aber sie wäre sicherlich ein Schlüssel. Cassaras weiß nichts davon, aber ich glaube... also, wenn Thea urplötzlich erscheinen würde und Cassaras wäre dabei, dann bestünde tatsächlich die Möglichkeit, dass dieser verdammte Fluch von mir genommen würde."

Alea hätte am liebsten weiter nachgehakt, denn sie sah überhaupt keinen Zusammenhang zwischen einer plötzlichen Begegnung mit Thea und Lennox' Fluch, aber sein Gesicht ließ daraufhin deuten, dass er nicht weiter ins Detail gehen wollte.

„Kommt ihr endlich?", erklang da Sammys Stimme vom Deck. „Die Pfannkuchen werden noch kalt."


Mein Alea Aquarius 9Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt