Als Siska eine halbe Stunde später beim Frühstück davon erfuhr, sprang sie auf. „Ich möchte das Gegenmittel injiziert bekommen. Jetzt gleich. Am besten sofort."
„Nach dem Essen", sagte Nelani lächelnd.
Siska sah aus, als hätte sie am liebsten protestiert, doch dann zügelte sie sich und setzte sich wieder an den Tisch. „Wir müssen den anderen Meerkindern auch so schnell wie möglich das Mittel injizieren", sagte sie dann mit ruhiger Stimme. „Allerdings ist ein Treffen auf Island problematisch. Es müsste in einer bekannten Stadt, in der Mitte des Kontinents oder in einem bekannten Land stattfinden, sodass möglichst viele kommen können."
„Allerdings sind wir gerade auf Island", sagte Tess. „Außerdem schwimmt die Crucis irgendwo auf dem Mittelmeer." Leise fügte sie hinzu: „Und Tante Hildegard ist ganz allein."
Alea stöhnte. Das war leider richtig und somit hatten sie nicht viele Möglichkeiten, von hier wegzukommen.
„Island ist eine Insel mitten auf dem Ozean", warf Ben ein, während er sich Marmelade auf sein Brot strich. „Es ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass hier ebenfalls viele Kinder hergebracht wurden."
Keblarr meldete sich zu Wort. „Orion hat wohl eine ganz schöne Weile nach Meerkindern gesucht. Ich hab bei seinem Rechner eine Datei gefunden, in der sämtliche Angaben mit Wohnort, Schule und sonstiges beinhaltet sind."
„Seit wann kennst du dich mit Landgängersachen aus?", wunderte sich Alea, während Lennox schon fragte: „Wie viele sind es?"
„Elf", antwortete Keblarr, „aber damit könnt ihr wohl nicht viel anfangen?"
Lennox sah zu Alea. „Elf sind zwar schon gut", sagte die, „die Handvoll reichen nur noch nicht. Wir müssen ein Treffen veranstalten, das weitaus größer ist."
Siska nickte. In Gedanken schien sie wohl ein ganzes Konzept auszuarbeiten. Dann wandte sie sich Alea und Nelani zu. „Was habt ihr vorhin eigentlich so besprochen?", fragte sie. „Ich hab euch zwar gehört, aber akustisch nichts verstanden."
Nicht zum ersten Mal staunte Alea über das Gehör von Darkonern. Während sie überlegte, wie es dann wohl erst mit dem Herrenschwur sein musste, erzählte Nelani den anderen von ihrer Idee.
„Das müssen wir sofort tun!", rief Sammy, nachdem sie fertig war. „Also, nach dem Frühstück natürlich."
„Würdest du das denn tun?", fragte Nelani Lennox.
Lennox straffte die Schultern. „Ich werde Orion vergessen lassen", sagte er mit fester Stimme und sah wieder zu Alea. „Der Orion wird durch den Stich des Skorpions getötet."
„Wohl wahr", stimmte Sammy ihm zu.
„Moment mal", fuhr Tess ihnen dazwischen. „Ihr meint, heute ist der große Tag, an dem wir Orion endlich loswerden?"
Alea hob die Schultern und lächelte. „Ich glaube schon."
***
Siska verfolgte jede von Nelanis Bewegungen. Wie sie den Kolben der Spritze hochzog und sie sich mit dem Gegenmittel füllte; Wie sie Siskas Ärmel hochkrempelte und eine Stelle am Oberarm desinfizierte. Wie Nelani langsam die Spritze ansetzte, ihren Daumen auf den Kolben legte, bereit ihn runterzudrücken.
Alea war sich sicher, dass um Siska herum ein wahrer Farbenwirbel gewesen wäre, hätten sie sich im Wasser befunden. So aber starrte das Darkonermädchen nur mit großen Augen auf die Spritze. „Noch vor wenigen Wochen habe ich gedacht, an einer Kaltwasserallergie zu leiden", brachte sie hervor. „Nun aber werde ich gegen den Virus geimpft, der mein ganzes Volk innerhalb kürzester Zeit infiziert hatte." Sie schloss die Augen und ein kleines Lächeln legte sich um ihre Mundwinkel. „Ich bin bereit."
Nelani nickte und stach mit der Nadel ein. Das Darkonermädchen verzog keine Miene, als das Gegenmittel nach und nach in ihr Blut gelangte. Als Nelani die Spritze jedoch beiseite legte, stieß sie heftig die Luft aus. Dann sah sie Nelani an und sagte: „Swadaan." Danke.
„Du bist das erste Meerkind, das gegen den Virus geimpft wurde!", bemerkte Sammy. „Der erste Schritt für Schneewittchens Traum."
Siska lächelte verhalten und fragte: „Wer ist noch mal Schneewittchen?"
„Na, Alea natürlich. Sieh sie dir doch einmal an!" Sammy klimperte Alea verzückt mit den Wimpern zu und seufzte übertrieben.
Siska sagte „Aha" und krempelte ihren Ärmel wieder runter. „Kann es eigentlich sein, dass du seit dem Emotionstribunal richtig... gechillt bist?"
Sammy zuckte mit den Schultern und erst jetzt fiel es Alea auch auf: Seitdem das Tribunal nicht geklappt hatte, war Sammy die ganze Zeit fröhlich und gelassen gewesen – obwohl dies doch alles andere als gut gewesen war! „Du hast vollkommen recht, Sista Siska", sagte Sammy. „Ich werde stetig geerdet von meinem überaus wunderbärigen Bestbauchgefühl."
„Was für ein Gefühl?", fragte Nelani.
Sammy grinste und erwiderte: „Dass alles gut werden wird. Irgendwie hab ich mich selbst gewundert, dass mich das gescheiterte Emotionstribunal nicht absolut fertig gemacht hat. Aber da ist etwas, dass mich richtig relaxed macht."
„Hoffen wir, dass es so ist", sagte Siska bloß. Es erschien Alea so, als wütete in ihr ein Tornado, dessen Auge auf das Gegenmittel gerichtet war, doch Siska ließ es sich nicht anmerken und stand von ihrem Stuhl auf. „Gehen wir zu den anderen. Orion hat lange genug Unheil angerichtet."
Nur sie, Sammy, Alea und Nelani waren in dem Labor, der Rest der Cru schon beim Doktor im Kerker. Nelani verstaute die Spritze und das Gegenmittel. Dann verließen sie das Labor. Aleas Magen zog sich mit jedem Schritt weiter zusammen, obwohl der Kopf ihr eindeutig sagte, dass alles gut war und Orion nichts anrichten würde – und konnte. Dennoch wurde ihr mulmig zumute, als sie daran dachte, dem Doktor bei vollem Bewusstsein entgegenzutreten. Darum hielt sie sich nun an Sammys Bestbauchgefühl fest wie an einer Rettungsleine.
Im Laufen lenkte Siska ihre Schritte zu Alea. „Jetzt kann ich der Elvarion mit meinem vollen Dasein dienen", flüsterte sie ihr zu.
„Das tust du doch schon", erwiderte Alea lächelnd.
„Nicht so gut wie ich es jetzt kann."
Alea seufzte still in sich hinein. Siska war in der Tat ein überaus wertvolles Kettenglied der Cru – jetzt, aber auch schon vor ein paar Tagen. Wie die Darkonerin sie aus dem Konzert gelotst hatte, würde Alea nicht so schnell vergessen.
Gerade wollte sie etwas erwidern, als sie bemerkte, dass sie schon vor der Kerkertür von Orion angekommen waren. Sofort sank ihr Herz zwei Etagen tiefer. Die Tür war angelehnt, aber sie konnte niemanden sprechen hören.
Alea hielte unweigerlich die Luft an. Dann stieß sie die Tür auf und trat hinein.
DU LIEST GERADE
Mein Alea Aquarius 9
FanficEndlich in Rom angekommen, steht für die Alpha Cru das große Umweltkonzert an. Außerdem wollen sie am Tag darauf Orion überfallen. Alea und ihre Freunde müssen aber alle Pläne über Bord werfen, als der Doktor hinter ihr Vorhaben kommt. Die Rettung d...