Alea sah durch die Scheibe des Deckshäuschens hinaus auf Italien. Ein weiter Strand zierte das Ufer, an dem sie nur wenige Leute in der Dämmerung erkennen konnte, die in diesen frühen Morgenstunden ans Meer gingen. Kaum jemand schwamm schon im Wasser, und Alea genoss den Anblick, bevor am Mittag wieder die Touristenmassen die Sicht versperren würden. Die Alpha Cru war gestern erst mit dem gestohlenen Kombi hierher gefahren und sie hatte gesehen, wie voll es sein konnte. Und wie viel Müll durch die ganzen Strandbesucher produziert wurde.
Alea seufzte. Am liebsten hätte sie jedem von ihnen ins Gesicht gesagt, was sie von den ganzen Strandpartys hielt, die hier gefeiert wurden. Der ganze Verpackungsmist und all das Plastik, das dadurch in die Seen, Flüsse, Meere und Ozeane gelangte, trug stetig dazu bei, dass sämtliche Gewässer auf der Welt nach und nach zerstört wurden. Unzählige Lebewesen hielten Mikroplastik für Nahrung und starben an den Mengen, die ins Meer gelangten. Und die Fische, die ebenfalls davon betroffen waren, landeten letztendlich auch wieder beim Menschen auf dem Teller. Vielleicht hatten die Partygäste am vorherigen Abend erst wieder ihren eigenen Müll gegessen und waren sich des Ausmaßes an Verschmutzung noch gar nicht bewusst. Vielleicht hielten sie die Ozeane für etwas, was nichts mit ihnen zu tun hatte, auf das sie pfeifen konnten und mit dem sie anstellten, was sie wollten. Die Müllteppiche sollten sie ja nicht stören, die schon auf der ganzen Weltkugel verteilt waren und undenkbare Größen hatten. Der Ozean war also nichts, um das man sich kümmern müsste.
Aber genau das war eben falsch. Und für Alea als Elvarion der letzten Generation galt es, den Menschen die Augen zu öffnen. Sie mussten begreifen, welchen Schaden sie anrichteten. Nur dann existierte eine gewisse Chance, dass die Menschheit sich nicht selbst vernichten würde.
Alea seufzte noch einmal. Es war eine Aufgabe, vor dessen Größe sie jeden Respekt hatte. Aber sie war nicht gänzlich unbezwingbar. Morgen würde die Alpha Cru einen wichtigen Schritt gehen. Ein Umweltkonzert fand in Rom statt, bei dem sie auftreten würden, bei dem tausende von Menschen und Stars sie hörten. Und in zwei Tagen würden sie Doktor Aquilius Orion gefangen nehmen und ihn bei einer Lafora richten lassen. Einen der einflussreichsten Gretzer überhaupt, den Gretzerkönig, wie ihn die Magischen getauft hatten.
Wie immer bei diesem Gedanken stieg eine kleine Übelkeit in Alea auf. Sie hatte schon lange die Vision gesehen, wo sie ihn an einem Kiosktisch vor dem Kolosseum in Rom treffen würde. Sie hätte am liebsten alle paar Minuten überprüft, ob die Silberfäden ihr noch dasselbe zeigten. Doch das ging nicht mehr; Sie waren zerstört, mitsamt des Umhangs, von dem sie stammten, denn der wurde verflucht. Jeden sollte er ins Verderben stürzen, der es wagte ihn anzulegen. Somit konnte Alea nur hoffen, dass die Vision so blieb, wie sie war und dass am neunzehnten September alles gut laufen würde.
Sie erhoffte sich nämlich noch etwas von diesem Tag. Alea wollte endlich wieder mit ihrer Zwillingsschwester Anthea vereint sein – oder wenigstens herausbekommen, wo sie sich aufhalten könnte. Die Magischen hatten berichtet, dass Doktor Orion mit Thea in Richtung Süden geflogen war. Seitdem spielte Alea mit dem Gedanken, dass auch Thea in Rom sein würde, wenn sie Orion die Falle stellten. Auch obwohl sie erst seit diesem Sommer wusste, dass sie eine Schwester hatte und vor wenigen Wochen mit ihr in Kontakt gekommen ist, obwohl sie einander erst so kurz kannten, zerriss es Alea jede Minute die Seele, in der sie getrennt von Thea war.
Und andersrum war es genauso.
„Ahoi", hörte Alea plötzlich eine Stimme neben sich. Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch und blickte in das Gesicht von Lennox Scorpio.
„Oh. Hi", sagte sie und öffnete einladend die Tür ins Deckshäuschen. Lennox setzte sich neben sie.
„Misch Lateyna, Yavani", wünschte er ihr auf schönste Art und Weise einen guten Morgen und küsste sie.
Alea sog den Duft nach Weite, Wärme und Wasser für ein paar Momente lang in sich auf, dann öffnete sie lächelnd die Augen. „Misch Lateyna. Bist du schon lange wach?" Er hatte dunkle Ringe unter den Augen.
„Ja." Lennox zuckte mit den Schultern und fuhr sich durch sein Haar. „Ich hab mir noch ein paar Gedanken gemacht, wie man Ocean's heart mit unterschiedlichen Sounds produzieren könnte. Einen Entwurf von unterschiedlichen Instrumenten hab ich schon, aber ich muss noch bisschen dran arbeiten."
In Venedig hatte Lennox einen Song über das Herz des Ozeans geschrieben, die Zerbrechlichkeit der Meere und das Nichtstun der Menschen. Es hatte Alea vom ersten Moment an gefesselt und war inzwischen auf Platz eins ihrer Lieblingslieder. „Spielen wir Ocean's heart dann auch beim Konzert?", fragte sie.
Lennox bejahte. „Ich hatte Ben gestern noch das Lied vorgespielt. Er möchte unbedingt, dass wir es in unser Programm aufnehmen."
Alea lächelte. Das war gut. Sie versuchte nicht daran zu denken, ganz allein vor den vielen Menschen singen zu müssen. Der Song war einfach viel zu wichtig, um nicht der Welt präsentiert zu werden.
„Wollen wir uns den Sonnenaufgang am Bug ansehen?", fragte da Lennox.
Alea nickte sofort. „Ja, lass uns das tun!" Sie schaltete den automatischen Annäherungsalarm an und folgte Lennox nach draußen. Sie liebte es, mit ihm allein am Bug zu stehen, schweigend und Händchen haltend in die Wellen zu blicken.
Ein orangefarbener Streifen tauchte den Morgen in helles Licht. Kurz darauf kam die Sonne nach und nach zum Vorschein und als sie vollkommen aufgegangen war, zog Alea Lennox zu sich und verewigte diesen Moment mit einem langen Kuss.
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Mein Alea Aquarius 9
أدب الهواةEndlich in Rom angekommen, steht für die Alpha Cru das große Umweltkonzert an. Außerdem wollen sie am Tag darauf Orion überfallen. Alea und ihre Freunde müssen aber alle Pläne über Bord werfen, als der Doktor hinter ihr Vorhaben kommt. Die Rettung d...