1. Prolog

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Mir war viel zu heiß in dem engen Kleid. Kein Wunder, mit sieben Lagen Stoff und einem Korsette, welches meine Rippen jeden Moment zum Bersten brachte, wenn ich es mir nur erlauben würde zu Niesen.

Ein Glück das ich Dank meiner Mutter eine dreijährige Schule absolvierte, welche mir die „Kunst des Atmens" nahebrachte, um es in ihren Worten auszudrücken.
Den ganzen Aufwand hätte man sich meiner Meinung nach auch sparen können, wenn man mich einfach in Bluse und Hose rausgehen ließe.

Aber nein, sowas gehörte sich nicht als Dame, erst recht nicht als Dame vom Hofe. Ich konnte die Stimme meiner Mutter förmlich hören.
Manchmal fragte ich mich, ob sie Gefallen daran hatte mich zu Quälen, mein persönlicher Drache, der mir die Hölle heiß machte.

„Elira hör auf an deinem Kleid zu ziehen, sonst zerreißt du noch den feinen Stoff." Eindringlich und mit strenger Miene blickte besagter Drache auf mich hinunter. Ich ließ Widerwillens von meinem Kragen ab, der auf bestem Wege war mir die Luftröhre zuzuschnüren.

Aber lieber fand ich mein Lebensende durch ein zu eng geschnürtes Kleid, als die tötenden Blicke und feurigen Schimpftiraden meiner Mutter. Wie es aussah würde ich wohl einen tot sterben müssen.

Doch so war es jedes Wochenende. Ständige Besuche von irgendwelchen einflussreichen Leuten aus irgendwoher. Genau hingehört habe ich weder im Unterricht, noch bei Gesprächen. Was nicht weiter schlimm war, da meine einzige Aufgabe sowieso darin bestand wie ein Ausstellungsstück rumzustehen und zu lächeln, als würde mich meine Kleidung nicht gleich ins Jenseits katapultieren.

So schlimm wie heute waren die Klamotten jedoch noch nie. Meine Mutter wirkte auch gereizter als sonst, es kündigte sich also hoher Besuch an. Mein Lehrer erwähnte gestern etwas, allerdings hörte ich nicht hin, welch eine Überraschung.

In Reih und Glied stand nun der halbe Hof im Foyer, alle Diener, Köche, mein Lehrer, meine Magd und sogar die Gärtner. Nur zu besonderen Anlässen versammelten sich alle Bediensteten.
Vielleicht hätte es sich doch mal gelohnt im Unterricht zuzuhören.

Als mein Vater unsere meterbreite große Holztreppe herunterkam, verbeugten sich alle nacheinander. Den Teil fand ich schon immer übertrieben, wie kleine Dominosteine die nacheinander umkippten, beugten sich alle Angestellten bei dem Anblick meines Vaters, dem König von Andell.

Neben mir kam er zum Stehen, in seinem edelsten Gewand und schwersten Krone. Ich hatte fast schon Mitleid mit ihm. Unter dem dicken Stoff musste es noch heißer sein, als bei meinem Gewirr aus Tülllagen und die Krone erst. Ein Glück musste ich sie nicht tragen, denn mit ihr würde ich Kopfüber zu Boden fallen.
Doch irgendwann würde der Tag kommen, an dem ich selbst Königin werde, doch den Gedanken schob ich wie immer ganz schnell weg.

Unten angekommen stellte sich mein Vater neben meine Mutter. Mit kräftigem Griff berührte er mich an meiner Schulter, um mich vor die beiden zu schieben.
Wir standen nun mit direktem Blick gegenüber von unserer hohen Holztür. Wieso zum Himmel versammelten wir uns alle hier? Doch bevor ich meine Frage laut aussprechen konnte, ertönte eine laute Fanfare . Meine Güte, wurde heute etwa jeglicher pompöser Schnickschnack durchgeführt? Und das alles nur wegen einer einzigen Person?

Zwei Diener nahmen die Trompeten als Zeichen nach vorne zu laufen, um die doppelflügelige Tür zu öffnen. Aus irgendeinem Grund erwartete ich tatsächlich nur eine Person, die ihren Weg ins Innere des Schlosses fand, allerdings schien eine ganze Schar von Dienern hereinzuströmen, bevor das Gesicht des Mannes der Stunde sichtbar wurde.

Ein Mann mittleren Alters und von stattlicher Größe lief auf uns zu. Auch er trug eine Krone, welche die meines Vaters weit aus übertrumpfte. Mir war nicht bewusst, dass dies überhaupt im Raum des Möglichen stand. Unter seinem mit Diamanten besetzten Goldgestell, nahmen seine schulterlangen braunen Haare bereits eine gräuliche Färbung an.

Nicht weit hinter ihm folgte eine Frau zügigen Schrittes. Auch sie trug ein teuer aussehendes Schmuckstück auf ihrem Kopf, in welchem dieselben Edelsteine eingelassen waren, wie bei der Krone des Mannes. Ihr Kleid und sein Gewandt waren in einem ähnlich dunkelgrünen Farbton gehalten. Vermutlich waren sie ein Paar, auch wenn sie um einige Jahre jünger wirkte als er.

Neben ihr lief eine weitere Person. Ein Junge, welcher nicht viel älter als ich selbst sein konnte. Auch er trug einen Umhang in grün. Seinen braunen Haaren nach zu urteilen und seinem schnellen Gang der Sohn des eben genannten Paares. Wie ungewöhnlich. Normalerweise kamen zu den geschäftlichen Besuchen meines Vaters nur Männer, keine Kinder und erst recht keine Frauen. Die hielt er immer für besonders unfähig, sie seien zu emotional um wichtige Entscheidungen zu treffen. Allein an seine Aussage zu denken, ließ mich in Gedanken mit meinen Augen rollen.

Als die Familie vor uns zum Stehen kam und sich zu erst mein Vater und dann der gesamte Hof inklusive meine Mutter vor ihnen verbeugte, lehnte auch ich mich so weit vor, wie es mein Korsette erlaubte. Wieso zur Hölle reichte es nicht einfach die Hand zu geben, dass würde viel schneller gehen und mir einige Atemprobleme ersparen.

„Eure Majestät, herzlich Willkommen auf dem Hof von Andell. Wir hoffen ihre Anreise verlief angenehm und ohne Komplikationen." Der kräftige Händedruck meines Vaters wurde mit einem wissenden Blick des Mannes begrüßt.

Die erwähnten Komplikationen mussten sich auf die vielen Überfälle im Süden und entlang der Westküste des Landes beziehen. In den letzten Wochen häufte sich dort der Raub von Geld, sowie weiteren kostspieligen Wertgegenständen. Es wurde angenommen eine Bande stecke dahinter, doch niemand wusste etwas Genaueres. Wie agil sie dabei vorgingen faszinierte mich am meisten.

Der Mann hielt erst meiner Mutter die Hand, bevor er mich aus fast tiefschwarzen Augen prüfend musterte. Ich hielt seinem Blick stand. Doch seine Aufmerksamkeit wich, als sein Sohn zu uns kam.
Meine Mutter gab mir in demselben Moment einen Stoß auf den Rücken, der mir zu bedeuten versuchte aufrechter zu stehen.

Vorbildlich beugte ich mich auch vor ihm. Musste ich jetzt allen Ernstes zusätzlich noch auf meine Haltung achten?
Als ich auch mit ihm Augenkontakt aufbaute, nahm er plötzlich meine Hand und führte sie zu seinem Mund. Er gab mir einen Kuss darauf. „Elira Annabella nett endlich ihre Bekanntschaft machen zu dürfen."

Schnell zog ich meine Hand wieder weg. Unauffällig rieb ich sie gegen den Stoff meines Kleides. Was sollte das denn? Doch bevor ich begriff wie mir geschah, spie meine Mutter die feurig besetzten Wörter aus.
„Elira darf ich vorstellen Oliver Kronprinz von Tikum. Dein zukünftiger Ehegatte."

Bitte was?

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