Jody stand am Steuerrad. Sie sah erschöpft aus, dennoch blieb ihre Miene ernst.
Ich näherte mich ihr, vorbereitet auf alles. „Setz dich." Sie schaute mir direkt in die Augen. Ich nahm vor ihr Platz.„Wieviel weißt du über das Königshaus?" Sie blieb ruhig.
Mir war bewusst, dass diese Frage früher oder später gestellt werden würde. „Genug um euch sicher in die Schatzkammer und wieder raus zu führen."
Jody nickte, es kam keine Nachfrage.
Eine kurze Pause entstand.„Weißt du, ich versuche dir wirklich zu vertrauen. Aber du machst es einem nicht leicht."
Verwundert schaute ich zu Jody, doch ihr Blick war nach vorne gerichtet. „Ich habe das Gefühl du verheimlichst etwas vor uns. Jeden Tag erfahre ich ein Stück mehr von deiner Vergangenheit, doch ich kann das Bild nicht zusammensetzen."Eine Pause entstand. Ich war überrascht über Jodys plötzliche Offenheit. Sie wirkte fast schon verletzlich.
„Trotzdem haben wir uns dazu entschieden dich mit nach Andell zu nehmen, damit du uns den Weg ins Schloss zeigst." Erst jetzt suchte sie meinen Blick. „Wenn du uns jedoch in eine Falle lockst, dann wirst du mit dem Tod bezahlen. Ich trage eine zu große Verantwortung, um mir einen Fehler zu erlauben."Ich nickte ihr schweigend zu. Der Plan war durchaus riskant, nicht nur für die Piraten, sondern auch für mich. Ich war erst zwei mal in dem Keller. Einmal nach der Beerdigung meines Großvaters und wenige Monate später nach der Beerdigung meiner Großmutter als sie ihre Gedenktafeln bekamen. Ich konnte nur hoffen, dass sich nichts geändert hatte.
Es wurde wieder still, das Wasser war deutlich zu hören. Wir fuhren schneller als gestern. Ich schloss meine Augen und genoss die Ruhe. Der Wind wehte meine Haare ins Gesicht, doch es machte mir nichts aus.
Nach einer Weile öffnete ich meine Augen. Jody beobachtete mich mit einem intensiven Blick. Ihre sonst so trüben Augen wirkten auf einmal heller, als würde sich der graue Nebel in ihnen lichten.
Sie wandte den Blick ab. Zu meiner Überraschung lief sie ohne ein Wort zu sagen davon, ich hörte noch ihre Schritte auf der Treppe und dann war sie weg.Irritiert blickte ich zurück zum Steuerrad. Musste nicht irgendjemand lenken? Ich war zwar kein Experte in Sachen Schiffe, doch war mir sicher, dass der Wind uns nicht von alleine ans Ziel brachte.
Bevor ich allerdings Panik bekommen konnte, war Jody wieder zurück.
„Hier." Sie streckte ihr Hand aus, darin befand sich ein perfekt rotglänzender Apfel.„Neustart?" Fragend blickte Jody mich an.
„Neustart." Ich nahm den Apfel mit einem Nicken entgegen. Ich schmunzelte, das Obst erinnerte mich an unsere erste Begegnung.
Jody setzte sich wortlos neben mich, doch auf ihrem Gesicht lag ein leichtes Lächeln. Wohlmöglich dachte sie an genau dieselbe Situation.
Der Apfel schmeckte angenehm süß und fruchtig. Auch Jody hatte sich einen Apfel mitgenommen und biss ein großes Stück ab.„Was denkst du, wie viel Zeit haben wir, bis die Königsfamilie zurückkehrt?" Die Frage verschlug mir umgehend die Sprache, mein Puls schnellte hoch. Als ich nichts sagte, blickte Jody mit einem besorgten Ausdruck zu mir. „Du weißt schon, wegen der Hochzeit von der Prinzessin." Ich ließ mir so wenig wie möglich meine Angst anmerken.
„Ich denke mal ein paar Tage werden sie noch da bleiben. Aber genau kann ich es nicht sagen." Es war nicht mal gelogen. Vermutlich werden meine Eltern sogar länger als geplant in Tikum verbringen, mit der Hoffnung ich würde zurückkehren.
Jody nickte gedankenverloren. Ihr Blick führte wieder raus auf die Weite des Meeres. Die kurzen dunklen Haare wehten ihr ins Gesicht. Bei ihr sah es dennoch elegant aus. Generell strahlte jede ihrer Bewegungen Perfektion und Eleganz aus.
Doch sie schien den Wind nicht wahrzunehmen, etwas anderes beschäftigte sie.„Wieso überhaupt Andell und nicht Tikum?" Vielleicht würde ich sie mit der Frage aus ihrem Gedankenkarussell holen.
Jodys grauen Augen trafen wieder meine. „Es ist das wohlhabendste Königreich in Calandrien."
Mein Interesse war geweckt. „Aber Tikum ist doch das bekannteste Königreich fast der gesamte Norden steht unter seiner Macht."Jody schnaubte verächtlich. „Diese Jahre sind schon lange vergangen. Tikum ist verkümmert, die ganzen Gelder aufgebraucht. Die Abgaben sind viel zu hoch geworden, keiner dort kann sich noch irgendetwas leisten. Andell hingegen schwimmt im Gold."
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Wussten meine Eltern von der Geldnot in Tikum? Die Auswirkungen hatte ich schließlich mit eigenen Augen gesehen, erst bei Anton und seiner Oma, dann am Hafen.
„Wir holen uns nur das zurück was uns zusteht. Die letzten Wochen haben wir bereits kleinere Königreiche geplündert, doch Andell ist definitiv eine Nummer größer." Jody schluckte das letzte Apfelstück hinunter.
Schlagartig wurde mir bewusst was sie sagte. „Ihr seid also die Räuberbande, über die jeder spricht." Ich erinnerte mich an die Nachfrage meines Vaters, als Familie Tikum bei uns zu Besuch war. Er sprach von gehäuften Überfällen entlang der Westküste.
„Jap, das sind wir wohl." Jody sprang auf und schmiss den Stiel ihres Apfels ins Meer. „Wir brechen aber nur bei denen ein, die sowieso mehr als genug besitzen." Sie setzte sich wieder zurück neben mich.
Vielleicht waren die Piraten doch nicht so skrupellos, wie ich zunächst annahm. Vielleicht waren sie sogar die Guten und meine Familie die Bösen?
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Meer aus Lügen
RomanceAls Prinzessin Elira von Andell zwangsverheiratet werden soll flieht sie, nur um wenig später von Piraten festgenommen zu werden. Um zu überleben, verstrickt sie sich in ein Meer aus Lügen. So gut es geht passt sie sich an die Piraten auf dem Schif...