2. Hochzeit

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Ich ging in dem hergerichteten Zimmer auf und ab, dabei sollte ich schon längst schlafen. Tausend Gedanken rasten in meinem Kopf umher, suchten fieberhaft nach einem Ausweg. Bevor mein Herz noch genauso schnell zu rasen begann, lief ich quer durch den Raum ans Fenster. Das Schloss war umgeben von Nadelwäldern. Die Tannen standen dicht beieinander und sahen von hier oben nicht mehr so freundlich aus, wie sie es bei unserer Ankunft noch taten.

Von unten hatte ihr dichtes Nadelkleid schützend gewirkt. Es hatte fast schon etwas weiches und sanftes an sich gehabt. Aber vor allem hatte es den Hof von Tikum verdeckt und damit meine morgige Trauung.
Doch von oben ließen sich die bedrohlich hervorragenden Spitzen der Bäume erkennen. Wie messerscharfe Klingen ragten sie empor und versperrten den Weg zu meinem alten Leben.

Einen Monat hatte ich Zeit gehabt mich auf diesen Tag vorzubereiten. Und doch stand ich hier, hilflos und ohne Plan. Ich wollte nicht Olivers Frau werden, weder jetzt noch in fünf Jahren. Ich wollte nie irgendjemandes Frau werden.

Ein Klopfen riss mich abrupt aus meinen Gedanken. Ich wusste nicht, dass noch jemand wach war. Die schwere Eichentür schwang auf und meine Magd Edith trat ein. Aus ihrem sonst perfekt geflochtenen Zopf hatten sich zwei blonde Strähnen gelöst, welche ihr nun seitlich herunterhingen. Ihre Augenringe waren auch tiefer als üblich. Sie wirkte gestresst, wahrscheinlich war sie stark in die Vorbereitungen involviert. „Ihre Kleidung für morgen." Sie hob ihren linken Arm ein wenig an. Darüber lag ein langer weißer Stoff, der fast den Boden berührte. Mein Hochzeitskleid.

Ich schluckte schwer. „Treten sie ruhig ein." Auf einmal wirkte die Luft am Fenster viel kühler. Langsam setzte ich mich an die Kante des frisch bezogenen Bettes. Das Laken zierte denselben Grünton, der mir vor einigen Wochen auf dem Umhang von König Gustav auffiel. Die offizielle Farbe des Reiches Tikum, meinem zukünftigen Königreich.

Mittlerweile hing das Kleid an einer Kleiderstange, welche zuvor extra dafür hergebracht wurde. Edith strich es in schnellen Bewegungen glatt. „Es muss noch ein wenig trocknen." Ein entschuldigendes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

In einer anderen Situation hätte ich einen wahrscheinlich unangebrachten Kommentar von mir gegeben, der sie dennoch zum Schmunzeln gebracht hätte, doch den ganzen Tag schon verhielt ich mich äußerst ruhig.
Als mein Spruch ausblieb, blickte Edith besorgt in meine Richtung.

„Sie brauchen keine Angst zu haben." Ein erst gemeintes Lächeln erhellte nun wieder ihr Gesicht und betonte ihre sichtbaren Lachfalten. Mit bedächtigen Schritten lief sie zu mir und setzte sich neben mich an die Bettkante. Einen kurzen Moment sagte keiner von uns beiden etwas. „Wissen Sie, das Leben hält viele Wendungen und Überraschungen für einen bereit. Auch in dem Unerwarteten lässt sich Hoffnung und Freude finden."
Sie drückte sanft meine Hand, bevor sie sich erhob und wieder aus dem Zimmer ging.

Wie gern hätte ich mir noch eine Weile ihre aufmunternden Worte angehört. Sie war die Einzige der ich in meinem Dasein voll und ganz vertraute. Über die Jahre wurde sie für mich wie eine Ersatzmutter, oft sorgte sie sich sogar mehr um mich als meine richtige Mutter.
Ich glaube Edith sah mich schon immer als ihre eigene Tochter, wahrscheinlich weil sie unverheiratet war und selbst keine eigenen Kinder besaß.

Im Augenwinkel blendete mich etwas. Es war mein Kleid. Die untergehende Sonne schien nun genau auf den feinen weißen Stoff und ließ die unzähligen Edelsteine darauf zum Glitzern bringen.
Ich stand auf und ließ meine Finger darüber streifen. Es musste sehr teuer sein.

Vielleicht hatte Edith Recht. Vielleicht würde ich mich mit meiner Ehe abfinden, wenn ich den Blick nach vorne wandte. Vielleicht würde ich dann Freude finden. Ich bekam den Bügel zu fassen, bestimmt  trocknete das Kleid schneller, wenn ich es an das offene Fenster hing. Der Stoff war schwerer als ich erwartete, wahrscheinlich lag es an den Edelsteinen.

Ich hakte den Bügel oben an eine der geöffneten Fensterflügel, sowohl der Wind, als auch das restliche Tageslicht konnten nun das Kleid trocknen.
Beim genaueren Betrachten fiel mir jedoch auf, dass die linke Seite des Kleides drohte von dem Bügel zu rutschen. Ich versuchte den Ärmel wieder höher zu schieben, doch er rutschte sofort wieder herunter.

War auf der Seite mehr Gewicht? Wurden dort mehr Edelsteine als auf der rechten Seite befestigt? Neugierig tastete ich den Stoff ab, bis ich etwas festes am Saum des Kleides zu spüren bekam. Ich drehte und schüttelte den Stoff kräftig, doch nichts geschah. Der Gegenstand musste in das Kleid eingenäht worden sein. Wieso ist es bisher niemand anderem aufgefallen?

Suchend blickte ich mich in dem Zimmer um, irgendwo musste ein scharfer Gegenstand liegen. Ich war kurz davor in die Hofküche zu schleichen, um mir ein Messer zu holen, als ich meine Haarspange auf der Kommode entdeckte.
Damit könnte es funktionieren.

Ich hockte mich vor das hängende Kleid und trennte langsam einzelne Fäden am Saum auf. Sicherheitshalber schob ich noch ein Kissen darunter, damit der Inhalt nicht laut auf den hölzernen Boden aufkam. Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen und den Hof aufwecken.

Heraus fiel ein Schlüssel und ein gefalteter Zettel. Was hatte das zu bedeuten? Schnell griff ich nach dem Blatt Papier.

Geehrte Prinzessin Elira,
mit dem Schlüssel gelangen Sie in die Speisekammer des Schlosses. Dort finden sie einen gepackten Stoffbeutel mit Essen und Trinken. Folgen sie danach dem Gang. Bevor sie die Tür nach draußen nehmen, suchen sie an den Kleiderhaken nach einem Umhang unter welchem Stiefel bereit stehen. Beides können Sie mitnehmen. Den Schlüssel können sie beim Verlassen in den Blumentopf neben der Tür legen. Nutzen Sie das Gartentor für die Bediensteten auf der linken Seite, es wird offen sein.

Möge das Unerwartete Hoffnung und Freude bereithalten.

Mein Puls schlug augenblicklich schneller. Es war Edith die den Schlüssel noch zuvor in mein Kleid genäht haben muss. Sie verhalf mir zur Flucht. Sie muss es gewesen sein, niemand anderes hätte erkennen können, wie mich die letzten Wochen innerlich zerrissen. Ohne jemals mit Edith über meine Gedanken zur Hochzeit geredet zu haben, spürte sie, dass ich so nie glücklich werden konnte.

Mein Herz machte einen Satz und seit einem Monat verspürte ich erstmals wieder Hoffnung. Ich drehte den Schlüssel in meiner Hand. Die Flucht war meine einzige Chance der Hochzeit zu entkommen.

Ich blickte erneut aus dem Fenster. Die Sonne würde in weniger als einer Stunde vollständig untergegangen sein. Wenn es dunkel genug war, würde ich aufbrechen.

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