8. Gefangene

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Mit meinen Fingern folgte ich den Spuren in dem hölzernen Boden des Schiffes. Etwas besseres hatte ich schließlich nicht zu tun. Eine andere Ablenkung bot die Zelle auch nicht, denn es befand sich nichts in ihr.

Ungeduldig blickte ich aus der Zelle, doch das einzige, was sich in meinem Sichtfeld befand waren einige Bierfässer gegenüber von mir. Schien wohl ein nicht wegzudenkender Bestandteil unter den Piraten zu sein. Nach einer Weile hörte ich Schritte näher kommen. Wenig später stand Jody mit einem Teller vor der Gitterwand. Sie hatte tatsächlich Essen dabei.

Jody öffnete eine kleine Klappe an der Tür und schob den Teller durch. Für eine Sekunde verschwand sie, bevor sie mit einem Becher zurückkam. Auch dieser fand seinen Weg durch die Klappe zu mir. „Vielen Dank." Anerkennend nahm ich das Essen und Trinken entgegen.

„Wehe du bringst uns kein Geld auf dem Schwarzmarkt ein." Der übliche finstere Blick lag auf ihrem Gesicht, als sie den Weg zurück nahm, von dem sie gekommen war.
Ich konnte mir nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Aus irgendeinem Grund amüsierte es mich, wenn ich ihr einen Strich durch die Rechnung machen konnte. Es ließ sich unschwer erkennen, wie wütend es sie machte mich nicht wie alle anderen unter völliger Kontrolle zu haben.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal über ein einfaches Stück Brot mit Butter freuen würde. Doch hier saß ich nun auf dem Holzboden eines Piratenschiffes und aß besagtes Essen. Innerhalb von wenigen Sekunden schluckte ich den letzten Bissen hinunter und trank in einem Zug das Wasser aus dem Becher leer. Endlich erlangte ich ein leichtes Gefühl der Sättigung. Ich hätte noch mindestens drei weitere Scheiben Brot verdrücken können, doch zunächst einmal genügte es mir.

Auch wenn ich nicht nach draußen blicken konnte, wurde es allmählich dunkler. Der Schein der Laternen war deutlicher zu erkennen und eine kühlere Luft wehte ins Innere des Schiffes.

Ich lauschte den Stimmen der Piraten, doch sie saßen noch immer draußen. Leider konnte ich kein Wort verstehen. Das angestrengte Zuhören machte mich mit der Zeit müde.
Ich lief in eine der Ecken und legte mich hin. Den Mantel zog ich aus und deckte mich damit zu. Meine Beine schmiegte ich eng an meinen Körper und nutzte einen Arm als Kopfkissen.

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Erschrocken riss ich die Augen auf, als etwas hartes gegen die Gitterstangen schlug. „Aufstehen."
Es war John, der mit einer genervten Miene an der Tür stand. Perplex blinzelte ich, es war bereits wieder Morgen. „Aufstehen. Sonst schneide ich dir doch noch die Kehle durch." Er lachte laut auf, sichtlich amüsiert über seinen Witz. Wobei ich mir nicht sicher war, ob nicht doch ein Fünkchen Wahrheit dahinter steckte.

Mit seinem Messer klopfte er kräftig gegen die Gitterstäbe, welches das gleiche Geräusch von vorhin machte. Schnell stand ich auf, brauchte jedoch einen Moment um mein Gleichgewicht zu finden. Mein ganzer Körper fühlte sich steif an. Überall schmerzte es. Der Baumstamm, der mir noch vor wenigen Tagen als Bett diente war nichts im Vergleich zu dem harten Boden.

John griff an seinen Gürtel und nahm einen Schlüsselbund in die Hand. Unzählige Schlüssel schlugen gegeneinander, als er sie einzeln durchsuchte. Wenig später öffnete er die Tür. „Mitkommen, Captain möchte dich sprechen." Überrascht hob ich die Augenbrauen. Was könnte Jody von mir wollen? Oder hatte sie es sich doch anders überlegt, wurde ich gerade zu meiner Hinrichtung geführt?

Noch bevor John erneut sein Messer gegen die Gitterstäbe hämmern konnte, lief ich eilig aus der Zelle. Wie auch Jody, stupste er mich voran, nur diesmal die Treppe hoch. Als ich die Tür nach draußen aufstieß, kniff ich meine Augen stark zusammen. Ich brauchte eine Weile, um mich an die Helligkeit zu gewöhnen.
Doch als ich die Umgebung wahrnahm, musste ich ein weiteres Mal kräftig blinzeln. Überall um das Schiff herum war Wasser, weit und breit nur Wasser.

„Wir haben abgelegt." Erschrocken drehte ich mich wieder nach Vorne. Jody stand vor mir. „Wir sind bereits einige Seemeilen vom Festland entfernt." Sie fuhr nach einer kleinen Pause fort. „Damit das klar ist, wenn du springst, dann überlebst du nicht. Du würdest vor Erschöpfung ertrinken, wenn dich bis dahin sowieso nicht schon ein Meerestier umgebracht hätte."

Ich schluckte schwer.
„Von daher kannst du dich nützlich machen, bis wir in Lanis ankommen. Schließlich bist du nicht umsonst unsere Gefangene." Sie drückte mir einen Eimer Wasser in die Hand und ein Tuch. „Du kannst am Heck anfangen das Schiff zu schrubben." Jody zeigte mit einem zufriedenen Lächeln in die Richtung des Schiffendes." Ich antwortete ihr mit einem finsteren Blick, machte mich allerdings auf den Weg.

Ich begegnete einigen Piraten, die sich bereits zu der frühen Tageszeit mit ihren Bierkrügen zuprosteten. Als ich an ihnen vorbei lief spürte ich ihre Blicke in meinem Nacken. Doch ich versuchte mir nichts anzumerken und lief mit hochgerecktem Kopf und durchgestrecktem Rücken stolz weiter.

Als ich das Heck erreichte atmete ich die angehaltene Luft tief aus. Ich war glücklicherweise alleine. Für einen kurzen Moment überlegte ich wirklich zu springen. Doch ein Blick in die Tiefe genügte und ich entschied mich dagegen. Meine Überlebenschancen schienen an Bord doch höher zu sein, nicht viel höher, aber besser einzuschätzen.

Ich begann den Holzboden zu putzen, was sich schnell als sehr mühselig herausstellte. Der Wind sorgte dafür, dass das Schiff in eine Schieflage geriet. In Ediths Schuhen rutschte ich mehrmals aus, wodurch ich sie bald auszog und an der Reling zusammenband. Barfuß hatte ich definitiv mehr Halt und konnte dem Wetter trotzen. Es machte die Arbeit nicht besser, aber ein wenig erträglicher.

Auch wenn die Sonne stark herunter schien, spürte ich ihre Hitze kaum. Vom Meer wehte eine angenehm kühlende Brise. Nach nur wenigen Minuten spürte ich es in meinen Armen brennen, ich war es nicht gewohnt mich körperlich so viel zu betätigen. Doch ich gab nicht auf und schrubbte meinen Weg bis zur Mitte des riesigen Schiffes.

Als mir ein Teller in mein Sichtfeld geschoben wurde, hörte ich auf. Verwundert blickte ich von dem Boden hoch. Mich begrüßten zwei kritisch herabschauende Augen, gefärbt in einem dunklen Grauton.

Meer aus LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt