6. Apfel

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Als es am nächsten Tag hell wurde brachen Anton und ich auf. Seine Oma gab mir eine Dose gefüllt mit der restlichen Salbe, als Dank gab ich ihnen den Rest meines Brotes.

Meine Kopfschmerzen waren verschwunden, dennoch musste ich mich anstrengen mit Anton mitzuhalten. Kein Wunder, dass er sich so gut in dem Wald auskannte, wenn er hier wohnte.

„Du bist total langsam. Wenn du nicht schneller läufst, werden wir nie ankommen." Anhand seines Lächelns wusste ich, er machte nur Spaß. Dennoch sollte ich mich beeilen, die Wache könnte jetzt überall lauern.

Als ich zu Anton aufschloss, liefen wir schweigend weiter. Jeder von uns schien in seine eigenen Gedanken versunken. Wir machten kurz Halt, um etwas zu trinken. Anton blickte in die Ferne, doch ich wusste nicht wonach er Ausschau hielt.

„Wir sind bald da, nur noch eine Stunde etwa, vielleicht auch eineinhalb bei deinem Tempo." Sein verschmitztes Lächeln kehrte zurück.
„Hey, das habe ich gehört." Ich erwiderte sein Lächeln.

„Machen sich deine Eltern keine Sorgen, wenn du so lange weg bist?"
„Meine Eltern sind tot." Schon wieder gelogen, wobei sie mental schon lange für mich gestorben waren.

Anton blickte besorgt, als würde er den Schmerz verstehen. „Meine auch. Mein Vater ist an Typhus gestorben und meine Mutter wurde umgebracht."

Auf der Stelle bekam ich ein schlechtes Gewissen. Seine Eltern lebten wirklich nicht mehr und ich nutzte solch ein sensibles Thema als Ausrede, weil mir nichts besseres einfiel. Aber die Wahrheit konnte ich ihm schließlich auch nicht nennen.

„Das tut mir leid." Beschämt blickte ich zu Boden. Doch je weniger er wusste, desto sicherer war er.
„Schon gut. Komm wir müssen weiter."
Mit einem Nicken stand ich auf und lief ihm hinterher.

Bis zu dem Dorf war es wirklich nicht mehr weit. Schon nach wenigen Minuten lichtete sich der Wald, bis wir auf ein Feld traten. Die Sonne schien kräftig auf die Erde, weshalb ich meine Augen mit der Hand abschirmte. In der Ferne konnte ich sogar schon Häuserdächer erkennen.

„Weiter kann ich nicht laufen. Ich muss eine neue Falle aufstellen, damit wir etwas zu essen haben. Aber du weißt bestimmt ab hier, wie du nach Hause kommst." Er blickte mir lange in die Augen. „Auf Wiedersehen Bella." Er drückte mich fest, mit vollem Herzen. Ich erwiderte seine Umarmung. „Vielen Dank Anton. Ich wünsche dir und deiner Oma nur das Beste, ihr seid wirklich gute Menschen."

Ohne zurückzublicken lief ich weiter auf die Felder. Meine Umgebung nahm ich nun ganz genau wahr. Jede noch so kleine Bewegung fixierte ich umgehend mit meinen Augen. Wenn hier Wachen waren, dann würden sie mich gleich entdecken. Doch es geschah nichts. Die Häuser rückten näher und ich konnte bereits einzelne Stimmen vernehmen.

Als ich das Dorf erreichte, lief ich durch eine schmale Gasse. Hier waren weniger Leute unterwegs, also konnten mich auch weniger erkennen. Die Gasse führte direkt zu einer stark besuchten Straße. Viele Geschäfte reihten sich eng aneinander und kleine Stände befanden sich in der Mitte. Mist, ich musste direkt in das Zentrum des Dorfes gelaufen sein.

Doch nirgendwo konnte ich die Wache von Tikum sehen. In ihren dunkelgrünen Uniformen wären sie mir sofort ins Auge gesprungen. Trotzdem bewegte ich mich weitestgehend im Schatten, um nicht aufzufallen.

Viele Menschen liefen umher und bettelten. Ihre Kleidung war ganz zerrissen und schmutzig. Einige trugen nicht mal Schuhe. Doch auch die Leute mit Arbeit trugen einfache Kleidung. Es schien kein wohlhabendes Dorf zu sein. Dabei müsste es doch noch dem reichen König von Tikum gehören?

Konzentriert lief ich weiter. Mein Blick blieb jedoch an den vielen Ständen hängen. In einigen lagen Kartoffeln aus, an zwei anderen Fisch und an einem sogar frisches Fleisch. Ich hatte nun mehrere Stunden nichts mehr gegessen. Allerdings besaß ich kein Essen mehr. Geld hatte ich auch keins.

Hungernd ging ich weiter, als mein Blick bei einer kleinen Gruppe Menschen hängen blieb. Sie kauften gerade Obst von einem Stand und das nicht gerade wenig. Sie trugen bereits einige Beutel mit sich, welche prall gefüllt aussahen.
Ihre Kleidung wirkte auch anders, bunter. Bunte Stoffe bedeutete immer teuer. Diese Leute hatten Geld.

Als sie weiter liefen fiel ein Apfel aus einem der vielen Beutel. Wäre es so verwerflich mir das Obststück zu nehmen? Er glänzte und war von einem kräftigen Rot. Ohne weiter darüber nachzudenken trugen mich meine Füße zu ihm. Schnell hob ich den Apfel hoch und wollte wieder im Schatten der Häuser verschwinden, doch es war zu spät.

„Hey! Das ist unser Apfel." Eine Frau löste sich aus der Gruppe und kam schnellen Schrittes auf mich zu. Ihre kurzen Haare wippten aggressiv auf und ab. Vor Schreck war ich unfähig mich zu bewegen.
Sie riss mir den Apfel aus der Hand. Die anderen aus der Gruppe holten sie ein. Plötzlich lag die Aufmerksamkeit des gesamten Marktes bei mir.

Die Frau schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an. Die Lippen presste sie fest aufeinander, sodass nicht mehr als ein dünner Strich übrig blieb.
Ein Mann schaute über ihre Schulter. Sein gehässiges Grinsen entblößte einen Goldzahn.

„Was machen wir mit ihr, Jody?" Der Mann schaute zu der Frau, welche ihren Blick nicht von mir löste. Ich stolperte einen Schritt rückwärts, doch stieß auf Widerstand.
„Nicht so schnell Püppchen." Ich spürte wie sich etwas spitzes in meinen Rücken  bohrte.

„John nimm das Messer weg."
Für einen kurzen Moment konnte ich mich umsehen, ich war umzingelt. Ich hatte keine Chance zu entkommen. Jody  griff plötzlich nach meinem Kiefer. Ruckartig drehte sie meinen Kopf erst nach links und dann nach rechts.

„Sie kommt mit aufs Schiff." Mit einem warnenden Blick schaute sie über mich drüber, vermutlich zu dem Mann, welcher noch vor ein paar Sekunden sein Messer an meinem Rücken hielt.

Der Weg bis zum Hafen kam mir unendlich lang vor. Sobald ich mich intensiver umschaute spürte ich die Messerklinge wieder auf meiner Haut. Fliehen war zwecklos.

Wir blieben stehen. „Rauf." Ungeduldig wies mir John den Weg einer Holzleiter hoch. Meinen Blick, welchen ich bis jetzt eher gesenkt hielt, ließ ich wieder umherschweifen.

Es war ein riesiges Holzschiff mit zwei Masten. Entgegen meiner Erwartungen wirkte das Schiff sogar recht gepflegt. Doch mein Blick blieb an der Flagge oben am Mast hängen. Mein Herz pochte kräftig in meiner Brust, ich musste schwer schlucken. Auf einem schwarzen Stoff bildete sich ein weißer Totenkopf ab.

Ich wurde von Piraten festgenommen.

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Hallo zusammen,
ich melde mich mal kurz, um mich ganz herzlich für die viele Unterstützung bei der Geschichte zu bedanken.
Heute habt ihr die 100 Reads geknackt. Das bedeutet mir so unfassbar viel, ich hoffe die zukünftigen Kapitel werden euch auch gefallen :)

Eure Felia <3

Meer aus LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt