9. Arbeit

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Für einen kurzen Moment schauten wir uns beide direkt in die Augen.
„Für den Schwarzmarkt." Sie löste ihren Blick und lief zurück zu den anderen Piraten. Ich musste schmunzeln. Besaß Jody etwa tatsächlich trotz der kalten Miene so etwas wie Humor?
Ich schüttelte belustigt meinen Kopf, als ich die Brotscheibe in die Hand nahm.

Einen Augenblick blieb ich auf dem Schiffsboden sitzen und beobachtete die anderen. Sie saßen wie gewöhnlich auf ihren Bänken, um gemeinsam das Mittagessen zu verspeisen. Die Piraten aßen deutlich besseres Essen als ich. Der Geruch von Fischsuppe und Gemüse waberte in meine Richtung. An Bier wurde zu dieser Tageszeit auch nicht gespart.

Alle außer Jody schienen von der goldgelben Flüssigkeit zu trinken. Ob das der Grund für ihren ernsten Blick war? Man konnte ihre Anspannung förmlich greifen, wenn man den Arm danach ausstrecken würde.

Doch meine eigene Anspannung reichte mir voll und ganz aus. Noch immer hatte ich keine Idee, wie ich mir den Schwarzmarkt ersparen konnte. Abgesehen davon suchten mit Sicherheit überall Soldaten nach mir, auch in Lanis. Doch für jetzt war ich vor meinen Eltern und der Königsfamilie von Tikum geschützt. Und auch die Piraten schienen nichts von meiner wahren Identität zu wissen.
Welch eine Ironie. In ganz Calandrien war ich hier als eine Gefangene auf einem Piratenschiff am sichersten.

Als ich das letzte Stück des Brotes runtergeschluckt hatte, stand ich auf. Den Teller nahm ich in die Hand und lief an den Bänken vorbei, auf den Weg ins Innere des Schiffes. Die Küche konnte nicht weit von meiner Zelle entfernt sein.
„Hey du, mach dich nützlich. Nimm die anderen Teller mit." Ein Pirat wandte sich von seinem Platz aus an mich. Seine Worte waren nicht mehr als ein Nuscheln, ich hatte Schwierigkeiten ihn zu verstehen. Doch als er mir seinen Teller hin hielt, verstand ich.

Kaum nahm ich ihn entgegen, schoben mir einige andere Piraten lachend ihre Teller hin. Sie waren sichtlich amüsiert, mich als Bedienstete zu behandeln. Ich fühlte mich in mein altes Leben zurückgesetzt. Zuhause hatten wir einige Angestellte, die sowohl meinen Eltern als auch mir ständig hinterher räumten. Meine Mutter gab ihnen immer Anweisungen und beschwerte sich, sobald auch nur jemand für einen Moment nichts tat.

Ich hatte schon als kleines Kind nie verstanden, wieso ich nichts machen musste und andere Menschen nicht nur für sich selbst sorgten, sondern in erster Linie meinen Bedürfnissen nachkommen sollten. Jetzt gerade bekam ich einen guten Eindruck von dem, was unseren Bediensteten im Schloss abverlangt wurde. Es fühlte sich falsch an.

Doch sie hatten sich nie beschwert. Aus diesem Grund trug ich schweigend einen so großen Stapel Geschirr herunter, dass ich gerade so sah, wohin ich lief. Zielstrebig führten mich meine Beine an der Zelle vorbei und tatsächlich befand sich die Küche ein Stück dahinter. Mit meiner Schulter lehnte ich mich gegen die Tür um sie aufzustoßen. Doch zeitgleich öffnete sie jemand von innen.

Damit hatte ich nicht gerechnet, wodurch ich mehr oder weniger in die Küche stolperte. Der Pirat lief lachend aus der Tür.
Ich suchte mein Gleichgewicht und achtete währenddessen darauf keinen Teller runterfallen zu lassen. Ich spürte, wie jemand gegenüber von mir den Stapel ebenfalls festhielt. Als ich wieder sicher mit beiden Beinen auf dem Boden stand, nahm mir die Person die oberen Teller ab, wodurch ich erkennen konnte wer mir half. Es war Jody.

„Wieso schrubbst du nicht gerade das Deck?" Mit Misstrauen in der Stimme legte sie die Teller in eine große Schüssel. Ich hatte draußen nicht bemerkt, dass sie fehlte. Perplex blieb ich kurz stehen, bevor ich ihrem Beispiel folgte und zu ihr rüber lief. „Ich wollte meinen Teller wegbringen und dann..." Ich pausierte einen Moment. „Dachte ich, ich könnte die restlichen Teller ebenfalls mitnehmen." Wenn ich Jody gesagt hätte, dass mir die anderen in Wahrheit ihr Geschirr hingehalten hatten und sie sich einen Spaß daraus machten mich herumzukommandieren, dann würde sie mich höchstwahrscheinlich ebenfalls nur belächeln. Darauf hatte ich keine Lust, dass würde sowieso schon früh genug passieren.

Ein weiterer kritischer Blick von Jody läutete eine lange Zeit des Schweigens ein. Lediglich das Klappern des Geschirrs konnte man hören. Die Stille war zwar unangenehm, aber aus irgendeinem Grund nicht unerträglich.
Ein geeignetes Gesprächsthema fand ich dennoch nicht, weshalb ich dankbar war, als ein weiterer Pirat durch die Tür gelaufen kam.

Sein Blick blieb an mir hängen „Püppchen, du sollst weiter putzen." Mittlerweile wurde dies wohl unter den Piraten zu meinem Spitznamen. Ich schaute rüber zu Jody, doch diese fixierte ihren Blick auf das Geschirr. Ohne Widerworte verließ ich die Küche und fand mich draußen neben dem Eimer und Lappen wieder. Die Hälfte des Decks war bereits geschafft.

Ich atmete kurz durch, bevor ich wieder nach dem Lappen griff und weiter schrubbte. Der Wind nahm ein wenig zu, wodurch es schwieriger für mich wurde mein Gleichgewicht zu halten. Doch mit den weiteren Stunden die vergangen, gewöhnte ich mich an die Schräglage und den Wellengang. Zwischendurch liefen Piraten an mir vorbei, manche blieben sogar stehen und beobachteten mich, um die Zeit totzuschlagen.
Ich versuchte ihnen so wenig Beachtung zu schenken wie es nur ging, denn so bekam ich am wenigsten dumme Sprüche ab.

Schon bald ging die Sonne wieder unter und es wurde dunkler. Ich beeilte mich und schaffte es tatsächlich auch die letzte Holzlatte zu putzen. Erschöpft legte ich mich auf den Rücken und streckte mich. Jegliches Körperteil fühlte sich verspannt an, doch ich hatte es geschafft. Meine Augen schloss ich und für einen Moment lauschte ich nur dem Meer, bis mich ein Räuspern zurück in die Realität holte.

Schnell stand ich auf. Es war Jody, wer auch sonst. „Fertig?"
Ich nickte vorsichtig, nicht wissend was mir als Nächstes bevorstehen könnte.
„Gut. Dann bring ich dich zurück in deine Zelle." Auffordernd schaute sie mich aus ihren kühlen grauen Augen an.

Ich nahm Eimer und Lappen in die Hand. Enttäuscht lief ich ihr hinterher nach unten. Aus irgendeinem Grund erwartete ich mehr Lob, oder wenigstens irgendeine Form des Dankes. Dies war eine lächerliche Vorstellung, wenn man bedachte, dass ich hier gefangen war.

Quietschend öffnete sich die Tür zu der Zelle. „Geh rein." Ich erwartete einen finsteren Blick, doch sie schaute weg. Irritiert lief ich in die Zelle.
Ein Teller mit Essen befand sich bereits in ihr, diesmal lagen zwei Brotscheiben drauf. Ein kurzes Schmunzeln huschte über mein Gesicht.

Ich wollte mich gerade umdrehen, um mich bei Jody zu bedanken, doch sie war weg.
Stattdessen setzte ich mich auf den harten Boden und biss in die erste Scheibe. Ich erhielt also doch ein Dankeschön.

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Hallo zusammen,

heute mal aus Zeitgründen ein wenig eher gepostet als gewöhnlich. Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen und vielen Dank für das fleißige Lesen bisher :)

Eure Felia

Meer aus LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt