12. Plan

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Ich konnte nicht anders als die Karte anzustarren, alles um mich herum verschwamm und hörte sich gedämpft an. Pfeile waren eingezeichnet, an den jeweiligen Eingängen. Ein dickes Kreuz markierte die Schatzkammer. Sie planten einen Überfall.

Die Karte sah sehr detailliert aus.
„Genug gesehen, dass geht dich nichts an." Jody griff bereits nach meinem Arm und zerrte mich Richtung Tür, doch ich hatte eine Idee.
„Warte."
Jody kehrte nicht um. „Ich kann euch helfen." Noch immer zog sie mich mit sich. „Es gibt noch einen anderen Weg. Östlich des Schlosses befindet sich ein weiterer Eingang."

Erst jetzt blieb Jody ruckartig stehen. Die Gespräche der drei anderen Piraten verstummten ebenfalls schlagartig. „Was hast du gerade gesagt." Es kam wie ein Zischen aus Jodys Mund. Bevor ich antworten konnte, schubste sie mich wieder zurück zu der Karte. „Sprich."

Mit verschränkten Armen schaute Jody zu mir, auch die anderen Piraten wendeten ihre Aufmerksamkeit mir zu. Ich schluckte schwer. „Östlich liegt ein unterirdischer Eingang der direkt zum Keller führt. Er dient als Notausgang." Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen bereute ich sie. Was fiel mir ein meine Eltern so zu hintergehen?

Kurz folgte Stille. „Und woher weißt du das?" Jody blickte mich eindringlich an. Mein Herz schlug schneller. „Ich habe mal für die Königsfamilie gearbeitet." Etwas besseres fiel mir nicht ein.
„Und woher sollen wir dir glauben?" Einer der Piraten ergriff nun das Wort.

Suchend blickte ich auf den Tisch, bis ich an einem Stift hängen blieb. Ich griff danach und beugte mich vor die Karte. „Hier." Ich zeigte auf die Eingänge. „Da kommt ihr nicht durch, die Tore werden immer bewacht. Nach sechs Stunden ist zwar Schichtwechsel, aber der wird sehr ernst genommen. Ein Fehler und der Tod ist einem sicher."
Alle bis auf Jody nickten mir verständnisvoll zu.

„Ist das so?" Misstrauisch richtete sie die Frage an die drei Piraten.
„Ja Captain. Der Schichtwechsel fand alle sechs Stunden statt."
Ich versuchte meine Überraschung zu verbergen. Sie waren also schon mal dort. Ich kannte mich zwar nicht besonders gut mit unserer Wache aus, wusste jedoch, dass nur die Besten von ganz Andell dort positioniert wurden. Wie konnten sie also unbemerkt das Schloss beobachten?

„Sprich weiter." Jody schien noch immer nicht überzeugt.
Ich zeichnete den Osteingang auf. „Dort ist die Klappe, sie führt einen direkt in den Weinkeller." Ich zog eine Linie. „Und wenn man dort weiter durchläuft, dann kommt man auf einen Flur. Rechts befinden sich die Denkmäler meiner..." Ich stockte kurz. „...der verstorbenen Königspaare." Bevor ich weiter sprach vergewisserte ich mich, dass niemand meinen Versprecher mitbekam.

„Und links führt der Weg zu der Schatzkammer mit den Edelsteinen und Münzen. Es kann möglich sein, dass dort auch Wachen positioniert sind."
Ich zeichnete die Linie zu Ende und schaute erwartungsvoll zu Jody. Diese starrte ausdruckslos auf die Karte.
„Na dann hätten wir doch einen Plan." Einer der Piraten richtete sich an Jody.

„Wie sollen wir ihr trauen? Es könnte eine Falle sein." Sie beachtete mich nicht, ihr Blick war krampfhaft auf den des Piraten gerichtet.
„Sie ist unsere beste Chance, Captain. Unser Plan hätte sowieso nicht funktioniert." Der zweite Pirat schloss sich nun dem Gespräch an.
„Ihr sagt mir also, dass all die wochenlange Planung umsonst war? Stattdessen traut ihr einfach so einem Mädchen, welches uns vor wenigen Tagen noch beklauen wollte."

Von unserer Begegnung heute Nacht erzählte sich nicht, obwohl ich vorhatte sie mit einem Messer zu bedrohen.
Die Stimmung in dem Raum lud sich auf, gefolgt von einer lauten Diskussion. Meine Anwesenheit wurde Nebensache. Die Piraten bemerkten mich nicht einmal, als ich den Raum wieder verließ um in die Küche zu gehen.

Ich begann wieder Bier zu Zapfen und unter den Piraten zu verteilen, noch immer saßen sie im vorderen Bereich des Schiffes. Von dem Sturm bekam man hier drinnen kaum etwas mit, lediglich den starken Wellengang spürte ich. Noch mehrere Male lief ich den Gang von der Küche zu den Piraten, das Tablett prall gefüllt mit Bierkrügen. Irgendwann bemerkte ich, dass der Kartenraum leer stand. Die Piraten mussten sich also geeinigt haben.

Ich konnte es nicht fassen, dass ich den Piraten half einzubrechen, bei mir Zuhause. Doch ein Zuhause war es schon lange nicht mehr. Je länger ich von dem Schloss weg war, um so mehr merkte ich, was alles falsch an der Lebensweise war. Meine Eltern waren bereits die mächtigsten Menschen in Andell und dennoch wollten sie mehr Macht. Wenn ein wenig der Reichtümer fehlten, dann würde es doch nicht auffallen, oder?
Außerdem könnte es mir den Schwarzmarkt ersparen. Ich müsste die Piraten nur davon überzeugen, dass ich ihnen vor Ort den Weg ins Schloss weise.

Den restlichen Tag hatte ich genug Zeit mir genau darüber Gedanken zu machen. Der Sturm schwächte erst abends wieder ab. In der Zwischenzeit durfte ich den Piraten mehr Bier ausschenken und Fischsuppe reichen. Wie die Tage davor auch schon blieb für mich Brot übrig, erneut zwei Scheiben.

Als der Wind abnahm und es aufhörte zu regnen wurden die Segel wieder aufgemacht. Alle arbeiteten zusammen und sorgten dafür, dass wir schon bald wieder Fahrt aufnahmen. Jody sah ich den ganzen restlichen Tag nicht mehr.

Nachdem die Sonne unterging wurde ich wieder in meine Zelle gesperrt. Gedankenverloren lag ich auf dem Boden, bis mich die Ereignisse des heutigen Tages in einen festen Schlaf zogen. Jedoch wurde ich mitten in der Nacht von demselben quietschenden Ton geweckt wie gestern. Die Zellentür klapperte wieder. Jemand musste sie geöffnet haben. Mein Herz machte einen Satz, es konnte nur Jody gewesen sein. Leise schlich ich mich wieder an den Piraten vorbei, Jodys Hängematte war leer.

Also stieg ich wieder durch die Luke an Deck. Die Luft draußen war kühl, der sanfte Wind ließ mein Kleid wehen. In wenigen Schritten stand ich vor der Treppe, die mich nach oben zum Steuerrad brachte. Ich war nervös. Jody könnte mir gleich eine Messerklinge an den Hals halten, oder nur schweigend neben mir sitzen. Bei ihr konnte man nie wissen.
Ich nahm all meinen Mut zusammen, atmete einmal tief ein und stieg die Treppe hoch.

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